Problembewusstsein

Intimfrisurtortur

d'Lëtzebuerger Land du 06.01.2012

Heute loben wir das geschärfte Problembewusstsein. Jetzt kommt also das Jahr der Ernsthaftigkeit. Da schließen wir uns gerne an. Viel zu lange ließ sich die Presse treiben im Sumpf der Ironie. Immer nur Hohn und Spott, ständiges Lästern und Mäkeln, das kann zu nichts Gutem führen. Wir geloben also, ab sofort die Probleme abgeklärt, besonnen, gediegen, sachbezogen, neutral und objektiv abzuhandeln. Schluss mit dem billigen Zynismus!

In der Rubrik „Life [&] Style“ auf dem Internetforum von RTL arbeitet ein Problemspezialist, den wir nur empfehlen können. „Intimrasur a Gleitmëttel: E gudde Rutsch an d’neit Joer“, lautet eine seiner jüngsten Einlassungen. Wir geben gerne zu, dass uns die sexuelle Herkunft des „gudde Rutsch“ bislang nicht bekannt war. Natürlich passen wir jetzt besser auf, wem wir unsere Neujahrswünsche übermitteln. Es wäre sicher nicht angebracht, zum Beispiel einer Nonne oder einem Vikar einen „gudde Rutsch“ anzutragen.

Entscheidend ist aber, dass uns der Intimfrisur-Experte ein Problem beschert, das wir selber lösen können. Auf die meisten Probleme haben wir bedauerlicherweise überhaupt keinen Einfluss. Sie wachsen uns über den Kopf und wir können nur die Rolle entsetzter Statisten spielen. Bankrott allenthalben, Finanzkrise, Verfall der politischen Sitten, Korruption und Machtmissbrauch wo man hinschaut, an all diesen krassen Fehlentwicklungen können wir Durchschnittsbürger gar nichts ändern. Umso besser, wenn wir jetzt aktiv werden und zu neuen Ufern aufbrechen dürfen: heute noch wollen wir anfangen mit der kreativen Umgestaltung unserer Schamhaare! Wir übernehmen Verantwortung!

„Wann dat neit Joer virun der Dier steet, da léisst een esou munch Ales hannert sech. Wisou dann net och einfach d’Intimhoer?“, fragt der RTL-Experte. Die Frage ist vollauf berechtigt. Da wir über ein sehr altes „Intimhoer“ verfügen, sind wir gerne bereit, es zu Gunsten einer moderneren Gesellschaft zu opfern. „Ob ganz glat, getrimmt oder dach léiwer e ,Wildwuchs‘? Dëst Thema gëtt bei ville Koppelen an och Singelen staark diskutéiert.“ In diese Diskussionen möchten wir uns sofort begeistert einbringen. Wir haben nämlich ein paar verlockende Vorstellungen: Irokesenkamm über dem Schniedelwutz, Blümchenmuster im Intimteppich, kleines haariges Weihnachtsbaummotiv im Monat Dezember, oder einfach englischer Rasen mit ein paar kunstvollen Golflöchern. „Domadder ass den Trend jo gesat: Glat a getrimmt läit vir.“ Diesem Trend wollen wir folgen. Glatt ist immer gut. Aalglatt noch besser.

Das entsprechende Arbeitswerkzeug haben wir uns schon zugelegt. Hocherfreut haben wir festgestellt, dass unser neuestes Handy auch zur Schamhaarrasur taugt. Rasieren läuft jetzt synchron mit dem Telefonieren. Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Wir jedenfalls werden uns von Rückschlägen nicht einschüchtern lassen. Es kommt immer auf die Kompetenz an. Man muss eben wissen, wie man sich anlegt. Leider erreichen einige Zeitgenossen nicht mal einen minimalen Schamhaarkompetenzsockel, wie der folgende erschütternde Fall zeigt.

Ein guter Freund ging vor drei Jahren auf den Vorschlag seiner Friseuse ein, sich zweierlei stutzen zu lassen: die Augenbrauen und das Schamhaar. Das war ein fataler Fehler. Denn seither sprießen seine Brauen wie wild. Er sieht furchterregend aus, fast wie der leibhaftige Luzifer, das Gebüsch über seinen Augen ist mittlerweile ein Dickicht, das ihm den gesamten Schädel verunstaltet. Von seinem Schamhaar nicht zu reden. In seinem Intimbereich wuchert der reinste Dschungel. „Mee och ween seng Intimfrisur léiwer méi traditionell huet, sollt awer dorop oppassen, datt se net iwwert d’Bikinizone erauswiisst“, empfiehlt uns der RTL-Lifestyle-Spezialist. Da kann mein guter Freund nur lachen. Mit Rasiermessern und Scheren, neuerdings sogar mit handlichen Rasenmähern, versucht er die Haarlawine einzudämmen, ohne Erfolg. Er darf nicht einmal mehr daran denken, im Bikini aufzutreten. Er hat sich vielmehr eine Art Mönchskutte zugelegt, um seine exzessive Behaarung notdürftig zu verdecken. Auch das bringt nur eine beschränkte Linderung. Die Schamhaarsträhnen arbeiten sich ungezügelt aus der Kutte heraus, manchmal schleift mein guter Freund eine meterlange Kraushaarschleppe hinter sich her. Sein Life ist zur Tortur geworden, einen Style hat er gar nicht mehr. Und sein Liebesleben ist leider vollends zum Erliegen gekommen. Dieser grausame Fall ist aber nur der Beweis, dass es immer wieder Individualisten gibt, die sich dem Lifestyle und dem Mainstream widersetzen. Die Folgen müssen sie halt selber tragen. Wir aber kümmern uns brav um unsere Bikinizone. Sobald ein Härchen herausragt, schnippschnapp, weg mit dem Störenfried! Wir können uns also bedenkenlos jeder Zeit und überall im Bikini zeigen. Das erspart uns teure Garderoben und exzessive Abgaben an die Bekleidungsindustrie. Wir beherrschen unsere Schamhaarkonstitution und gehören demnach zu den staatlich gewünschten Sparern. Mit uns kann man jedes Budget sanieren.

Guy Rewenig
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