Sie wollen sich über Luxemburg in Europa informieren, kritisch und kontrovers über europäische Politik (mit)diskutieren? Dann ist die Maison de l’Europe vielleicht nicht das richtige für Sie

Hochglanzeuropa

d'Lëtzebuerger Land vom 28.02.2014

Er kann es einfach nicht lassen. Als Robert Goebbels am Montagabend auf dem LSAP-Bezirskongress Zentrum in Mersch vor die sozialistische Parteibasis trat, tat er dies, wie so oft: mit einem unverhohlenen Seitenhieb auf die Ökologie und die seiner Ansicht nach falsche „Deindustrialisierungspolitik“ in Brüssel. Es sei unter dem Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso zu viel reglementiert worden, so der Europaabgeordnete. 200 Richtlinien über den Umweltschutz gebe es bereits und trotzdem produziere die EU ständig neue, kritisierte Goebbels, der Applaus bei den Kongressteilnehmern fand. Dann stellte er die sechs Kandidaten vor, „ein ganz junges Team“, nur die ehemalige Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres drücke den Altersdurchschnitt etwas nach oben, scherzte der ehemalige Wirtschaftsminister. Im Ganzen eine „formidable Mannschaft“, die ein außerordentlicher Kongress am 10. März noch bestätigen müsse, warb Goebbels, der selbst nicht mehr zu den Europawahlen am 25. Mai antreten will.

Wenige Stunden vorher hatten die Kommunisten ihre Europaliste vorgestellt, déi Lénk haben André Hoffmann aus dem politischen Ruhestand zurückbeordert. Am Montagmorgen zog zudem der grüne Europaabgeordnete und, wie er in seinem Wahlspot gelenkig vorturnt, Yogafreund Claude Turmes Bilanz der vergangenen Legislaturperiode in Brüssel. Aus Straßburg dann schickte am Mittwoch der christlich-soziale EP-Abgeordnete Georges Bach ein Foto mit Vertretern der Amiperas, die dem Abgeordneten einen Besuch abgestattet hatten. Bis Donnerstag konnten sich EU-Bürger, die in Luxemburg wohnen, aber keinen Luxemburger Pass haben, in die Wählerlisten eintragen. 17 579 EU-Bürger waren dies bei den vergangenen Wahlen, also rund 50 Prozent mehr gegenüber den Europawahlen im Jahr 2004. Eine Wahlkampagne für EU-Ausländer, jepeuxvoter.lu, sollte dieses Jahr zusätzlich mobilisieren und vor allem die portugiesischen Mitbürger ansprechen.

Allmählich kommt der europäische Wahlkampf in Luxemburg in Gang. Richtig losgehen wird es zwar erst, wenn die verschiedenen Parteien ihre Wahlprogramme vorgelegt haben. Aber wer sich vorher schon ein Bild über europäische Themen und die Arbeit von Parlament, Kommission und Europäischem Rat machen will, kann dieses außer über die klassischen Wege von Zeitung, Fernsehen und das Internet vor Ort in Luxemburg über die europäischen Vertretungen tun.

Auf der Straße in der Oberstadt nach dem Weg gefragt, gibt es zwar meistens ein ratloses Kopfschütteln. Wenige wissen, dass die Luxemburger Vertretungen von EU-Kommission und Parlament (EP) in Fußnähe vom Abgeordnetenhaus in der Rue du Marché-aux-Herbes ihren Sitz haben. Im Europahaus gibt es Hochglanzbroschüren zu den Institutionen, es finden Veranstaltungen und Diskussionsrunden statt. Denn das ist die Mission: EU-Bürgerinnen und -Bürger in den Mitgliedstaaten über das Geschehen in Brüssel, Straßburg und anderswo zu informieren und insbesondere über die Arbeit der sechs Luxemburger Abgeordneten im Europäischen Parlament.

Wie gut das gelingt, ist schwer zu sagen. Reges Treiben herrscht im Empfang des beigen Hauses mit dem blauen Sternenbanner jedenfalls in der Regel nicht. In den Tätigkeitsberichten sowohl von Kommissionsvertretung wie vom Informationsbüro des EU-Parlaments sind zwar die Veranstaltungen aufgeführt, die im Jahr stattfanden, aber Besucherzahlen erfährt man nicht. Erfahrungsgemäß liegt sie für Rundtischgespräche oft nicht bei mehr als 30 Leute, meist älteren Semesters. Auch die Pressekonferenzen sind kein großer Hit unter Journalisten – wer über die Arbeit der EU berichten will, tut dies live aus Brüssel und Straßburg. Oder gar nicht.

