Die Porsche-Volkswagen-Story

Aufstieg und Fall des Hauses P

d'Lëtzebuerger Land du 28.01.2010

Kulturschaffende kritisieren gerne den Kapitalismus. Vielleicht ist es einfach nur Neid? Die Show, die Volkswagen und Porsche in letzter Zeit boten, war jedenfalls spannen­der als die meisten Stadttheater. Sogar blaues Blut aus dem Morgenland spielt eine Rolle im spektakulären Machtkampf um den größten Autohersteller der Welt: Am heutigen 29. Januar zieht Scheich Jassim Bin Abdulaziz Bin Jassim Al-Thani in den Aufsichtsrat der Porsche SE ein. Der Vertreter des Emirats Katar ist der erste Gesellschafter, der nicht zum Clan der Piëchs und Porsches gehört. Er übernimmt den Platz von Hans-Peter Porsche, dem Bruder von Aufsichtsratschef Wolfgang Porsche.

Die Übernahmeschlacht begann im Herbst 2005. Damals beteiligte sich die Stuttgarter Porsche AG mit rund 20 Prozent an dem Volkswagenkonzern mit Stammwerk in Wolfsburg. Porsche-Chef Wendelin Wiedeking begründete den Einstieg mit gemeinsamen Projekten, wie zum Beispiel dem Geländewagen Cayenne. Wiedeking hatte 1992 den Vorstandsvorsitz von Porsche übernommen, als der Sportwagenbauer gerade selbst bedroht wurde, von Daimler-Benz oder auch von Toyota geschluckt zu werden. Unter Wiedekings Leitung stieg Porsche zu einem der profitabelsten Autohersteller der Welt auf.

Vom Aufschwung des edlen Familienbetriebs profitierte nicht zuletzt Ferdinand Piëch, der 13 Prozent der Porsche-Stammaktien besaß. Piëch, 1937 in Wien geboren, ist ein Cousin des bereits erwähnten Porsche-Aufsehers Wolfgang Porsche und ein Enkel des Österreichers Ferdinand Porsche, der sich 1931 in Stuttgart mit dem Konstruktionsbüro selbstständig gemacht hatte, aus dem dann die beiden Unternehmen Volkswagen und Porsche hervorgingen. Ferdinand Piëch hatte seine Karriere bei Porsche begonnen, war aber nach Streit mit Produktionsleiter Hans-Peter Porsche zu Volkswagen gewechselt. Er wurde 1975 Vorstand von Audi, 1993 Vorstand von VW und ist seit 2002 Vorsitzender des Aufsichtsrats von Volkswagen.

Begleitet von Beteuerungen, Volkswagen nicht übernehmen zu wollen, bauten in der Folge Wiedeking und Porsche-Finanzchef Holger Härter mit Hilfe einer trickreichen Aktien- und Optionsstrategie ihren Einfluss bei VW aus. Im Jahr 2007 wurden die Porsche AG und die Beteiligung am VW-Konzern in der Porsche Automobil Holding SE gebündelt. Dank der Finanzgeschäfte übertraf der Gewinn dieses Gebildes zeitweise sogar seinen Umsatz.

Zu einem ersten Eklat kam es 2008, als Ferdinand Piëch im VW-Aufsichtsrat seinen Porsche-Verwandten in den Rücken fiel und einen Antrag der Arbeitervertreter von VW passieren ließ, wonach Geschäfte zwischen Porsche und Audi nur mit Zustimmung des VW-Aufsichtsrats möglich sein sollten. Der Versuch des VW-Betriebsrats, die aus seiner Sicht für die VW-Arbeiter nachteilige Mitbestimmungsregelung der Porsche-Holding zu kippen, scheiterte jedoch am Arbeitsgericht Stuttgart.

Im September 2008 hielt Porsche 35,14 Prozent der VW-Stammaktien. Auch Wiedekings Kampf gegen das VW-Gesetz schien gut voranzukommen: Weil das deutsche Bundesland Niedersachsen seit der Privatisierung des VW-Konzerns im Jahr 1960 eine Sperrminorität und zwei Aufsichtsratssitze hat, was Übernahmen oder Verlagerungen des Firmensitzes behindert, leitete die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein. Im Jahr 2008 produzierte Porsche mit 12 000 Mitarbeitern in Zuffenhausen bei Stuttgart 105 000 Sportwagen – der vom Umsatz her 15 Mal größere VW-Konzern dagegen mit 370 000 Angestellten in 61 Fabriken rund um die Welt über 6,3 Millionen Fahrzeuge, überwiegend bodenständige Modelle für den Massenmarkt. Porsche fuhr einen Nettogewinn von knapp 6,4 Milliarden Euro ein, Volkswagen brachte es auf rund 4,7 Milliarden.

Als Porsche im Oktober 2008 ankündigte, bis Ende 2009 eine VW-Beteiligung von 75 Prozent und einen Beherrschungsvertrag anzustreben, schossen die VW-Aktien in die Höhe. Kurze Zeit war Volkswagen das wertvollste Unternehmen der Welt. Der Kurssprung von 150 auf 1 000 Euro machte aber nicht alle Börsianer glücklich. Zu den Spekulanten, die sich mit Leerverkäufen von geliehenen VW-Aktien katastrophal verzockten, gehörte zum Beispiel der Milliardär Adolf Merckle: Der Patriarch eines Unternehmensimperiums leitete die Zerschlagung seines Lebenswerks und den Verkauf des Medikamentenherstellers Ratiopharm noch selbst in die Wege und warf sich dann bei Ulm vor einen Zug.

