Eine Kulturtechnik, die wir bewundern

Fuddelen

d'Lëtzebuerger Land vom 27.03.2015

Fuddelen, ein niedliches Wort, ich mag es. Es hat einen lässig- schmuddeligen Charme, es lächelt ein bisschen, kneift ein Auge zu, während es sich etwas in die Tasche steckt oder in den Mund, vielleicht auch aufs Konto. Es ist viel poetischer als Mogeln oder Schummeln, etwas Kindlich- Tollpatschiges klingt an, obwohl ja genau das Gegenteil der Fall ist. Die Fuddlerin lacht, ein bisschen verlegen, ein bisschen verwegen. War nicht wirklich so gemeint. War nicht gemein gemeint. Man kann es ja wohl noch versuchen, es ist menschlich, ist

nicht gerade das Fuddeln das Allermenschlichste? Eine Fähigkeit, ein Talent, ein Sport? Manche haben es drauf. Andere nicht, moralinsaure Moralapostel, uncoole, unzeitgemäße Typen.

Es ist eine Kulturtechnik, die wir bewundern. Wenn wir durch ein sehr heißes Land spazieren, erwarten wir natürlich, das ist all inclusive, übers Ohr gehauen zu werden. Damit wir zeternd Münzen zählen.

Es ist das, was große Brüder taten, früher, beim Ostereiercrashen, einem uralten Brauch, um kleinen Schwestern die Ostereier abzuluchsen. Oder beim Monopoly. Eigentlich überall. Die kleine Schwester, es kann natürlich auch ein kleiner Bruder sein, war ganz fürchterlich gekränkt. Weil sie haargenau wusste, dass der Bruder fuddelte, weil er unverschämt grinste, und dann sagte ein Erwachsener tröstend, sie könne ja auch fuddelen.

Das war das Schlimme. War das Spiel nicht ernst, war es gar kein Spiel. Das Kind, das es ernst meinte, ernsthaft ernst, wollte unbedingt Spielregeln, die man unbedingt befolgen sollte. Das Kind ist ein moralisches Kind, es glaubt an die Wahrheit und dass die Lüge eine Sünde ist; heute würde man dafür ein zeitgemäßeres Wort finden. Dieses Kind, das den Erwachsenen glaubt und an die Erwachsenen glaubt, wundert sich, wie locker die darüber hinweg sehen, dass einer der Spielenden fuddelt. Das Fuddeln wird sogar honoriert, die Erwachsenen grinsen als würden sie dem Spielregelbrecher insgeheim Beifall zollen. Sie schimpfen nur pro forma, die kleine Gerechtigkeitsstreberin spürt das. In Wirklichkeit bewundern sie den Fuddler, der ein Sieger ist. Das Kind heult, weil es ungerecht ist und die Frechheit gesiegt hat. Von guten Dummen hat es schon in Erwachsenengesprächen gehört, sicher ist es nicht erstrebenswert, eine gute Dumme zu werden. Das Kind heult, weil die strenge Schönheit der Regeln über den Haufen geworfen wird, weil es keine Ordnung mehr gibt.

Der Erziehungsminister will den Kindern zeigen, dass das nicht so ist. Er hat den von der Fuddel-Affäre betroffenen Kindern einen Brief geschrieben. Er bittet um Verständnis für eine unangenehme Maßnahme, die sie erleiden, weil Erwachsene geschwindelt haben. In unserer wenig subtilen, aber dafür umso aussagekräftigeren Sprache verwendet er das schöne Wort Fuddeln, was vertraut kindersprachlich klingt, weniger traumatisierend als Betrug.

Ich weiß nicht, ob die betroffenen Kinder einen Schock erleiden, weil Autoritätspersonen, die es ja nicht mehr gibt, betrogen haben. Schließlich sind sie in einem Alter, wo sie längst gecheckt haben, dass die größten Arschlöcher am meisten vom Nikolaus kriegen, an den sie sowieso nicht mehr glauben. Ein paar wesentliche Initiationen via Lebenstüchtigkeit haben sie also schon hinter sich gebracht. Vielleicht denken sie sogar, dass das ziemlich okay war, was die Lehrerinnen da taten. Okay für sie zumindest, und dass die Lehrerinnen das möglicherweise für sie taten. Damit sie eine Etappe weiter sind in der Casting Show. In eine höhere Schule kommen, besser verdienen, bessere Klamotten tragen. Zu den besseren Leuten gehören. Statt zu den guten.

Was auch immer sie denken oder fühlen, wer auch immer was warum getan hat, aus Dummheit, Hinterhältigkeit, aus politischem Kalkül, aus lauteren oder niederen Beweggründen, die Kinder müssen die Tests wiederholen. Die zwar nicht so extrem wichtig sind, wie dauernd betont wird.

Der Erziehungsminister bittet sie um Verständnis. Heutzutage müssen Kinder immer Verständnis haben. Aber es gibt ja Psychologen. Wie ebenfalls betont wird.

Michèle Thoma
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