Über den Internetauftritt ist im Kommissions-Tätigkeitsbericht ebenfalls nichts zu erfahren, wie viele Klickzahlen, welche telefonische Anfragen... Der Webauftritt wirkt so, wie oft über die Kommission gelästert wird: technokratisch, blass und nicht sehr nahe am Bürger. Auf Facebook wird versucht, das Image etwas bunter und flexibler zu gestalten: 2 355 Freunde sind nicht die Welt, aber immerhin werden die Einträge täglich aktualisiert. Am auffälligsten aber ist: Auf den Webseiten der Luxemburger Vertretungen ist in Europa die Welt noch in Ordnung. Für Kontroversen gibt es wenig Platz. Von Europa-skepsis und Eurofrust ist kaum die Rede, auch nicht von den tiefen sozialen Gräben, die sich in der Europäischen Union nach der Finanzkrise auftun. Außerparlamentarische Gruppen wie die Piraten und womöglich noch EU-skeptische wie Déi Lénk kommen nicht zu Wort. Wäre da nicht das Eurobarometer über Luxemburg würde es Skepsis oder Zukunftssorgen wohl überhaupt nicht auf der Seite geben.

Dabei blicken selbst Luxemburger, einst europäische Musterschüler, längst nicht mehr so optimistisch in Richtung Brüssel. Vor allem einkommensschwache Haushalte und lusophone Einwohner äußern sich kritisch über die Wohnsituation und die Arbeitslosigkeit. „Der Enthusiasmus ist einem Realismus gewichen“, fasst Jakub Adamowicz, seit 2012 Pressebeauftragter der Kommissionsvertretung in Luxemburg, die Ergebnisse zusammen.

Von den vielen Konflikten zwischen den europäi-schen Institutionen geht bei den Vertretungen ebenfalls nicht die Rede. Der Genmais ist so einer. Der Grüne Claude Turmes beharrte auf seiner Pressekonferenz in der Fraktion seiner Partei darauf, dass das Europäische Parlament mit großer Mehrheit gegen die Zulassung von gentechnisch verändertem Mais gestimmt habe, Umfragen zufolge seien 85 Prozent der Bevölkerung gegen die Einführung von Genmais, sowie eine Mehrheit der EU-Länder. „Wenn Herr Barroso sich traut, das heikle Thema allen Kritiken zum Trotz durchzupeitschen, dann werden wir es im Europaparlament direkt zu einem Misstrauensvotum gegen die Kommission kommen lassen“, warnte Turmes.

Auf der Kommissions-Webseite ist von dem Machtkampf nichts zu sehen. Das Thema Genmais wird dort ausgespart. Stattdessen prangt dort eine Meldung zum EU-Preis für Gesundheitsberichterstattung, für den übrigens auch Land-Journalist Peter Feist nominiert ist. Ein Banner, das EU-Bürger dazu einlädt, kleine Videobeiträge über die 27 „Shining stars“ von Europa zu drehen. Von der glänzenden Seite, natürlich, ältere Einträge über das Europäische Jahr der Bürger 2013 sind zu finden. Journalisten bekommen Pressemitteilungen zugeschickt, sie haben inhaltlich etwas mehr Substanz, allerdings präsentiert sich ein dort ein ähnliches Bild wie im Internet: Mal wird ein Interview der Justizkommissarin Viviane Reding angepriesen, das der US-Fernsehsender CNN oder der belgische Sender RTBF gemacht haben. Oder es wird zu einer Pressekonferenz mit derselbigen eingeladen. Dass die Luxemburger Kommissarin so häufig bei Rundtischgesprächen, Pressekonferenzen und Videobotschaften in Erscheinung tritt, erklärt Adamowicz damit, dass „mehr Nachrichten über die Luxemburger Kommissarin nach Luxemburg dringen“. Man habe in der Vergangenheit andere Kommissare zu Gast gehabt, etwa EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier (2011) und EU-Steuerkommissar Algirdas Semetas (im Januar). Beide sind dem konversativen und liberalen Flügel in der EU zuzurechnen. „Das spiegelt den Wählerwillen wider“, meint Adamowicz, so seien nunmal derzeit die Mehrheitsverhältnisse in Brüssel. Wenn im Mai ein neues Parlament und ein neuer Kommissionspräsident gewählt würden, werde man „die Linie sicher überdenken“.

