Neues Geschäftsmodell dringend gesucht

Die Zukunft der Tageszeitungen

d'Lëtzebuerger Land du 08.04.2016

Alles nur Gewinner! Als die Marktforschungsfirma TNS Ilres vergangene Woche die jüngsten Ergebnisse ihrer Umfragen über die Reichweite der Presse veröffentlichte, meldete der Sankt-Paulus-Verlag: „172 000 lesen das ‚Luxemburger Wort’. Die Tageszeitung erreicht weiter mehr als jeden zweiten Luxemburger“. Bei Tageblatt, Quotidien und L’Essentiel hieß es: „Bons résultats pour les médias du groupe Editpress“, und das Lëtzebuerger Journal freute sich: „La toile, une source prisée. L’audience totale des médias luxembourgeois sur Internet a progressé de 2% selon TNS Ilres“.

Aber die aufmunternden Worte der Verlage in Richtung der Anzeigenkunden sowie der freundliche Verzicht von TNS Ilres auf die Veröffentlichung von Vergleichszahlen der Vorjahre können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Auflagenzahlen der Tageszeitungen seit Ende der Neunzigerjahre sinken. Während die Einwohnerzahl zugenommen hat, hat das Luxemburger Wort laut TNS Ilres ein Drittel seiner Reichweite, haben das Tageblatt, das Lëtzebuerger Journal und die Zeitung vum Lëtzebueger Vollek die Hälfte ihrer Reichweite eingebüßt. Den besorgniserregenden Trend bei der Reichweite bestätigen die Erhebungen des Brüsseler Centre d‘information sur les médias über die verkauften Auflagen. Gleichzeitig gehen die Anzeigeneinnahmen zurück, weil die Unternehmen sparen wollen oder ihre Anzeigenbudgets unter neuen Werbeträgern aufteilen. 2011 musste erstmals seit Einführung der Pressehilfe eine staatlich bezuschusste Tageszeitung, La Voix du Luxembourg, eingestellt werden.

Selbstverständlich ist die Pressekrise kein luxemburgisches, sondern ein internationales Phänomen. Die nationalen Tageszeitungen in Frankreich, wie Le Monde und Libération, kämpfen seit Jahren mit immer neuen Kapitalspritzen und Massenentlassungen gegen den Konkurs. Vergangene Woche stellte der britische The Independent nach fast 30 Jahren, 9 193 Ausgaben und mehr als zehn Milliarden Wörtern, wie es in der letzten Ausgabe hieß, das Erscheinen ein und kündigte an, nur noch als Internet-Seite fortzubestehen. Im Internet versucht die Konkurrenz von The Guardian eine „globale Marke“ von Großbritannien über die USA bis Australien zu schaffen. Aber der Verlag kündigte vor 14 Tagen an, im vergangenen Geschäftsjahr 58,6 Millionen Pfund Verluste erwirtschaftet zu haben und deshalb 250 Arbeitsplätze abbauen zu wollen.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat innerhalb der letzten zwei Jahre fast 200 Stellen abgebaut. Sie hat ihre Seitenzahl verringert und kündigte am 2. März an, ihre Auflage nicht mehr aufblähen zu wollen, „weil das Verschenken von Zeitungen in Hotels oder Flugzeugen hohe Kosten verursacht, die erhöhte Auflage aber kaum zusätzliche Anzeigen generiert“. Am 3. März schickte der Direktor von El Pais, Antonio Caño, einen offenen Brief an seine Redaktion, um ihr mitzuteilen, dass „die Transformation der Tageszeitung in ein hauptsächlich digitales Medium bevorsteht“. Die Pressekrise habe möglicherweise noch gar nicht ihren Tiefpunkt erreicht, so Caño, und der Übergang vom bedruckten Papier zur digitalen Veröffentlichung im Internet sei nur eine und nicht einmal die größte der vielen Veränderungen, die den Tageszeitungen bevorstünden. El Pais werde, „solange es möglich sein wird“, gedruckt, aber der Augenblick stehe bevor, da das Blatt „in eine vor allem digitale Tageszeitung verwandelt wird“.

