Schweizer Volksbegehren über Zuwanderung

Eigentor

d'Lëtzebuerger Land du 14.02.2014

Am Sonntag hat die Schweiz sich ins europäische Abseits manövriert. Eine (knappe) Mehrheit der Bevölkerung möchte die „Masseneinwanderung” stoppen und hat deshalb dem von der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP) initiierten Volksbegehren zugestimmt. Die Zuwanderung soll begrenzt werden, das heißt unter anderem, dass das mit der EU abgeschlossene Freizügigkeitsabkommen außer Kraft gesetzt werden soll.

In der Bundesverfassung soll in Zukunft unter dem noch ziemlich harmlos klingenden Titel „Steuerung der Zuwanderung“ folgendes stehen: „Die Schweiz steuert die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern eigenständig. Die Zahl der Bewilligungen für den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz wird durch jährliche Höchstzahlen und Kontingente begrenzt. (...) Die jährlichen Höchstzahlen und Kontingente für erwerbstätige Ausländerinnen und Ausländer sind auf die gesamtwirtschaftlichen Interessen der Schweiz unter Berücksichtigung eines Vorranges für Schweizerinnen und Schweizer auszurichten; die Grenzgängerinnen und Grenzgänger sind einzubeziehen. (...) Es dürfen keine völkerrechtlichen Verträge abgeschlossen werden, die gegen diesen Artikel verstossen.(...)“

Ein starkes Stück, nicht einmal die Grenzgänger werden verschont. Arbeitsplätze sollen hauptsächlich von lokalen beziehungsweise ansässigen Kräften besetzt werden. Ob das gut gehen wird? Aber der Reihe nach: Die Schweiz zählt rund 8,1 Millionen Einwohner, darunter 1,9 Millionen Ausländer (23,5 Prozent). Letztes Jahr sind netto 80 000 Menschen eingewandert; statistisch gesehen stellen diese ungefähr ein Prozent der Landesbevölkerung dar. Zum Vergleich: Bei uns ist die Bevölkerung um 2,3 Prozent gewachsen. Auf Schweizer Verhältnisse angewandt, wären das 185 000 Personen – was dann wohl bei den Eidgenossen los wäre?

Ganz besonders in der Deutschschweiz geht seit Jahren das Gespenst der Überfremdung um. Die Bevölkerung steigt, der Verkehr nimmt zu, auch die Zersiedlung und der Wohnungsmangel. Dabei brummt die Wirtschaft und die Arbeitslosigkeit ist ziemlich niedrig. Es könnte alles so schön sein, wäre da nicht die Zuwanderung mit ihren „Nebeneffekten“. Die Argumentation der Immigrationsgegner war zum Teil grenzwertig und sehr einseitig: 80 000 Zuwanderer brauchen 160 Ärzte, 300 Schulklassen, 380 Spitalbetten, 500 Lehrer, 4 448 Fußballfelder Siedlungsfläche, 34 500 Wohnungen, 42 000 Autos. Auch bei uns gab es schon mal eine Gruppierung, die versuchte, mit zweifelhaften Methoden Stimmung zu machen, nach dem Motto „Gäbe es weniger Ausländer, wären die Straßen nicht überfüllt und die Schlangen an den Supermarktkassen kürzer“.

Das Schweizer Eigentor – das Land sondert sich ab und begibt sich auf Konfrontationskurs mit der EU – hat natürlich Signalwirkung weit über die Landesgrenzen hinaus. Rechtspopulistische Parteiführer à la Le Pen (F) jubeln. Das „Ja“ zu Einwanderungshöchstzahlen und -kontingenten kommt einer Ohrfeige für die Regierung, die (meisten) Parteien, die Wirtschaft, die Eliten gleich. Bezeichnenderweise sagten gerade diejenigen „Stopp“, die, objektiv gesehen, am wenigsten betroffen sind, nämlich die Bewohner ländlicher Gegenden. Die Schweiz darf sich abschotten, wird aber mit den Konsequenzen leben müssen. Die EU-Freizügigkeit steht nicht zur Disposition. Direkte Demokratie in Form von Volksbefragungen ist etwas Schönes, es gibt allerdings Fragen, die man wohl besser nicht stellen sollte.

Claude Gengler
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