Notizen zur Kleiderordnung im Kulturbetrieb

Falsche Venezianer oder: Aus dem Leben der Schaufensterpuppen

d'Lëtzebuerger Land du 11.10.2024

Ja, es ist immer wieder schön, wenn ein Minister überall in Erscheinung tritt und quasi allgegenwärtig ist. Herr Thill, der frischgebackene Prachtkerl im Kulturministerium, überschlägt sich geradezu vor öffentlicher Präsenz. Seine Hauptaufgabe scheint darin zu bestehen, seine Person so oft wie möglich auszustellen. Natürlich macht er einen vorteilhaften Eindruck. Schon allein vestimentär ist er seinen Vorgängern aus der DP (Nagel, Arendt, Bettel) haushoch überlegen. Gewiss, man sollte einen Amtsträger nicht nach der Kleidung beurteilen, sondern nach seiner Leistung. Doch kann die Kleiderordnung eine herausragende kulturpolitische Rolle spielen und Leistung ersetzen. Man sollte sie daher nicht ignorieren.

Jedenfalls springt Herrn Thills Garderobe ins Auge. Er ist immer tiré à quatre épingles, einwandfrei kostümiert und frisiert, geschniegelt und gestriegelt, nett und adrett, zugleich ohne Ecken und Kanten. Von einem derart aufgekratzten und modisch ausstaffierten Staatsvertreter sollte man erwarten können, dass er auch in seinen offiziellen Mitteilungen Energie und Dynamik versprüht. Auf Facebook ist der Minister sehr aktiv. Er dokumentiert akribisch seine Erscheinungen in der Öffentlichkeit. Um sich stets vorteilhaft ins Bild zu setzen, lässt er sich auf seinen Kulturreisen von einem eigenen Fotografen aus seinem Ministeriums-Staff begleiten. Dieser offizielle Knipser ist nicht zu beneiden. Sein künstlerischer Spielraum ist stark eingeschränkt. Denn Herr Thill beherrscht eigentlich nur eine Pose: die des aufrechten, putzmunteren, selbstbewussten und selbstbeherrschten Kulturhandelsreisenden. Alle Fotos sind sich zum Verwechseln ähnlich. Ein einziges würde im Grunde für alle Zwecke ausreichen.

Wo auch immer er als menschliche Zierpflanze auftritt, spart er nicht mit fast schon mechanischem Lob: Alles schön, alles gut, bemerkenswerte Leistung, Glückwunsch, und auffällig oft das Prädikat „eise Patrimoine“. Irgendwie scheint er systematisch Kultur und Tourismus zu verwechseln. Er beschränkt sich auf eine Handvoll wohlfeiler, flächendeckend ausgestreuter Komplimente, die nichts kosten. Oder anders gesagt: auf eine abgestandene, im Kreis drehende Leier mit den immergleichen Reizworten. Der Sprachschatz des Ministers ist auffällig prekär. Er bemüht sich nicht, seine Facebook-Einträge zu diversifizieren, obwohl er „Diversität“ immer wieder beschwört. Vor allem fehlt der gesellschaftspolitische Rahmen. Er setzt die Kultur nicht in einen größeren Sinnzusammenhang.

Warum versagt er sich zum Beispiel ein Statement zur unsäglichen Petition 3198, die darauf abzielt, LGTBQ-Personen in den staatlichen Schulen auszugrenzen? Immerhin greift diese diskriminierende Initiative unmittelbar in den gesamten Kultursektor hinein. Warum unterstreicht er nicht, dass kommunale Kulturpolitik auf gar keinen Fall in der Verantwortung eines verurteilten Steuerhinterziehers liegen darf? Herr Thill schweigt vornehm. Die Flucht nach vorn ist seine Rettung. Er versteckt sich in der Rolle des sympathischen Onkels mit dem Subventionstopf. Könnte es sein, dass neoliberale Kulturpolitik keine Reflexionsebene braucht? Das Kulturdebakel Esch22, verursacht von einer parteilinientreuen DP-Managerin, hat überdeutlich die Eckwerte sichtbar gemacht: Zwangsjacke für die Künstler, große Bühne für die Sponsoren aus der Wirtschaft. It’s the economy, stupid!

Unterdessen häufen sich die gediegenen Ausweichmanöver. Neulich reiste der heimische Kulturboss nach Venedig zur Mostra. Diese Stadt steht wie keine andere für die hohe Kunst der Maskerade. Sie steckt voller Trugbilder. An diesem frühherbstlichen Trip ist alles unwirklich und schief. Geht es hier, wie behauptet, um die Filmkunst oder um einen Selbstdarstellungs-Wettbewerb in touristischer Kulisse? Womit wir wieder bei der Kleiderordnung wären. Mit endlos langen Fotostrecken dokumentiert RTL, was sich hier abspielt: Das großherzogliche Paar mitsamt Kulturminister zieht durch die Straßen der Filmmetropole, von den Venezianern herzlich ignoriert, doch umso felsenfester von der eigenen Wichtigkeit überzeugt. Frau Mestre wechselt die aufgedonnerten Verkleidungen bei jedem neuen Auftritt, Herr Thill stelzt steif wie gewohnt neben den Hoheiten, Herr Daleiden vom verwöhnten Film Fund hoppelt hinterher im Bohème-Look; ganz so, als sei er einer anarchischen Künstlerkommune entsprungen und nicht etwa ein seit Ewigkeiten rundum versorgter, von seiner Partei DP ins Amt gehievter Funktionär.

