Konjunkturaussichten

Es fehlt der Schwung im Aufschwung

d'Lëtzebuerger Land vom 26.11.2009

Die guten Aussichten, die das statitische Amt Statec am Dienstag vorlegte, können schon ein wenig überraschen. Vor allem angesichts der Anfang des Jahres vorherrschenden Überzeugung, 2009 werde das Krisenjahr schlechthin, 2010 das der Stabilisierung und 2011 das Jahr, in dem der Aufschwung zwar vorhanden, aber immer noch recht schwach sein. Denn noch bei der Vorstellung des Antikrisenpakets im März war Staatsminister und Eurogruppenvorsitzender Jean-Claude Juncker (CSV) davon ausgegangen, dass mit einer leichten Erholung erst im zweiten Semester 2010 zu rechnen sei. 

Die gute Nachricht vom Statec lautet jetzt: Der Abschwung der Luxemburger Wirtschaft ist gebremst, und auch wenn noch keine harten Daten vorliegen, so ist davon auszugehen, dass der Aufschwung im dritten Quartal schon begonnen hat. Bereits im zweiten Quartal stabilisierte sich die Lage etwas, die Wirtschaft schrumpfte im Vergleich zum ersten Quartal nur noch um 0,3 Prozent. Fürs laufende Jahr sagt das Statec eine Kontraktion von 3,9 Prozent, fürs kommende Jahr ein Wirtschaftswachstum von 2,1 Prozent voraus.  

Der Aufschwung scheint demnach ein Jahr früher einzusetzen als erwartet. Werden die Arbeitnehmervertreter, wie beispielsweise die Chambre des salariés, die den Arbeitgebern wie auch der Regierung und der Zentralbank wiederholt vorgeworfen haben, die Lage aus ideologisch-politischen Gründen zu dramatisieren, um damit die Gesellschaft auf den geplanten Sozialabbau vorzubereiten, also doch Recht behalten? Schließlich hatte OGBL-Präsident und CSL-Vorsitzender Jean-Claude Reding vor den Wahlen und der Sommerpause im Gegensatz zu allen anderen bereits vorausgesehen, dass die Lage im Herbst sich derart verbessert haben werde, dass eine neuerliche Tripartite nicht nötig sein werde. 

Was hat also diesen verfrühten Genesungsprozess ausgelöst? „Die Industrie und die Finanzbranche, also genau die Branchen, die am schlimmsten von der Krise betroffen waren, haben sich etwas erholt“, so Ferdy Adam vom Statec. Die Talsohle in der Luxemburger Industrieproduktion war im März 2009 erreicht, schreibt das statistische Amt in der am Dienstag vorgestellten Note de conjoncture, da lag das Produktionsniveau 30 Prozent unter dem von März 2008. Am schlimmsten traf es laut Statec das Kautschukverarbeitende Gewerbe – dahinter kann man den Reifenhersteller Goodyear vermuten –, wo die Produktion in den ersten acht Monaten des Jahres 60 Prozent unter dem Vorjahresniveau lag. Weiteres Opfer: Die Stahlindustrie, die im gleichen Zeitraum Produktionsrückgänge von fast 40 Prozent verzeichnete. Seit April, meldet nun das Statec, geht es auf monatlicher Basis bergauf, wenn auch noch zaghaft. Denn die tatsächliche Produktion hinkte im Juli, dem derzeit letzten verfügbaren Monat, den in den Umfragen ermittelten Erwartungen der Produzenten hinterher. Weil die Stimmung in der Industrie im Oktober dennoch anstieg, erwartet das Statec für das vierte Quartal „endlich eine feste Erholung“.

Auch die Finanzbranche hat sich etwas aufgerappelt – sowohl die Banken, als auch die Investmentfondsbranche. Zwar schrumpfte der von der Branche geschaffene Bruttomehrwert im ersten Semester 2009 um 4,8 Prozent. Dennoch verzeichnet der Bankensektor eine Rückkehr in die Gewinnzone. Das liegt einerseits an den Sparprogrammen. Wie das Statec schreibt, gingen die Personalkosten in den ersten neun Monaten um 2,4 Prozent, die Beschäftigung um 2,8 Prozent zurück. Andernorts senkten die Banken ihre Kosten seit Anfang des Jahres gar um fünf Prozent. 

