Theater

Gescheiterte Glückssuche

d'Lëtzebuerger Land vom 18.01.2019

Diese Spielzeit suche nach dem Politischen im Persönlichen – „sei es anhand von Texten über heimatlose Einzelgänger von Böll oder Borchert, Uraufführungen von Stücken über die Glücks- und Partnersuche in der modernen, digitalen Welt, aus der Feder von Charel Meder“, heißt es in der Ankündigung der neuen Spielzeit 2018/2019 des Kasemattentheaters. Doch wie das in Literatur, Film und Bühne tausendmal bemühte Motiv der Glückssuche neu angehen? De Cabinet vum Dokter Menasse beginnt furios mit einer Flut von Textbausteinen, die einem um die Ohren fliegen. Es ist die Rede von „alternativen Fakten“; brauchen wir in Zeiten von Fake News Fernsehen und Internet überhaupt noch? Rasch fallen aber auch Plattitüden: „Der Mensch denkt, Gott lenkt.“

Aus dem Off ertönt die Stimme Marc Limpachs, die Zahlen nennt und von Bevölkerungswachstum und dem steigenden Lebensniveau spricht: Glück sei im 21. Jahrhundert messbar, heißt es. Was aber ist Glück? Gibt es ein Brutto-Nationalglück? „Es ist wohl mehr als das Bruttosozialprodukt und der Lottogewinn ...“, bekommt man zu hören.

Die Bühne zeigt Sterne, ab und zu drei Banner, auf die Bilder von einem Raketenstart projiziert werden oder über die Ziffern von Statistiken flimmern. Am linken Rand der Bühne lehnt eine als Astronaut verkleidete Puppe, dazu läuft der passende Sound: Major Tom. Die drei Schauspieler Elsa Rauchs, Nora Koenig und Timo Wagner sind wie Teletubbies in drei kräftige Farben (senfgelb, königsblau und rot) eingekleidet und tragen darüber gestülpt golden glitzernde Umhänge... Dass Luxemburg nur 1,3 Prozent seines BIP in Kultur investiert, bereitet Nora Koenig offensichtlich Bauchschmerzen, denn sie krümmt sich bei der Zahl. Da hilft nur eins: Visionen für die Zukunft 4.0! Denn Luxemburg liege mitten in Europa. „Wir entwickeln Zukunftsstrategien – wir stehen für Eure Zukunft!“, dröhnt es einem Mantra-artig entgegen. „Ein Think tank sollte auch unabhängig sein“, sinniert die Stimme aus dem Off. Daneben hört man, Glück sei eine „hedonistische Tretmühle“ und Luxemburgs Platz auf der Glücksskala wird jubelnd eingeblendet.

Als Refrain ertönt immer wieder das Kinderlied aus der Sesamstraße: „Der, die, das – Wer wie was, wieso weshalb warum ...“ Im Flyer zum Stück heißt es: „Ein Chor als Tohuwabohu illustriert in diesem Bühnentext die divergierenden Vorstellungen von einem erfüllten Leben, wobei progressive und reaktionäre, engagierte und resignierte, aufklärerische und populistische, demokratische und undemokratische Stimmen im freien Wechsel aufeinanderprallen.“

Schnell beschleicht die herumspringenden Schauspieler die Ahnung, dass das Glückversprechen am Ende etwas für fortschrittsgläubige Liberale ist: „Glückliche Menschen sind ganz zen, haben dreimal die Woche Geschlechtsverkehr; sie glauben an sich und nicht an den Klimawandel“, verkündet Nora Koenig und rät zur Einnahme von Serotonin. Schließlich konsumierten 30 Prozent der in Luxemburg lebenden Bevölkerung Psychopharmaka. Eklektisch werden konträre Meinungen als Versatzstücke in den Raum geworfen.

Wenn dann das medial ausgeschlachtete Bild des kleinen Jungen wachgerufen wird, der vor Jahren an eine Küste gespült wurde und die Welt aufrüttelte, wird es vollends moralisierend. Wieder werden einem Zahlen um die Ohren geschlafgen: Weltweit befinde jeder 113. Mensch sich auf der Flucht. „Sie fliehen vor Not – Terror – Tod“, hört man, bevor Nora Koenig Timo Wagners Kopf in eine Plastikwanne taucht, um zu exemplifizieren, wie es sich anfühlen muss, zu ertrinken. Kontrastierend dazu werden auf den drei Bannern Embleme der Luxemburger Wohlstandswelt eingeblendet: das der Bil, der Spuerkeess und das von Pol Fabaire. Ohne Verdrängung würden wir wohl wahnsinnig werden ...

Dann stürmen die Gilets Jaunes mit Wunderkerzen wie Hobby-Anarchisten auf die Bühne und lassen Luftballons zerplatzen. Ihre Wut wird veralbert, die Bewegung auf die wütender Spinner reduziert. Doch in Luxemburg geht es uns ja (noch) gut: Wohlstandsblase, Triple A: „Mir wëlle bleiwe wat mir sinn!“ Wenn die Schauspieler zum fünften Mal zum Refrain von Wer, wie, was auf die Bühne hüpfen, stellt sich ein gewisser Ermüdungseffekt ein. Müssen wir uns wirklich zwischen den Sternen und dem Hungertod entscheiden? Was wäre, wenn wir uns nicht der Glückssuche hingeben und einfach nur leben würden?!

Etienne Schneiders Space-Mining-Projekt mag größenwahnsinnig gewesen sein, doch die Idee des Autors und der Regisseurin, die versuchen, Luxemburg und die politische Aktualität einmal komplett zu transzendieren, ist es nicht minder. – Ein Versuch, der zum Scheitern verurteilt ist. Irgendwann wird Elsa Rauchs das Herz herausgerissen und es läuft The Final Countdown. Am Ende blicken selbst die Schauspieler ratlos aus der Wäsche. Funktioniert Monotonie als Stilmittel, um Menschen aufzurütteln? De Cabinet vum Dokter Menasse ist in seiner glitzernden Reizüberflutung unterhaltsamer Trash.

De Cabinet vum Dokter Menasse von Charel Meder, zusammen mit Maité Baumbach und Mady Weber; Regie und Bühne: Angelika Zacek mit: Nora König, Elsa Rauchs und Timo Wagner; Kostüme: Anouk Schiltz; Video Melting Pol. Premiere war am 9. Januar 2018 im Kasemattentheater; keine weiteren Spieltermine.

Anina Valle Thiele
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