Unterwegs macht die mondäne Gesellschaft auf dem Festivalgelände halt und lässt sich klobige VR-Brillen aufsetzen. Es ist ein Bild für die Götter: Die Seilschaft verschwindet in imaginären Welten, Herr Thill schwärmt von Luxemburgs Kapazität, augmented reality filmtechnisch zu meistern, da sind wir Vorreiter, wenn nicht gar Weltklasse, ganz so, als hätten wir nicht schon genug reduced reality. Jedenfalls hat diese Szene Symbolkraft. Unsere gesamte Regierung leidet nämlich längst unter schwerem Realitätsverlust. Sie hat ihre VR-Brillen schon verinnerlicht.

Irgendwann landet die surreale Prozession auf dem roten Teppich vor dem Filmpalast. In der Presse dürfen wir lesen, wie toll Frau Mestre sich präsentiert und die Kleiderordnung ins Scheinwerferlicht rückt. Sie trägt „ein violettes Neckholder-Kleid von Bianco Levrin, Sandalen von Laurence Dacade und Ohrringe von Hanae Mori“. In welchem Film sind wir hier? Vermutlich im falschen. Wir mäßig gekleideten Laien fragen uns nämlich: Wie um alles in der Welt kann mat diese Modefreaks mit der Filmkunst in Zusammenhang bringen? Seit wann sind sie Filmexperten? Was verbindet sie mit Kunst?

Nun denn, über den Kunstgeschmack des Monarchen und seiner Gattin kann man sich nur wundern. Das erlauchte Paar lässt sich zum Beispiel umgarnen von einem Herrn namens Jacques Schneider, der unter dem Künstlernamen „Kritzel“ firmiert. Dieses Pseudonym ist gut gewählt. „Kritzeln“ bedeutet, „wahllos Schnörkel, Striche o.Ä. zeichnen“ (Quelle: Oxford Languages). Unter den Synonymen findet man noch deutlichere Umschreibungen: „herumkrakeln, herumschmieren, hinsudeln“. Kritzel geht bei Hofe ein und aus. „Im Jahr 2022 wurde er von Seiner Königlichen Hoheit, dem Großherzog, zum ‚Ritter des zivilen und militärischen Verdienstordens Adolphe von Nassau‘ ernannt“, schreibt er über sich. Offenbar hat er sich vorgenommen, die Monarchie mit lauter knallbunten Abbildungen zu verwursten. Auf seinen zahllosen, im Eilverfahren hingeschluderten Vignetten erscheint der Großherzog samt Frau Mestre wahlweise als Märchen-Duo mit herzförmigen Augen oder als farblich verfremdetes Herrscher-Automaten-Paar. Kurzum: Wenn die Großherzogs es nicht einmal schaffen, sich aus den Fängen dieses Auf-Schneiders zu befreien, darf man stark an ihrer Kunstaffinität zweifeln. Es sei denn, Kritzels Bildchen, die nach schlecht kopiertem Andy Warhol aussehen, entsprechen genau ihrem Gusto. Dann ist ohnehin Hopfen und Malz verloren.

Es lohnt sich, Kritzels Website 3xvive.lu (eine weitere speichelleckerische Anspielung auf das Herrscherhaus) in Augenschein zu nehmen. Hier erkennt man nämlich, dass der Anspruch, Künstler zu sein, eine reine Schutzbehauptung ist. Kritzel produziert nichts anderes als „Mode & Fashion“. Seine Absicht ist merkantil, nicht künstlerisch. Er schmeißt sich überall ran, wo er das schnelle Geschäft wittert: etwa an die Polizei, die Feuerwehr, die Rettungsdienste oder die Drogenfahnder. All diesen wackeren Landsleuten, die er „nos héros“ nennt, widmet er spezielle Kleidungsstücke mit aufgedruckten Emblemen. Ein Polizist darf zum Beispiel ein schwarzes T-Shirt mit stilisierter Schusswaffe auf dem Thorax erwerben. Dieser Schießprügel erscheint nochmals im bedrohlichen Großformat auf dem Hemdrücken.

Kritzel, der sich eigenen Angaben zufolge „für humanistische Werte einsetzt“, wirft auch sogenannte „ethical clothes“ auf den Markt. Damit visiert er alle moralisch einwandfreien, edlen, rechtschaffenen und tugendhaften Luxemburger, also nichts weniger als die gesamte Bevölkerung. Jeder und jede darf sich ein Shirt oder ein Hoodie anschaffen mit absolut sinnfreien Sprüchen wie „fille grand-ducale, garçon grand-ducal, Léiw, De léiwe Léiw, Léift Girl, Léiwe Boy“ oder kurz „Heemecht“. Nicht auszudenken, dass auch Einbrecher und andere zwielichtige Gesellen sich mit dieser Tracht eindecken könnten. Es wäre die ideale Tarnkleidung.