Dass die Banken wieder schwarze Zahlen schreiben, liegt aber laut Statistikamt vor allem daran, dass sich die „anderen Einnahmen“ erholt haben. Gemeint ist damit die Entwicklung der Wertpapierportfolios, welche die Banken in eigenem Namen führen, erklärten Ferdy Adam und Statec-Direktor Serge Alegrezza. Weil sich die Börsen erholt haben – der Index der 50 größten börsennotierten Unternehmen Europas, der Eurostoxx 50, legte zwischen März und August 2009 um 40 Prozent zu – erholte sich gleichzeitig die Bewertung der Wertpapierportfolios. Allerdings sinkt die Bilanzsumme der Banken seit Oktober 2008 kontinuierlich, – ein Hinweis darauf, dass die Geschäfte zurückgehen und das betrifft in Luxemburg vor allem die Interbank-Aktivitäten. Im Klartext heißt das: Die Luxemburger Banken vergeben sich gegenseitig und ausländischen Banken nicht mehr so viele Kredite, die Interbank-Kreditvergabe brachen seit Oktober 2008 um 14 Prozent ein. 

Kam die rezente Börsenhausse den Wertpapierportfolios der Banken zugute, so zog sie eine entsprechende Entwicklung in der Investmentfondsbranche nach sich. Waren die Einlagen in den Luxemburger Fonds zwischen Oktober 2008 und März 2009 durch den Absturz der Börsen und Anteilsverkäufe um 20 Prozent gesunken, stellt sich auch hier seit April eine Aufwärtsentwicklung ein, die nicht nur börsenbedingt ist. Die Anleger fassen wieder Vertrauen und bringen frisches Geld, kaufen wieder Anteile. Im Juli 2009, einem neuen Rekordmonat, insgesamt 75 Miliarden Euro. 

Ist damit der Weg aus der Krise geebnet? Substanziell und dauerhaft? Das Statec ist vorsichtig. Denn die positive Entwicklung, sowohl in der Industrie als auch in der Finanzbranche, hat, wie die Krise auch, ihren Ursprung im Ausland. Genauer gesagt im staatlich verabreichten Wirtschaftsdoping der Handelspartner in den USA und Europa; vor allem in den Vereinigten Staaten, aber auch in Deutschland waren die Abwrackprämien ein Riesenhit. Deswegen lastet auf den positiven Prognosen des Statec eine gewisse Unsicherheit. Was passiert, wenn die Weltwirtschaft vom Subventionstropf genommen wird, und ab wann sollen die Konjunkturprogramme abgesetzt werden? Die EU-Finanzminister sprachen bei ihren letzten Treffen von 2011. Aber ist das der richtige Zeitpunkt? Geschieht es zu früh, warnen Zentralbanker wie Yves Mersch schon seit Monaten, droht ein neuerlicher Konjunktureinbruch. Ziehen die Staaten und Zentralbanken ihre Stützungsmaßnahmen zu spät zurück, drohen die dafür angesammelten öffentlichen Schuldenberge den Aufschwung zu ersticken. Auch die Rohstoffpreise, unter anderem durch eine stärkere Erholung in Asien angekurbelt, drohen, zum Risiko zu werden.

