Leitartikel

Realpolitik

d'Lëtzebuerger Land du 21.02.2014

Willkommen im echten Leben, ist man geneigt zu rufen, wenn man die jüngsten Stellungnahmen der grünen Minister betrachtet. Sanft ist die realpolitische Landung nicht, die Nachhaltigkeitsminister François Bausch und Staatssekretär Camille Gira die letzten Wochen hinlegen mussten. Gira war zur Informationsversammlung ins Escher Rathaus geeilt, wo er über die Betriebsgenehmigung der umstrittenen Asphaltfabrik der Firma Lisé in der Industriezone „Um Monkeler“ sprach – und sich dort wütende und verständnislose Reaktionen von betroffenen Bürgern anhören musste. Sie fürchten noch mehr Lärmbelästigungen und Schmutz.
So hofft man auf einen beidseitigen Lernprozess: So manch ein überzeugter Umweltfreund dürfte jetzt bemerken, dass nicht nur ideologische Überzeugungen, sondern kühler, oft juristischer Sachverstand und Kompromissfähigkeit gefragt sind, wenn es darum geht, Standortentscheidungen für Schulen zu treffen, Handelsgenehmigungen zu erteilen, Straßen zu bauen. Vorbei die gute alte Zeit in der Opposition, als man große Worte schwingen und hehre Ideale vor sich hertragen konnte. Auf der Regierungsbank heißt es nun, Verantwortung zu übernehmen und die schwierige Gratwanderung zu meistern zwischen Leitsätzen, Gesetzen und Pragmatismus.
Im Falle der Ackerbauschule betont Gira die Verantwortung der vorigen Regierung. Sie habe es versäumt, mit den Akteuren einen Kompromiss zu finden, der sich auch mit IVL-Leitlinien verträgt. Das stimmt insofern, als das entsprechende Gesetz noch von der alten CSV-LSAP-Mehrheit verabschiedet wurde. Kritisch zu prüfen, inwiefern es zu den neuen Zielen passt, ist das Recht und auch die Pflicht einer Nachfolgeregierung, die versprochen hat, transparenter zu arbeiten und Kosten einzusparen.
Allerdings gibt es Projekte, wie das geplante Fußballstadion auf Kockelscheuer, die hat die neue Regierung (mit der Hauptstadt entschieden) und auch sie werfen Fragen auf. Da kann sich die Dreierkoalition nicht hinter den Vorgängern wegducken. Zumal in Zukunft noch weitere Entscheidungen gefällt werden müssen, die oft genug schwierig zu vermitteln sein werden. Landesplanung betrifft jeden – dahinter stehen oft finanzkräftige Interessen von Eigentümern, Firmen, Politik und, last but not least, den Bürgerinnen und Bürgern. Es geht um die Schlüsselfrage, wie viel Lebensqualität die Bewohner und Bewohnerinnen Luxemburgs wollen und wie viel sie bereit sind, dafür zu bezahlen. Mehr Wachstum, mehr Arbeitsplätze, neue Industrien bedeuten mehr Verkehr, mehr Straßen, mehr Schulen und Kindergärten.
Hier abzuwägen, die fortschreitende Zersiedlung zu bremsen, und das Land nicht mit einer Entwicklung zu überfordern, die seine Bewohner nicht nachvollziehen können, ist eine schwierige Aufgabe. Zumal es Gesetze und Voraussetzungen gibt, an die sich Politiker, egal welcher politischer Couleur, zu halten haben. Die Dreierkoalition ist auch angetreten, den Rechtsstaat zu stärken. Darum muss auch ein grüner Minister einen umstrittenen Betrieb genehmigen, wenn er meint, der Antragsteller habe alle vorgeschriebenen Auflagen und Anforderungen erfüllt.
Auf der anderen Seite können die Bürger, die mehr Beteiligung versprochen bekamen, diese beherzt einfordern und Kritik äußern, wenn sie mit Plänen und Entscheidungen nicht einverstanden sind. Zu oft hat der Staat, haben Gemeinden über ihre Köpfe hinweg eine Straße entschieden oder eine Ausgabe getätigt, die sich nicht mehr rückgängig machen lässt, aber ihre Umwelt auf Jahre und Jahrzehnte prägte. Allerdings müssen dieselben, die sich heute gegen verschiedene Bauprojekte in ihrer Straße stemmen, auch wissen, dass Teilnahme nicht immer heißt, dass die politische Entscheidung so ausgeht, wie sie es selbst am liebsten hätten. Auch das ist gelebte Demokratie.

Ines Kurschat
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