Während die Großherzogs im feinsten Faden mit der Ministerialschickeria im Schlepptau durch die Lagunenstadt lustwandeln, tobt in Luxemburg bei den daheimgebliebenen Untertanen „op der Fouer am Stall“ die volkstümliche Kulturbegeisterung. In dieser zutreffend benannten Saufbude spielt die Kleiderordnung überhaupt keine Rolle. Jeder Fummel ist willkommen, gern entblößt man auch mal den Bierbauch, um sich einen Sticker der „Partyhexe“ Susal – Selbstbeschreibung: „Diverse Oktoberfeste im ganzen Land gehören zu ihrem Portfolio“ – auf den Speck kleben zu lassen. An diesem Ort der feuchtfröhlichen Enthemmung wäre der stets strammstehende Kulturminister ein echtes Kuriosum. Da geht er lieber nicht hin. Wo die gestrandeten Stimmungskanonen aus den berüchtigten Nightlife-Glutöfen von Mallorca die Sauf- und Rauflust befeuern, greift kein noch so ausgeklügelter Kep (Kulturentwicklungsplan). Da zieht es der Minister vor, ins zwar morbide, aber bekleidungsmäßig gesittete Film-Venedig zu flüchten.

Doch siehe da, wer schaut auf der Schobermesse schon wieder um die Ecke? Genau, unser umtriebiger Kunstbolzen Kritzel. Gleich hinter dem glitzernden Eingangsportal hat er seinen Merchandising-Stand aufgebaut. Mit missionarischem Eifer tritt er an, um die geschundene Fouer-Kleiderordnung wieder zurechtzurücken. Eigens für den legendären Jahrmarkt hat er ein T-Shirt mit der Aufschrift „Stolz op eis Fouer“ entwickelt. Das ist ein grandioser Einfall. Und die Idee ist beliebig ausbaufähig. Stolz op eisen Tram, stolz op eis Autobunnen, stolz op eis CFL, stolz op eise Keup, eise Weidig an eise Gloden, stolz op eis Steierhannerzéier (die DP würde garantiert den gesamten Bestand aufkaufen), stolz op eis Brauereien, stolz op eise Willibrord, stolz op eis Consolatrix, stolz op eis Kathedral. Und so weiter.

Stichwort Kathedrale: Kritzels jüngstes Vermarktungsopfer ist der Papst. Er hat den heiligen Mann einer Pop-Art-Behandlung unterworfen. Gläubige wie Ungläubige dürfen jetzt T-Shirts und Kappen mit dem stilisierten Konterfei des Vatikanchefs erwerben. Und es ist wirklich kein Wunder: Auch der oberste Kathole hat herzförmige Augen, genau wie der verkritzelte Monarch und seine Gattin. So herzhaft und herzlich hat noch keiner in die kirchliche Hierarchie eingegriffen. Diese religiös verbrämten Kleidungsstücke dürften nicht nur bei der Christenfraktion ein Verkaufsschlager werden. Ja, über den Herzäugleinpapst freuen sich bestimmt auch abertausende Missbrauchte und Misshandelte aus katholischen Einrichtungen in aller Welt. Doch was müssen wir im Télécran (37/2024) lesen? Der wendige Kritzel distanziert sich tatsächlich von seinem eigenen Werk. Er betont: „Nur weil man eine Kappe mit dem Papst drauf trägt, heißt das noch lange nicht, dass man gläubig ist.“ Kritzel spricht also seiner eigenen Kunst die Kreditwürdigkeit ab. Ist das nun Feigheit oder Kalkül? Entweder er schafft etwas aus Überzeugung, oder er lässt es bleiben. Leider scheint er sich auf das Credo zu stützen, dass man auch aus Täschungsmanövern Geld schlagen kann.

Aus Sicht der Großherzogs endete die Mostra mit einem Eklat. Pedro Almodovars Gewinnerfilm The Room Next Door handelt nämlich von Beihilfe zum Suizid. Dieses Thema widerspricht allem, was der Monarchenfamilie heilig ist und was die katholische Luxemburger Regierung energisch tabuisiert. Unzuverlässigen Quellen zufolge hat sich die fundamental fromme Frau Mestre über das preisgekrönte Teufelswerk so erbost, dass ihr vor lauter Empörung fast die exquisiten Klamotten vom Leib flogen. Um ein Haar wäre es zu einem fatalen Kleiderordnungsunfall gekommen. Unvorstellbar! Und jetzt? Uns bleibt nur, mit Bertolt Brecht zu klagen: Der Vorhang zu und alle Fragen offen.

Guy Rewenig
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