Euthanasie

Ein wenig Gnadentod

d'Lëtzebuerger Land du 17.04.2008

Droht Schwarz-Rot eine Koalitions­krise wegen der Euthanasie-Frage? Das hängt davon ab, ob ein Euthanasie-Gesetz formuliert wird, an dem auch die CSV sich beteiligen kann.

Derzeit ist das ausgesprochen unsicher. Es sei ja „noch gar nicht richtig diskutiert worden“ über den Gesetzesvorschlag von Lydie Err und Jean Huss, findet CSV-Fraktionssprecher Michel Wolter, und das Votum vom 19. Februar sei „nur ein prinzipielles“ gewesen. „Jetzt aber will ich wissen, ob bei uns aktive Sterbehilfe auf jene Ausnahmefälle eingeengt werden soll, denen Palliativbetreuung keine Linderung zu verschaffen vermag, oder ein allgemei­nes Recht auf Euthanasie und assistierten Selbstmord.“ Letzteres seit „mit der CSV auf keinen Fall“ zu haben.

Das trifft den Err-Huss-Vorschlag in dessen Kern: In Artikel 1 heißt es immerhin, Euthanasie und assistierter Suizid seien als Akte „à la demande“ der betreffenden Person zu verstehen. Gerichtet werden müsste diese Anfrage lediglich an einen Arzt. Der könnte ihr nachkommen, falls beim Patienten bestimmte Kriterien erfüllt sind und ein Kollege der gleichen Fachdisziplin zum selben Schluss kommt – er müsste es der Gewissensfreiheit wegen jedoch nicht. Ob diese Prozedur eingehalten wurde, soll im Nachhinein eine Kommission prü­fen, die in Zweifelsfällen die Staatsanwaltschaft einschaltet. 

Ginge es nach der CSV, würde eine Kommission vorher eingeschaltet und zum Entscheidungsorgan über Euthanasie. „Lydie Err und Jean Huss hatten ebenfalls jahrelang eine Ex-ante-Kommission vorgesehen, sie erst Mitte letzten Jahres in ein Ex-post-Gremium umgewandelt“, erinnert Wol­ter. Würde das wie­der rückgängig gemacht, „hätten wir das allergrößte Hindernis auf dem Weg zu einem Konsens beseitigt.“

Ein Vorstoß, der für Jean Huss dem Versuch, „das ganze Projekt zu kippen“ gleichkommt. Zumal der CSV-Fraktionssprecher derzeit Druck mache auf Abgeordnete, die vor zwei Monaten für Err/Huss gestimmt hatten. Dass er „Gespräche führt“, bestreitet Michel Wolter gar nicht: „Ein halbes Dutzend Abgeordnete hat sich mir gegenüber schon gegen eine allgemeine Freigabe der Euthanasie geäußert, nachdem ich ihnen erklärt hatte, worum es geht“. Sollte der Text in der Version vom 19. Februar in die zweite Lesung kommen, „werde ich ihn Artikel für Artikel auseinander nehmen und die anderen Abgeordneten fragen, ob sie das wirklich wollen“. Das solle Wolter nur tun, sagt Jean Huss. Die CSV beeindrucke ihn nicht mehr. Und immerhin hat Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) dem parlamentarischen Gesundheitsausschuss am Donnerstag vergangener Woche das Gutachten seiner Juristen über Compatibilité ou incompatibilité des Err/Huss-Vorschlags mit dem Palliativgesetz vorgelegt – und damit keine weiteren Probleme als die erkannt, von denen schon Lydie Err am 19. Februar meinte, sie gehörten ausgeräumt. Im Wesentlichen sind das Details; von ihnen abgesehen hält der Gesundheitsminister beide Texte für „komplementär“ und den Euthanasie-Vorschlag für eine „Verlängerung“ des Palliativgesetzes.