Im Januar 2009 hielt die Porsche SE 50,76 Prozent der VW-Stammaktien, dazu Optionen auf weitere gut 20 Prozent der Stämme und Kaufoptio-nen auf die Hälfte der stimmrechtslosen VW-Vorzugsaktien. Dafür hatten die Angreifer allerdings 23 Mil-liarden Euro Schulden aufgehäuft – und im Zuge der Finanzkrise ging ihnen die Luft aus. Im März sicherte sich Porsche zwar nach zähem Ringen mit Banken noch einmal neue Kredite über zehn Milliarden Euro, musste dann aber im Mai die Übernahmepläne begraben. Für das laufende Geschäft benötigte die Porsche AG dringend Bargeld. Die Familien Porsche und Piëch entschieden auf einem „Friedensgipfel“ in Salzburg, den man sich wohl recht animiert vorstellen muss, die Unternehmen Volkswagen und Porsche zu fusionieren. Wer in dem neuen Konzern das Sagen haben sollte, blieb zunächst unklar. Ferdinand Piëch ließ es sich jedenfalls nicht nehmen, öffentlich die Kreditwürdigkeit von Porsche anzuzweifeln.

Porsche-Chef Wiedeking, der die deutsche Wirtschaft immer wieder mit forschen Kommentaren zur mangelhaften Befähigung von Beamten, Bankern und Managerkollegen belebt hatte, gab sich aber nicht geschlagen, sondern fing Verhandlun­gen mit dem Emirat Katar an. Zum Gelächter der Nation beantragte der mit rund 80 Millionen Euro pro Jahr bestbezahlte Manager Deutschlands sogar bei der staatlichen Förderbank KfW ein Darlehen über 2,5 Milliarden Euro. Diese Form der Sozialhilfe wurde dem Luxusschlitten-Fabrikanten aber nicht gewährt. Immerhin erwarben die Scheichs für sieben Milliarden Euro einen Anteil von zehn Prozent an der Porsche SE.

Tagelang wurde im Juli 2009 Wiedekings Abgang von Porsche dementiert. Nach einer nächtlichen Aufsichtsratssitzung mussten dann im Morgengrauen des 23. Juli Wiedeking und Finanzvorstand Härter mit sofortiger Wirkung den Sportwagenbauer verlassen. Die VW-Aufsichtsräte, die sich am Nachmittag in aufgeräumter Stimmung zu einer Tagung im Konferenzzentrum des Stuttgarter Flughafens einfanden, sahen sich im Fernsehen die Übertragung der Porsche-Betriebsversammlung an, bei der Aufsichtsratschef Wolfgang Porsche weinte. Schließlich einigten sich Volkswagen und Porsche im August auf eine Grundlagenvereinbarung: Bis 2011 wird Porsche schrittweise zur zehnten Marke des Volkswagenkonzerns – neben VW, Audi, Bentley, Bugatti, Lamborghini, Scania, Seat, Škoda und der Nutzfahrzeugsparte. Die über 1 200 Seiten langen Durchführungsverträge mussten von Notaren vorgelesen werden, die dafür Schauspielschüler anheuerten.

Am 3. Dezember gab eine außerordentliche Hauptversammlung in Hamburg dem Volkswagenkonzern grünes Licht, umgehend mit 49,9 Prozent bei Porsche einzusteigen und außerdem für knapp 3,6 Milliarden Euro die Porsche Salzburg Holding, Europas größten Autohändler, von den Familien Porsche und Piëch zu übernehmen. Kleinaktionäre, etwa der mit 270 Mil-lionen Euro bei VW investierte Pen-sionsfonds Norwegens, motzen zwar, die Fusion diene bloß den Interessen der Porsche-Eigentümerfamilien. Gegen die drei VW-Großaktionäre Porsche-Piëch-Sippe, Katar und Nieder­sachsen hatten sie aber keine Chance. Die Sonderrechte des Landes Nieder­sachsen wurden so in die VW-Satzung geschrieben, dass auch allfällige EU-Klagen daran nichts ändern können sollen.

Die mit der Ausgabe von bis zu 135 Millionen neuen Vorzugsaktien finanzierte Rettungsaktion für Porsche wird Volkswagen insgesamt gut 16 Milliarden Euro kosten. Gehässig rechnete das manager magazin vor, dass man dafür auch ein Drittel des viel größeren Daimler-Konzerns kaufen könnte. Im Fall einer Pleite der Porsche SE müsste allerdings der Insolvenzverwalter deren VW-Aktien meistbietend verkaufen – etwa an irgendwelche Chinesen. Dieses Risiko wollte der Gründerclan wohl um jeden Preis vermeiden.

Während die Staatsanwaltschaft Stuttgart noch wegen Kursmanipulationen gegen die ehemalige Porsche-Spitze ermittelt, was Milliarden-Klagen nach sich ziehen könnte, ist Volkswagen schon weiter auf Expansionskurs. Für 1,7 Milliarden Euro beteiligt sich der Wolfsburger Konzern nun mit 20 Prozent am japanischen Kleinwagen- und Motorradproduzenten Suzuki. Nebenbei schluckt VW den insolventen Zulieferer Karmann, der in Osna-brück Cabrios fertigt. Es ist kein Geheimnis, dass bald auch der Münchner Lastwagenhersteller MAN vollständig übernommen werden soll – Volkswagen will alles, was fährt.

Wenn man den Marktforschern von Global Insight glaubt, hat Volkswagen bereits im vergangenen Jahr mehr Fahrzeuge verkauft als Toyota, Ford und General Motors. Wie lange sich Ferdinand Piëchs Auto-Riesenkonzern an der Weltspitze halten kann, ist eine andere Geschichte. Der VW-Stoff sollte aber auch so für eine Oper reichen. Oder wenigstens für eine TV-Serie.

Martin Ebner
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