Am Dienstagmorgen erscheint Monica Semedo, Sidecut und Leopard-Stiefel, im Themis-Saal des Europäischen Gerichtshofs in Kirchberg. Sie wird von ihrer Mutter und zwei Anwälten begleitet, fotografiert sich und den Saal, filmt Reels für ihre Social-Media-Accounts. Neben ihr haben fünf Vertreter/innen des Europaparlaments Platz genommen. Monica Semedo, ehemalige Abgeordnete im Europaparlament, fechtet die europäische Institution an. Für sie geht es offenbar um nichts weniger als darum, ihre Ehre zu verteidigen.
Zwei Mal wurde Monica Semedo in den vergangenen drei Jahren vom Europaparlament wegen Mobbings ihrer Mitarbeiter/innen sanktioniert. Zuletzt wurden ihr von Präsidentin Roberta Metsola im April 2023 zehn Tagessätze à 350 Euro gestrichen. Vor dem Europäischen Gerichtshof fordert sie die Aufhebung der beiden Sanktionen. Ihr eloquenter Anwalt Thierry Bontinck stellt zu Beginn die beiden Argumente dar, auf die die Klägerin sich bezieht: Einerseits sei Monica Semedo im Rahmen der Prozedur nicht mit einem Anwalt gehört worden, was das Recht auf Verteidigung und „Gehörtwerden“ verletze. (Die Präsenz eines Anwalts ist in den Prozeduren des Europaparlaments nicht vorgesehen.) Zweitens seien ihr aufgrund von Datenschutzgründen die kompletten Aussagen der Mitarbeiter vorenthalten worden, was ebenfalls dazu führe, dass sie sich nicht angemessen verteidigen könne. Die Vorwürfe der Ex-Mitarbeiter über Nachrichten und Bereitschaften außerhalb von normalen Arbeitszeiten verbucht Semedos Anwalt als Teil der Arbeitswelt des Europaparlaments. Auch sei sie niemals mit „vulgären oder abwertenden“ Kommentaren aufgefallen: „Peut-être des humeurs, mais jamais de comportements abusifs.“ Es liege hier ein „offensichtlicher Beurteilungsfehler“ des Parlaments vor. Monica Semedo hört aufmerksam zu, schreibt auf ihrem I-Pad mit.
Die Vertreter/innen des Europaparlaments gehen bei der mündlichen Verhandlung wenig auf die Vorwürfe der Ex-Mitarbeiter ein. Sie argumentieren vor allem gegen die Prämisse, Monica Semedo habe von einem Anwalt begleitet werden müssen. Die ehemalige EU-Abgeordnete hatte sich schriftlich über ihren Anwalt geäußert, da sie nicht zu den Audienzen erschienen war, weil ihr kein Anwalt genehmigt wurde. Die Vertreter/innen des Parlaments sehen nicht, was die Anwesenheit eines Anwalts verändert hätte. Es geht insbesondere um zwei Anhörungen, die im April 2022 und im März 2023 im Rahmen der zweiten Prozedur stattfanden. Mehrere Stunden befragten fünf Richter/innen die beiden Parteien am Dienstag, wobei sie vor allem das Parlament unter Druck setzten. Dessen Vertreterin verwies wiederholt darauf, dass es sich bei den Anhörungen nicht um eine strafrechtliche, sondern um eine administrative Prozedur handle. Es gehe bei den Sitzungen vor dem Komitee darum, mit den Opfern und Tätern „ehrlich“ und „gelassen“ die Fakten herauszuarbeiten.
Monica Semedo, die nach der ersten Sanktion ihre Parteikarte abgab, bevor die Demokratische Partei sie ausschließen konnte, hatte den scheinbar perfekten Aufstieg hingelegt. Als Kind von kapverdischen Eltern in Grevenmacher aufgewachsen, wurde sie als Kind Sängerin, dann Moderatorin bei RTL, bis sie 2019 ein fulminantes EU-Wahlresultat hinlegte: National Viertplatzierte für die DP mit 50 890 Stimmen. Der Abstieg nach den Mobbingvorwürfen war genauso steil: Nachdem sie sich Fokus angeschlossen hatte, erhielt sie Im Mai noch 4 856 Stimmen. (Dabei bekam die DP 2019 natürlich wesentlich mehr Listenstimmen als Fokus dieses Jahr.) Die Interviews, die sie vor den EU-Wahlen gab, zeugen von wenig Einsicht. Neben Frank Engel bestritt sie im 100,7 im März „alle Vorwürfe vehement“, auch jene, für die sie sich bereits entschuldigt hatte. Im RTL-Radio sagte sie zwei Monate später, sie habe „Höhen und Tiefen gehabt, Probleme mit Mitarbeitern, die für niemanden schön“ gewesen seien. Geradestehen klingt anders.
In der vergangenen Mandatsperiode wurden zwei weitere EU-Abgeordnete sanktioniert. Etwa die sozialistische Abgeordnete Mónica Silvana Gonzalez, die ihre Assistenten psychisch belästigt hat; auch der spanische Renew-Abgeordnete José Ramon Bauzá wurde wegen Mobbing sanktioniert. In den zehn Jahren davor lassen sich die Fälle, in denen Sanktionen ausgesprochen wurden, an wenigen Fingern abzählen. Allein zwischen 2019 und 2021 wurden jedoch 34 neue Fälle von Mobbing oder sexueller Gewalt im EU-Parlament gemeldet. Letztes Jahr berichtete Politico von systemischen Problemen: Die Prozeduren seien zum Teil langwierig und so angelegt, dass Opfer von sexueller Belästigung oder Mobbing eher davor zurückscheuten, ihre Beschwerden öffentlich zu machen. Seit April gibt es nun eine obligatorische Anti-Belästigungs- und Anti-Mobbing-Schulung für alle EU-Abgeordneten. Ein Urteil in der Affäre Semedo gegen das Europaparlament ist in drei bis vier Monaten zu erwarten.