Luxemburgs Krisenlast steigt

Staatliche Risiken

d'Lëtzebuerger Land du 23.12.2011

Es handele sich nicht um eine Haushaltsausgabe, versuchte Finanzminister Luc Frieden (CSV) gegenüber RTL Radio Lëtzebuerg zu entdramatisieren. Woher aber die 2,06 Milliarden Euro kommen sollen, die Luxemburg im Rahmen der bilateralen Kredite über 150 Milliarden Euro für den internationalen Währungsfonds (IWF) bereitstellt, auf die sich die Finanzminister der Eurozone am Montag am Telefon einigten, bleibt offen. Im Januar wolle man mit der Zentralbank (BCL) verhandeln, so Frieden. Ihm wäre es, wie Staatsminister Jean-Claude Juncker, am liebsten, der Staat würde der BCL eine Bürgschaft geben, und die würde das Darlehen dann herbei zaubern. Doch die Zentralbank hat bereits abgewinkt, die Summe übersteigt auch ihre Mittel.

Und Friedens Beteuerungen, wonach die zwei Milliarden den Staatshaushalt nicht belasten, können nicht mehr von den Unsummen ablenken, mit denen sich der Staat an verschiedenen Stellen engagiert. Die Bürgschaften für die Europä-ischen Rettungsschirme EFSF und ESM belaufen sich zusammen mit den IWF-Darlehen auf 5,76 Milliarden Euro, wovon 200 Millionen Euro an Barkapital in den ESM eingezahlt werden müssen. Kann oder will die Zentralbank die zwei Milliarden Euro für den IWF nicht auftreiben, muss der Staat ein Darlehen aufnehmen, die öffentliche Verschuldung wird entsprechend ansteigen. Die bilateralen Kredite an Griechenland belaufen sich auf 140 Millionen Euro. Zählt man die 73 Millionen Euro hinzu, die der Staat in die Bil investiert, die 2,7 Milliarden Euro, an Bürgschaften, die der Dexia-Gruppe gewährt wurden, steigen die Krisen-Bürgschaften des Staates auf 8,46 Milliarden Euro. Berücksichtigt man überdies die 877 Millionen Euro Alt-Bürgschaften an die Dexia, die 2008 beschlossen wurden und aktuell noch laufen; die annähernd 300 Millionen Euro Bürgschaften, die im Zuge der Finanzkrise kleineren Banken gewährt wurden, darunter die Ex-Kaupthing, und die 2,5 Milliarden Euro, die der Staat in die BGL investiert hat, dann kann es doch ein wenig überraschen, dass bisher nur die ADR wirklich Alarm schlägt und das neue Engagement der Regierung beim IWF kritisiert.

Dabei hatte die Rating-Agentur Fitch schon vergangenen Freitag geschlussfolgert: „Eine umfassende Lösung zur Krise der Eurozone ist technisch und politisch außer Reichweite.“ Zwar seien beim letzten Krisengipfel positive Entscheidungen getroffen worden, so die Analysten, wie die Vorverlegung des permanenten Rettungsmechanismus ESM oder die, Privatgläubigern nicht von vornherein mit Wertabschlägen zu drohen, findet Fitch. Aber die Beschlüsse des Krisengipfels von Anfang Dezember zerbröseln mindestens ebenso schnell wie die der anderen acht Gipfel allein dieses Jahr. Und je unwahrscheinlicher die „umfassende Lösung“, desto wahrscheinlicher wird es, dass es nicht bei Bürgschaften bleibt, sondern Luxemburg, wie andere Eurostaaten, tatsächlich für sein Engagement gerade stehen muss.

Die Verhandlungen um den zwischenstaatlichen Vertrag, durch den Schuldenbremsen und eine strengere Haushaltsdisziplin eingeführt werden sollen, begannen am Dienstag und werden im Januar fortgesetzt. Bis ein definitiver Vertragstext und eine einheitliche Fassung der Schuldenbremsen vorliegt, kann es noch dauern. Während der Telefonkonferenz der EU-Finanzminister, die der Vorsitzende der Eurogruppe Jean-Claude Juncker am Montag leitete, bestätigten die Euroländer ihr Engagement in Höhe von 150 Milliarden Euro für den IWF. Doch die Briten, die den Großteil der 50 Milliarden Euro der EU-Staaten leisten sollten, die nicht Mitglied in der Währungsunion sind, wollen sich einstweilen nicht festlegen. Zwar machen Tschechien, Dänemark, Polen und Schweden mit. Doch wann die Gelder überwiesen werden, ist ungewiss. In manchen Ländern müssten sie erst von den Parlamenten genehmigt werden, teilten die EU-Finanzminister nach ihren Gesprächen mit.