So scheint sich an der „Genehmigungs-Autorität“ der alte Kulturkampf erneut zu entzünden, der vor zwei Monaten eine liberale Regenbogenkoalition gegen Klerus, CSV und Luxemburger Wort triumphieren sah und heute in einem Petitionskrieg fortgeführt wird. Wie die Grünen hat auch die DP signalisiert, ohne weiteres den Text vom 19. Februar erneut zur Abstimmung zu bringen. „Verwässerungsversuche der CSV“ würden auf „entschiedenen Widerstand stoßen“, kündigte der liberale Abgeordnete und frühere Gesundheitsminister Carlo Wagner vergangenen Sonntag auf dem DP-Ostkongress an. In der Regierungspartei LSAP ist es offenbar nicht ganz ausgemacht, wie weit man zu gehen bereit ist: „Eine wechselnde Mehrheit innerhalb einer Koalition – ich kann mich nicht erinnern, dass es so was hierzulande schon mal gab“, sagt LSAP-Fraktionssprecher Ben Fayot. Unter anderem auch über die Rubrik „Zu Gast im Land“ dieser Zeitung hatte er vor drei Wochen die Lesart von der „exception de l’euthanasie“, auf die sich der CSV-Nationalvorstand kurz zuvor beim „Überdenken“ der bisherigen christlichsozialen Sterbehilfepolitik geeinigt hatte, als Konsensmöglichkeit aufgegriffen. Vizepremier Jean Asselborn hoffte beim Pressebriefing der Regierung vergangenen Freitag auf einen „Konsens in der Substanz“. Parteipräsident Alex Bodry dagegen hatte zwei Tage zuvor im RTL-Fernsehen gemeint, bei aller Konsenssuche könne man nach dem Resultat vom 19. Februar „nicht plötzlich die Regeln ändern“.

Im Hintergrund all dieses Hin und Her in den Medien hat die CSV bemerkenswerte Schritte in Richtung ihrer Kontrahenten gemacht. Nicht nur wird nun öffentlich eingeräumt, dass es falsch war, sich aus der politischen Arbeit am Err/Huss-Vorschlag herauszuhalten und zu glauben, er fände eh keine Mehrheit im Plenum der Abgeordnetenkammer: Dass es vor dessen erster Lesung zu keiner inhaltlichen Diskussion im parlamentarischen Gesundheitsausschuss kam, lag nicht in erster Linie daran, dass der Staatsrat von der Begutachtung des endgültigen Textes mit der Bemerkung abgesehen hatte, er sei unverträglich mit dem Entwurf zum Palliativgesetz, sondern am ausdrücklichen Wunsch der CSV, dass es zu einer solchen Diskussion nicht kommen sollte.

Auch „die Befürchtung, dass eine Vorab-Kommission zu einer Euthanasie-Verhinderungskommission würde“, sei grundlos, erklärt die CSV-Abgeordnete Martine Stein. Selbst falls ein Kranker ohne Heilungsaussicht eine Palliativbetreuung von vornherein ablehnt und so das schon im Krankenhausgesetz festgeschriebene Patientenrecht auf Zurückweisung einer Behandlung geltend macht: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Kommission ihm dann eine Euthanasie verweigert.“ Man wolle nur, sagt Michel Wolter, Fälle ausschließen wie den des französischen Philosophen André Gorz, der vor rund zwei Monaten gemeinsam mit seiner seit Jahren unheilbar kranken Ehefrau aus dem Leben zu gehen beschloss und unter starker Beachtung der Medien nach einem Arzt suchte, der beiden das entsprechende Mittel reichen sollte. Die neue CSV-Linie wird von 22 der 24 Abgeordneten geteilt, teilt die Fraktion noch mit: nur Marie-Josée Frank als generelle Euthanasie-Gegnerin lehnt es ab, so vorzugehen, aber auch Nancy Kemp-Arendt, die als einziges Fraktionsmitglied für Err/Huss stimmte. „Wer wirklich einen Konsens will, sollte mit uns zumindest über diese Vorschläge reden“, meint Wolter.

