Kino

Moloch

d'Lëtzebuerger Land vom 18.03.2022

Die Stadt versinkt in einem nie enden wollenden Regenschauer, eine sintflutartige Säuberung scheint indes auszubleiben. Gotham-City, wie Regisseur Matt Reeves es in seinem The Batman inszeniert, ist eines der Widersprüche. Ein Großstadt-Moloch, getaucht in eine permanente Finsternis, in der sich der dunkle Racheengel im Fledermaus-Kostüm umherbewegt. Dazu hören wir Franz Schuberts Ave Maria und Something in the Way von Nirvana. Ein Ruf nach Erlösung, nach Heilung wird da vernehmbar und bleibt doch ungehört, weil sich die Großstadt durch einen wachsende Kriminalität selbst im Weg steht.

Was in vielen dieser neueren Batman-Filme über die bloße Spannungsdramaturgie hinausgeht, ist die Verbindung von kriminellem Untergrund und politischer Öffentlichkeit, die sich weitab der Marvel-Superheldenfilme bewegt, noch den camp-artigen Verfilmungen durch Tim Burton der Anfang der Neunzigerjahre in irgendeiner Weise folgt.

Wegweisend und stilbildend, ja geradezu als Reflex auf die Ereignisse nach 9/11 stand die Dark Knight-Trilogie von Regisseur Christopher Nolan. Matt Reeves’ Film knüpft an diese Linie an, ist aber noch desillusionierter, noch zynischer, noch resignierter: Bruce Wayne (Robert Pattinson) ist der Millionärssohn am Tage, bei Nacht schlüpft er in das Fledermauskostüm und wird zum selbsternannten Rächer, dem Batman. Seit zwei Jahren steht er der Polizei Gothams bei der Verbrechensbekämpfung zur Seite. Als die Leiche des Bürgermeisters Don Mitchell (Rupert Penry-Jones) gefunden wird, mitsamt einer mysteriösen Nachricht, die das „Ende der Lügen“ fordert, drohen die Fundamente der Stadt einzustürzen.

Drahtzieher dieser Aufdeckungsarbeit ist der Riddler (Paul Dano), der mittels spielvoller Rätsel die Abgründe der Verantwortungsträger Gothams ans Licht bringen will. Dabei wollen Polizei und Staatsanwaltschaft die Sache eher vertuschen, als verfolgen. Batman kommt gemeinsam mit dem unbeirrbar rechtschaffenen Lieutenant James Gordon (Jeffrey Wright) einem System von Korruption, Erpressung und Mord auf die Spur. Statt Mörder dingfest machen zu lassen, hat die Stadtverwaltung ihren eigenen Abgrund geschaffen. Eine Parallelherrschaft aus Korruption und Gewalt wird erkennbar, die bis in die hohen Etagen der Politik reicht.

Matt Reeves‘ Film, der gerade deshalb seine Bezüge zum klassischen Film Noir so prominent in den Vordergrund rückt, verweist auf die Existenz krimineller Organisationen, angeführt von Mafiaboss Carmine Falcone (John Turturro), im Staat, welche Unsicherheit, lähmende Bedrohung und Gewalt anwenden, um jede Veränderung zu verhindern. Auch der Ort, die Stadt, hat allen Glanz, alle noch so bedrohliche Faszination verloren. Travis Bickle in Martin Scorseses Neo-Noir Taxi Driver (1971) wünschte sich noch nichts sehnlicher als eine Sintflut, die den gesamten Abschaum der Stadt hinwegspült. Der Riddler versucht diesen Wunsch, den oben angeführten Widerspruch, aufzuheben und Bickles Worte in Wirklichkeit umzusetzen. Dieser Batman ist in alldem mehr ein passiver Beobachter. Einer der nur sich selbst sehen kann.

In Reeves‘ Batman ist der große amerikanische Mythos von der Befreiung durch die Tat in Frage gestellt. Kaum Actionszenen sind zu sehen. So kann nur die Gnade seinen Helden retten. In erster Linie ist Batman sich selbst zum Problem geworden, er ist so beladen von Schuld und der Last der Vergangenheit, dass er nur pathetisch werden kann. Nicht umsonst kündigt Filmkomponist Michael Giacchino ihn mit einer Abwandlung von Chopins Trauermarsch an. Batman ist der „eiskalte Engel“, ein bizarrer Heiliger, dem mittels Scheinwerferprojektion gehuldigt wird, der aus einer inneren Leere ins Licht tritt. Dieser Bruce Wayne, von Robert Pattinson ungemein zurückhaltend gespielt, flüchtet vor der Erkenntnis der Schuld in ein Ritual, eine Abfolge der Gewalt, aus der er sich selbst erst durch das Eintreten für eine gerechte Sache befreien und zu einem Zeichen der Hoffnung werden kann.

Marc Trappendreher
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