Mit denselben Problemen schlagen sich die Luxemburger Tageszeitungen herum, wenn auch selbstverständlich unter den teils günstigeren, teils ungünstigeren Bedingungen des hiesigen Marktes. Weil nationale Tageszeitungen hierzulande gleichzeitig auch Lokal- und oft Parteiblätter sind, ist die Leserbindung, der Anteil der Abonnenten, weit höher. Andererseits ist der Markt so klein und durch die Sprachenvielfalt zersplittert, dass die Zeitungen weniger von den sinkenden Grenzkosten hoher Auflagen und des Internets profitieren können.

Deshalb lautet die Frage weniger, ob in zehn Jahren Tageszeitungen nur noch digital verbreitet werden, als ob sich ein Geschäftsmodell für Tageszeitungen an sich finden lässt. Denn niemand weiß so recht, wie sich im Internet genügend Geld verdienen lässt, um professionelle Journalisten und Redaktionen zu bezahlen. Die Drahtzieher der Panama Leaks, die ihre Unterlagen nicht über Internet verbreiteten, sondern ausgewählten Zeitungen anvertrauten, zeigten aber erneut, wie wichtig die Presse bleibt, in der auch ein wichtiger Teil der politischen Debatten geführt werden: Internet bringt Clicks, Zeitungen bringen Einfluss.

Zuerst versuchten auch die Luxemburger Tageszeitungen, ihre Artikel kostenlos ins Internet zu stellen, um viele Leser und damit viele Anzeigen anzulocken. Doch die Zahl der Anzeigen blieb bescheiden, und die Anzeigentarife im Internet machen nur einen Bruchteil derjenigen gedruckter Anzeigen aus. Außerdem werden Anzeigen übersehen, wenn zunehmend Artikel auf kleinen Handy-Bildschirmen gelesen oder mit Ad-­blocker-Programmen unterdrückt werden.

Gleichzeitig fragten sich die Leser, weshalb sie noch Zeitungen kaufen sollen, als diese ihre Artikel gratis ins Internet stellten. So ist inzwischen eine ganze Generation herangewachsen, die sich gar nicht mehr vorstellen kann, dass man für Nachrichten Geld ausgeben soll. Dies trifft die im Kampf um Aktualität zwangsläufig unterlegenen Tageszeitungen weit härter als die auf Analysen und Hintergrundberichte bedachten Wochenzeitungen wie d’Lëtzebuerger Land.

Seit kurzem versuchen der Sankt-Paulus-Verlag und Editpress ihre Leser umzuerziehen und ihre Zeitungen im Internet kostenpflichtig zu machen, auch wenn die „Premium-Texte“ und „E-Paper“ des Luxemburger Wort bloß Werbegeschenke für Abonnenten der gedruckten Zeitung sind.

Um den Journalismus im Internet zu fördern, beschloss die Regierung, demnächst eine staatliche Bezuschussung von Internet-Redaktionen einzuführen. Der Übergang der Presse von der gedruckten zur digitalen Verbreitung soll dadurch aber nicht gefördert werden, weil Zeitungen, die bereits Pressehilfe erhalten, ausgeschlossen bleiben sollen.

Anfang Februar hieß es in einem aufsehenerregenden Beitrag der Financial Times: „Während Jahrzehnten haben die Leiter von Zeitungen auf einen ‚digitalen Kipppunkt’ gezeigt, an dem die Online-Einnahmen die Verluste aus dem Druckgeschäft ausgleichen werden. Doch nun fragen manche in der Industrie, ob es eine gewinnbringende Zukunft geben wird.“ Und zitiert den Her­ausgeber der verblichenen News of the World, David Montgomery: „Die Industrie muss klar zugeben, dass das historische Modell, Zeitungen herzustellen, kaputt ist.“ Ohne neues Geschäftsmodell wird die Presse aber bestenfalls zu einem teuren Luxusprodukt, das sich nur eine Elite als Alternative zum werbefinanzierten Infotainment leistet – mit allen Folgen für die Demokratie.

Romain Hilgert
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