Die Versuche, sich politisch wieder ins Spiel zu bringen und vielleicht sogar die Meinungsführerschaft zu erlangen, richten sich an den Gesundheitsausschuss, dem Wolter vorwirft, die CSV-Vorschläge prallten an LSAP, DP und Grünen ab, aber wohl auch an den Koalitionspartner. Gespräche mit der LSAP über die neue Linie der Christlichsozialen gab es schon. „Wir hatten auch mit Lydie Err gute Gespräche“, sagt Martine Stein. Wobei Err gegenüber dem Land jedoch klarstellt, sie habe nicht etwa einer Vorab-Kommission zugestimmt.

Denn wie man das neue Denken in der CSV-Fraktion auch auffasst: Eine solche Kommission wäre eine Institution einer Genehmigungskultur, wie sie der Gesetzesvorschlag überwinden soll, wenn es ums Sterben geht. Mit Überarbeitungen am Text wollte Lydie Err am 19. Februar in der Abgeordnetenkammer nur insofern einverstanden sein, wie der „gemeinsame Nenner es morgen jedem ermöglicht, in aller Gewissensfreiheit das für sich zu tun, was er für richtig hält“. So betrachtet, wäre der CSV-Vorschlag unannehmbar nach dem Votum von damals.

Allerdings wird es kurzfristig zu einem Abgleich mit einem weiteren Akteur kommen müssen: Der Ärzteverband AMMD wendet sich in einem Gutachten zum Err/Huss-Vorschlag ausdrücklich gegen eine Ex-post-Kommis­sion: „Dass ein Arzt, der Euthanasie verabreicht hat, anschließend darum bangen soll, ob jemand ihn wo­möglich belangt, akzeptieren wir nicht“, sagt AMMD-Generalsekretär Claude Schummer. „Wenn der Gesetzgeber ein Kontrollorgan unbedingt einführen will, dann nur ex-ante.“ Nur dann sei für den Arzt genug Rechtssicherheit gegeben. „Sonst könte die Eu­thanasie-Gesetzgebung sich sogar als Pyrrhussieg entpuppen und sich kaum ein Arzt finden, der bereit ist, Euthanasie zu erteilen.“

Eine Ankündigung, die den Gesundheitsausschuss aufgeschreckt hat: Nachdem weder die AMMD noch der Collège médical zum Euthanasie-Projekt bisher um ihre Meinung gefragt wurden, ist für die Ausschusssitzung am kommenden Donnerstag die Anhörung gleich beider Gremien geplant. Zur Sprache kommen dürfte dort aber auch die Frage des Selbstbestimmungsrechts des Patien-ten: Als Entscheidungsgremium sei eine Ex-ante-Kommission unprak­tikabel, meint AMMD-Generalsekretär Schummer. „Wer will auf Basis welcher Kriterien für alle möglichen Fälle einschätzen, wer Euthanasie bekommen soll und wer nicht?“ Da würde der Ärzteverband der Entscheidungsfreiheit des Patienten den Vorrang geben. „Dass dies der einzig praktisch gangbare Weg ist, habe ich kürzlich auch dem Premierminister gesagt“, so Schummer.

Die Position der AMMD fügt der politischen Debatte noch einen Komplexitätsgrad hinzu: Denn setzte sich die Einsicht durch, dass eine Vorabkomission unpraktikabel wäre und würde eine Ex-post-Kontrolle von den Ärzten abgelehnt, was bliebe dann? „In dem Fall würde der Beruf sein eigenes Gremium bilden“, meint Schummer. Ein Gremium, das den Arzt berät, ihn aber nicht kon-trolliert. Da eine Abwesenheit von offizieller Kontrolle aber vermutlich von keiner Fraktion akzeptiert werden dürfte, ist der Ausgang der Diskussion um so ungewisser, und am Ende könnte der Ärzteverband ihn stärker bestimmt haben als die gewendete CSV.

Peter Feist
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