Unfälle älterer Motorradfahrer

Zittern auf dem Zweirad

d'Lëtzebuerger Land vom 28.01.2010

„Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad, meine Oma ist ’ne ganz patente Frau“, hieß es mal in einem Kinderlied. Senior mit Kraftrad zu assoziieren, ist so abwegig nicht: In den USA zählt der durchschnittliche Easy-Rider bereits 50 Lenze, und auch in Europa ist das Durchschnittsal-ter auf über 40 Jahre geklettert. „Sterben die Motorradfahrer aus?“, sorgen sich schon einschlägige Internetforen.

Händler jammern, dass besonders die großen und teuren Maschinen zwar stolz besessen, aber immer seltener gefahren werden: Wo früher zwei Reifen in der Saison abgerieben wurden, ist es jetzt vielleicht noch einer. Zur Verblüffung wie zum Kummer von Verkehrsexperten verringert sich jedoch die Zahl der Motorradunfälle kaum – die Verunglückten werden nur immer älter.

Weisheit und Gelassenheit scheinen bei Bikern mit den Jahren nicht unbedingt zuzunehmen: Während die Zahl der tödlich verunglückten Jungspunde zurückgeht, steigt die der über 50-Jährigen stark an. An den Kreuzen am Straßenrand ändert sich so nichts, nur die Altersverteilung der Opfer. Anders als bei den Autochauffeuren kommen bei den Motorradfahrern die 18- bis 29-Jährigen in der Unfallstatistik mittlerweile erst an dritter Stelle nach den 30- bis 39- und den 40- bis 49-Jährigen.

Auf lange Sicht verbessert sich die Situation durchaus. In Deutschland beispielsweise ist die Zahl der Motorradunfälle mit Personenschaden seit 1990 von über 42 000 auf rund 30 000 pro Jahr gesunken. Wobei nun statt wie einst über 1 000 noch rund 650 Biker ums Leben kommen – obwohl sich im gleichen Zeitraum die zugelassenen Motorräder von 1,4 Millionen auf über vier Millionen vermehrten. In den letzten Jahren konnten aber keine weiteren Rückgänge erreicht werden. Motorisierte Zweiradfahrer leben immer noch unverhältnismäßig gefährlich: Europaweit stellen sie nur zwei Prozent des Verkehrsaufkommens – aber 16 Prozent aller Verkehrstoten. Ihr Risiko, im Straßenverkehr getötet zu werden, ist bezogen auf die Fahrleistung 18 Mal höher als das der Autofahrer.

Die Unfallursachen sind seit eh und je die gleichen und haben mit dem Alter der Kradfahrer nicht viel zu tun. In etwas mehr als der Hälfte der Fälle sind gar nicht sie selbst, sondern andere Verkehrsteilnehmer Schuld: Die schmale Silhouette von Motorradfahrern wird gern übersehen. Wenn ein Biker für einen Unfall verantwortlich ist, dann meist wegen überhöhter Geschwindigkeit, gefolgt von ungenügendem Sicherheitsabstand und Überholen trotz unklarer Verkehrslage.

„Das sind Situationen, die bislang eigentlich vornehmlich bei jüngeren Heißspornen und Fahranfängern vermutet wurden“, staunt der deutsche Verkehrsclub ADAC. Moder-ne Motorräder sind eben Raketen mit enormer Beschleunigung; da ist auch ein erfahrener Familienvater schnell überfordert, wenn er sich im vorgerückten Alter nach langer Pause wieder in den Sattel schwingt. Obwohl sie wissen müssten, dass sie keine Knautschzone haben, achten Motorradfahrer auch zu wenig auf ihre Ausrüstung. Im Auftrag von Fahrzeugherstellern und der EU-Kommission wurden unlängst fast 1 000 Unfälle untersucht. Die Studie er-gab, dass ein Drittel der Verunglückten keine Handschuhe und die Hälfte nur gewöhnliche Hosen und Schuhe trug. Immerhin hatten die meisten einen Helm auf dem Kopf, und bloß ein einziger Bruchpilot war barfuß unterwegs.

Weil es bei Bikern „im Vergleich zum PKW keinen erkennbaren Sicherheitsfortschritt“ gibt, organisierte die deutsche Unfallforschung der Versicherer im vergangenen September in Berlin ein Motorradsymposium. Zu den Verbesserungsvorschlägen, die dort über 100 Vertreter von Polizeidienststellen, Motorradherstellern, Fahrlehrer- und Biker-Verbänden aus ganz Europa ausarbeite-ten, gehören zum Beispiel gesicherte Abbiegespuren und Ampelpha-sen für Linksabbieger, Unterfahr-schutz an Leitplanken und hinder-nisfreie Ausweichräume entlang der Straßen. Motorräder sollten generell mit Antiblockiersystemen und speziellen Tagfahrleuchten ausgerüstet werden. Den Lenkern wurde auf-fällige Schutzkleidung und die regelmäßige Teilnahme an Fahrer-Trainings empfohlen. Im Workshop „Recht und Verhalten“ wurde vorgeschlagen, es notfalls mit Sanktionen zu versuchen: Uneinsichtigen Rowdys sollte ihr „liebstes Spielzeug“ beschlagnahmt werden.

Motorcycle Accidents In Depth Study des Europäi-schen Verbandes der Motorradhersteller: www.maids-study.eu
Martin Ebner
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