Doch darf eine Kommissarin in einem Video auf der Facebook-Seite der Kommission an die Wähler appellieren, zumal der Wahlkampf offiziell noch gar nicht begonnen hat, und sagen: „Wir sind zwar nur sechs Kandidaten aus Luxemburg, aber Sie wissen aus der Vergangenheit, eine Luxemburger Stimme kann ein richtiges Gewicht haben, wenn der richtige Kandidat die Stimme erhebt“? Alles „eine Frage der Proportionalität“, wehrt Jakub Adamowicz ab, die Hauptnachricht von Redings Wahlvideos sei, dass diese Wahlen besonders wichtig seien. Dass er als ehemaliger Wort-Journalist eine besondere Nähe zu Reding habe, im früheren Leben ebenfalls Wort-Journalistin, wie ihm Kritiker vorwerfen, streitet Adamowicz ab. Er habe vor seiner Zeit bei Saint-Paul für das Tageblatt geschrieben, „und dessen europapolitische Berichterstattung ist nicht viel anders“. Wer Adamowicz’ Europabeiträge aus seiner Zeit beim Wort kennt, wird sich erinnern: Die Positionen der EVP und insbesondere auch die politischen Positionen der Luxemburger EU-Kommissarin hat der Journalist immer recht wohlwollend begleitet. Gefragt, wie er die Ausrichtung des Europahauses sehe, sagt der sozialistische EU-Abgeordnete Robert Goebbels in seiner unnachahmlichen Art: „Ach, die sind eben rechtslastig.“

Weil Zahlen fehlen, ist eine objektive Bewertung schwierig, aber beim Webauftritt, bei Infoveranstaltungen und Pressekonferenzen scheint die CSV als Gast zu dominieren. Wer die Luxemburger Abgeordneten nachschlägt, findet diese nicht, wie in anderen Ländern, dem Alphabet nach gelistet, auf die christlich-soziale Astrid Lulling folgen ihre Parteikollegen Frank Engel und Georges Bach und dann die anderen Abgeordneten. Zur Pressekonferenz mit EU-Parlamentarierin Astrid Lulling, um EU-Ausländer an die Wahlurne zu rufen, waren die Déi Gréng nicht eingeladen. Bei Auftritten in Schulen sieht man Claude Turmes dafür umso häufiger, genauso wie den liberalen EU-Parlamentarier Charles Goerens und Georges Bach von der EVP. Beim Midi de l‘Europe diskutieren EU-Politiker europäische Themen mit Vertretern aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft, im November etwa referierte Robert Goebbels über die EU-Asyl- und Immigrationspolitik. „Normalerweise sind die Veranstaltungen nicht sehr gut besucht“, findet Goebbels.

Man bemühe sich um Ausgewogenheit, betont Büroleiter Christoph Schröder im Gespräch mit dem Land. Am 14. April ist eine Diskussionsrunde mit allen EP-Kandidaten in der Luxexpo geplant, am 5. Mai findet auf der Place Clairefontaine in der Hauptstadt die Fête de l‘Europe statt. Aber wie ausgewogen ist ein Rundtischgespräch über die geplante EU-Datenschutzverordnung, wenn dazu neben dem Datenschutzbeauftragten Gérard Lommel lediglich Politiker aus dem christlich-demokratischen Milieu eingeladen sind? Es sind immerhin die Grünen, linke Parteien und die Liberalen, die beim Datenschutz Druck machen. Der Sicherheitsexperte Ammar Alkassar sei als IT-Experte geladen gewesen, verteidigt Schröder die Einladung. Also nur ein Zufall, dass Alkassar auch Mitglied der CDU Saar ist, wie übrigens Schröder, der auf der Webseite des CDU-Gemeindeverbandes Nohfelden immerhin als stellvertretender Vorsitzender geführt wird?

Dass parteipolitische Orientierungen bei der Vergabe solcher strategischen und gut dotierten Posten spielen, ist kein exklusiv Luxemburger Phänomen und wäre nicht das erste Mal: Die vorherige Büroleiterin Monique Schumacher war langjähriges CSV-Mitglied, galt als Santer-Verehrerin und wurde wegen ihrer (partei-)politischen Akzente in der Vertretung öfters von anderen Parteien kritisiert, die sich benachteiligt fühlten. Ob Kungeleien, Hochglanzbroschüren und konsensuelle Debatten allerdings geeignet sind, das ohnehin angeknackste Vertrauen der Wähler in die Politik und erst recht in die europäische Sache zu stärken, darf man getrost bezweifeln.

Ines Kurschat
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