Zudem beginnt die Reform des noch nicht existierenden ESM zu bröckeln. Beim Krisengipfel hatten die Staats- und Regierungschefs nicht nur beschlossen, er solle früher als ursprünglich geplant in Kraft treten, nämlich 2012, sondern auch den Abstimmungsmechanismus innerhalb des ESM von der Einstimmigkeitsregel auf das Mehrheitsprinzip umzustellen. Dagegen stäubt sich Finnland, das sich von vornherein finanzielle Garantien erbeten hatte.

So wundert es nicht, dass die Zinsen auf den Anleihen gefährdeter Staaten, trotz Sparprogrammen und Strukturreformen hoch bleiben, und auch der Euro-Wechselkurs weiter fällt. Denn wie Fitch formulierte: „Besonders besorgniserregend ist die Abwesenheit einer glaubwürdigen finanziellen Rückfallmöglichkeit.“ Nach Meinung von Fitch „bräuchte es dazu ein aktiveres und explizites Bekenntnis der EZB, um das Risiko einer selbsterfüllenden Liquiditätskrise für potenziell illiquide, aber solvente Euro-Mitgliedstaaten zu verhindern“. Weniger schwerfällig formuliert, soll das heißen: Bis der vorläufige Rettungsschirm auf ein ausreichendes Maß „gehebelt“ und der ESM funktionstüchtig ist, kann es noch dauern. Deswegen fordern Fitch und andere Beobachter: Sollen in der Zwischenzeit die Zinsen auf griechischen, vor allem aber spanischen und italienischen Anleihen gesenkt werden, muss die Europäische Zentralbank ohne Umschweife erklären, dass sie notfalls große Mengen dieser Anleihen kauft, um die Zinsen niedrig zu halten und die betroffenen Länder dadurch in die Lage zu versetzen, ihre Schulden selbst zu refinanzieren.

Weil aber die Preisstabilität einziges vertragliches Mandat der EZB ist, nicht die Staatenfinanzierung, wie ihr Vorsitzender und ihre Gouverneure, darunter der Luxemburger Yves Mersch, gerne wiederholen, sattelt die EZB das Pferd von hinten auf. Am Mittwoch vergab sie erstmals Darlehen mit drei Jahren Laufzeit an europäische Banken. Kredit gab es so viel, wie gefragt wurde: fast 500 Milliarden Euro. Das Kalkül: Mit dem Geld sollen die Geschäftsbanken spanische oder italienische Anleihen kaufen, so die Zinsen niedrig halten. Mitunter würden die Banken auf der Zinsdifferenz zwischen den billigen EZB-Krediten und den hochverzinsten Anleihen ein gutes Geschäft machen.

Dabei ist es nicht nur fragwürdig, wenn Politik und Regulatoren die Geschäftsbanken einerseits dazu anhalten, weniger Risiken einzugehen – weswegen sie besagte Staatsanleihen verkauften –, um sie andererseits mit billigem Geld zu versorgen, damit sie wieder welche kaufen und die Zinsen für besagte Staaten dennoch vergleichsweise hoch bleiben.

Es ist auch fraglich, ob die Rechnung überhaupt aufgeht. Denn allein im ersten Quartal 2012, erklärte der Präsident der EZB, Mario Draghi, dem Europaparlament diese Woche, werden nicht bis zu 300 Milliarden Euro Staatsanleihen, sondern auch 230 Milliarden Bankanleihen fällig werden. Deswegen könnten die Banken durchaus entscheiden, mit dem billigen EZB-Geld erst einmal ihre eigenen Schulden abzustottern, statt neue Staatsanleihen zu kaufen. Ohnehin wird seit Ausbruch der Finanzkrise Druck auf die Banken ausgeübt, sie sollten sich auf die wesentlichen Aufgaben des Bankensystems beschränken, nämlich der Finanzierung der Realwirtschaft, also der Kreditversorgung von Unternehmen und Haushalten. Weil die Summen hoch und die Signale widersprüchlich sind, kann man getrost davon ausgehen, dass die Serie von Euro-Rettungsgipfeln auch im kommenden Jahr nicht abreißen wird.

Bürgschaften: EFSF: 1,95 Milliarden EuroESM: 1,75 Milliarden Euro Dexia (2011): 2,70 Milliarden EuroDexia (2008): 877 Millionen EuroBanken (2008): 285 Millionen Euro

Kapitalausgaben:ESM: 200 Millionen EuroIWF: 2,06 Milliarden EuroGriechenland: 140 Millionen EuroBil-Kauf: 73 Millionen EuroBGL (2008): 2,50 Milliarden Euro

Michèle Sinner
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