Bedrohlich-verletzend, verspielt und vielseitig sind die Tanzprojekte, die im Rahmen des „3 du Trois“ im Mai präsentiert wurden

Narzisstische Machtspiele, virtuelle Identitäten

d'Lëtzebuerger Land du 07.05.2021

Es ist jeden Monat wie eine Wundertüte, ein monatliches Stelldichein der hiesigen Tanzszene, das seit Jahren Einblicke in Projekte des Zeitgenössischen Tanzes gewährt. – Auch in Zeiten von Corona, mit Abstand und begrenzter Teilnehmerzahl (17 Gäste) kann man in der Banannefabrik beim „3 du Trois“ spannende Kreationen entdecken und erhält Einsicht in die Schaffensprozesse von Choreograf/innen.

Echter Austausch mit einem Narzissten ist ein Trugschluss! Dies legt der Syrer Saeed Hani mit The Blind Narcissist dar, in dem er Ausschnitte aus seinem Dokumentar-Kurzfilm präsentiert. Hanis Choreografie, ein Duett, erzählt die Geschichte der selbstzerstörerischen Liebesaffäre eines jungen Mannes mit einem Narzissten. In der Beziehung entsteht rasch ein Ungleichgewicht, das zu einem rücksichtslosen (Macht-)Kampf führt. In der beklemmenden Choreografie Saeeds wird klar: In der Beziehung zu einem Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung bleiben die Bedürfnisse des Partners auf der Strecke, weil der Narzisst unfähig ist, Empathie aufzubringen. Hanis Choreografie ist eine aufrüttelnde tänzerische Annäherung an das Phänomen des Narzissmus. In seine Arbeit bezieht Hani neben dem zeitgenössischen Tanz Elemente aus der Akt- und Raumkunst ein. In der beeindruckenden interdisziplinären Performance wird echte Nähe zwischen dem Paar durch einen Spiegel verhindert, der wie eine Mauer zwischen beiden steht und in dem der Narzisst sich spiegelt. Die beiden Tänzer sind nur spärlich bekleidet. „Nacktheit bedeutet für mich auch ‚Nein’ zu sagen“, so Saeed. „Ich gehöre mir selbst!“ Sein nächstes Stück, Out of Range ist in Zusammenarbeit mit Giovanni Zazzera entstanden und hat das Durchbrechen von (Gender-)Grenzen zum Thema; Premiere ist am 4. Juni im Mierscher Kulturhaus.

Einen Einblick in ihren Schaffensprozess gab auch Anne-Mareike Hess, die derzeit eine Residenz in der Abtei Neimënster innehat. In ihren Arbeiten interessiert sich die Choreografin vor allem für die Verkörperung menschlicher Emotionen und die Erschaffung von Charakteren, zentral für sie ist der „emotional body“. Bereits in ihren Choreografien Warrior (2018) und Dreamer (2020) hinterfragte sie (vermeintlich) stereotype Charaktere. Mit Choreographing Identities erforscht Hess, wie die Praxis bestimmter kodifizierter Bewegungen den Körper und die Identität einer Person beeinflusst und verändert. Mit welchen Mitteln werden kodifizierte Bewegungen genutzt, um Identität zu schaffen und die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder einem Kulturkreis zu signalisieren? In Gesprächen mit Expert/innen aus unterschiedlichen Bereichen studiert sie Körperhaltungen und Gesten, um zu erforschen, wie sie in ihr mitschwingen. Reelle Personen werden bei ihr auf der Bühne so fast zu Karikaturen.

Im Rahmen des „3 du Trois“ schilderte Hess die Erfahrungen mit zwei Gästen: dem Cyber-Flötenspieler Pit Vinandy und der in Berlin lebenden Choreografin Jee-Ae Lim. Gemeinsam mit Vinandy erforschte sie virtuelle Identitäten im „Second live“. So wählte Hess kurzerhand ihren Avatar, streifte sich die Verkleidung über, eine schwere Ritterrüstung, und zog sich klobige Stiefel an. Das Versprechen, eine beliebige Identität anzunehmen, wurde nicht eingehalten, kommentiert Hess. So hatte sie als Frau etwa keine andere Wahl, als sich riesige Brüste zuzulegen. Durch das Erforschen der Welt der animierten Computerspiele bekam das Publikum Einblicke in diese artifizielle Welt. Im Austausch mit Jee-Ae Lim erprobte die Choreografin ferner die Symbiose aus klassischem und folkloristischem koreanischen Tanz. Acht Stunden am Tag praktizierten Frauen dort Demut, beschrieb es Lim, die mit ihren schwingenden Gesten die Weiblichkeit herausstellte. Hess imitierte diese Anpassung, die Arme schwingend wie ein Vogel. Der Austausch mit beiden beeindruckte durch die Einblicke in ferne Welten wie durch ihre exotische Ästhetik.

Zum Abschluss präsentierte die in Reims tätige Choreografin und Tänzerin Anaïs Rouch einen Ausschnitt aus ihrer noch unvollendeten Choreografie La Marche Nébuleuse. Die Zuschauer/innen blicken auf die vier (ursprünglich fünf) Tänzerinnen im Nebel, die sinnlich, synchron auseinanderstreben, um verbunden durch eine diffuse Anziehungskraft wieder zueinanderzufinden. Das zunächst bedrohliche Szenario, knatternd-verrauschte Sirenengeräusche aus dem Off, erinnert an die äußere Bedrohung in Zeiten einer Pandemie. Im Gleichschritt und im sich wiederholenden Puls teilen die Tänzerinnen in einem weiten Spektrum an Stimmungen den selben Wunsch: der Schwerkraft zu entkommen. Rouchs Choreografie ist zugleich kraftvoll, energisch, verspielt, euphorisch und deprimierend. – Ein kollektives Sich-Aufbäumen gegen die Schwerkraft und die Zwänge unserer heutigen Zeit, das einen in einen Taumel versetzt.

Emma Appel
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