Von diesen Unwägbarkeiten einmal  abgesehen, fehlt es dem Luxem­burger Aufschwung an wirklichem Schwung. Denn 2,1 Prozent Wachstum im kommenden Jahr sind zwar mehr als befürchtet, aber weitaus weniger als der historische Durchschnitt, warnen die Statistiker. Die haben zurückgerechnet und kommen zu dem Schluss: Schon zwischen 2007 und 2008 lag das Wachstumspotenzial der Luxemburger Wirtschaft bei nur noch drei Prozent und dieses Wachstumspotenzial wird ihrer Ansicht nach 2011 nur noch zwei Prozent betragen. Das ist es wohl, was Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP), auf die neuesten Konjunkturdaten angesprochen, mit der „neuen Normalität“ bezeichnet hat. „Ich hatte gesagt, wir werden nie wieder zur Normalität zurückfinden“, so Krecké am Mittwoch. „Jetzt sage ich, die Normalität wird in Zukunft eine völlig andere sein als bisher.“ Eine Etwicklung, die, so warnt das statistische Amt, auch damit zusammenhängt, dass Luxemburg hauptsächlich mit den weniger dynamischen Regionen der Welt handelt, sprich mit Partnern in der Eurozone und in den USA. Zieht der Welthandel wieder an, durch die Entwicklung in Fernost, Indien oder Lateinamerika getrieben, wird Luxemburg von der Entwicklung nur begrenzt profitieren können, weil die Nachfrage seitens der Handelspartner ebenso begrenzt bleibt.

Optimisten werden dennoch hervorheben, dass 2,1 Prozent im Jahr 2010 im Vergleich zu dem für die Euro­zone veranschlagten Wachstum von rund einem Prozent im gleichen Zeitraum, ein gutes Resultat sind. Dann stellt sich allerdings die Frage, womit man sich vergleicht. Mit den historisch gesehen immer schwächeren Resultaten der Handelspartner in der Eurozone oder den eigenen vergangenen Resultaten? Denn, so warnte Adam am Dienstag ausdrücklich: Wer tief abstürzt, verzeichnet nachher ein schnelles Aufholen – allein mechanisch. Und betrachtet man das Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung in absoluten Zahlen, sieht das Bild auch nicht so rosig aus. „Wir werden allerfrühestens 2011 zum Niveau von Ende 2007 zurückfinden“, so Adam. Dabei sollte man auch nicht vergessen, dass der Aufschwung zwar früher kommt, als von Statec, dem Internationalen Währungsfonds oder der Zentralbank prognostiziert. Allerdings unterschätz­ten dieselben Vorhersagen allesamt das Ausmaß der Krise 2009. Denn als die Europäische Zentralbank Staatsminister Jean-Claude Juncker im März vorrechnete, die Luxemburger Wirtschaft werde 2009 um drei Prozent schrumpfen, hielt er das für zu pessimistisch – alle anderen Vorhersagen rechneten zu diesem Zeitpunkt noch mit weitaus geringeren Einbußen. Endgültige Resultate für 2009 werden zwar ohnehin erst nächstes Jahr vorliegen. Doch auch jetzt, wenn sich die Erholung abzeichnet, geht das Statec davon aus, dass die Wirtschaftsleistung im laufenden Jahr um 3,9 Prozent sinkt. 

Zudem zeichnet sich ab, dass die Erholung nicht stark genug ist, um die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt positiv zu beeinflussen. Die steht derzeit auf der Kippe. Nicht nur, dass wie gewohnt die Arbeitslosigkeit bei gleichzeitigem Anstieg der Beschäftigung zunimmt. Die Beschäftigung stagniert seit Anfang des Jahres und wird 2010 zum ersten Mal seit 1983 zurückgehen. „Die Jobmaschine stockt“, meinte Arbeitsminister Nicolas Schmit(LSAP) am Mittwoch nach der Sitzung des Konjunkturkomitees. Dann, warnt das statistische Amt, werden nicht mehr nur wie bisher vor allem die Grenzpendler von der steigenden Arbeitslosigkeit betroffen sein, sondern auch die Einwohner Luxemburgs. Von der für 2011 zu erwartenden geringen Erholung auf dem Arbeitsmarkt dürften hingegen wieder fast ausschließlich die Grenzpendler profitieren mit allen Folgen, die das für das Luxemburger Sozialversicherungssystem hat. 

Michèle Sinner
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