Die Welt verändern oder verbessern

Christen als Weltverbesserer?

d'Lëtzebuerger Land vom 22.02.2013

Die Frage verlangt einmal, wirklich geklärt zu werden. Und auf diesen Gedanken bin ich dank einer Leserreaktion auf meinen Text über „Weltverbesserer“ gekommen. Sie bezog sich unter anderem auf meine Deutung des Christentums in der Frage der Weltverbesserung:

„Wenn du schreibst, es gehe ihm (dem Christentum, J.W.) ‚keineswegs darum, diese Welt zum Besseren zu führen, sondern allein, sie zu überwinden’, ist das (Pardon!) pure Polemik. Die von dir gemeinte Haltung ist, wenn überhaupt, jene der ersten Christen, die das Weltende noch zu ihren Lebzeiten oder jedenfalls in naher Zukunft kommen sahen. (...) Das Christentum, wie wir es heute kennen, versteht die ‚Verheißungen’ Jesu (vor allem der Bergpredigt) und seine Taten als Auftrag, die (Macht-) Mechanismen der Welt zu verändern. Eine ‚Vertröstung ins Jenseits’-Verkündigung gibt es kaum mehr – und wenn, dann nur in extremen Randgruppen.“

Diese Anmerkung hat mich zu weiteren Überlegungen geführt, die sich im Rahmen der Frage nach der christlichen Weltverbesserung bewegten. Und in der Tat, ich habe mit Weltverbesserer etwas anderes gemeint als mein Kritiker. Ich habe das Wort vollständig ernstgenommen und verstehe darunter nicht jemanden, der die Welt durch seine Gedanken, Worte und/oder Taten bloß verändert. Das kann man in der Tat Jesus, Franz von Assisi, Albert Schweizer, Gandhi oder Mutter Theresa zugestehen.

Aber eine solche Veränderung im Sinne einer Linderung der Leiden in dieser Welt ist in meinen Augen etwas gänzlich anderes als Weltverbesserung. Die Leiden, die gelindert werden, beziehen sich auf einzelne Individuen und werden zeitlich gemildert, doch die ganze Welt der Menschheit, ihre Gesellschaft wird somit keineswegs verbessert. Es geht nicht darum, die Welt durch gute Einzeltaten zu verbessern, sondern sie zu einer Ordnung zu führen, die eine reale und totale Verbesserung der Welt darstellt; es ist eine Ordnung, die es dem Menschen erlaubt, seine Güte allen zukommen zu lassen, eine, die den Unterschied von Arm und Reich aufhebt und die bösen Taten ausmerzt. Kurz, es geht um ein utopisches Paradies in dieser Welt, religiös gesehen um das Heil im Diesseits. Gerade ein solcher Weltverbesserer ist in den Augen der gläubigen Christen ein Häretiker, weil er das Werk Gottes allein als Mensch und ohne die göttliche Gnade verbessern will. Menschliche Hybris treibt ihn an. In diese Rubrik fallen manche Bestrebungen der Aufklärung, die Ziele des Kommunismus und auch der Rassismus der Faschisten, die ja wirklich meinten, eine Welt schaffen zu können, in der die einen bereit wären, die Unterdrückten der Stärkeren zu sein, ihnen zu dienen und sich freiwillig ermorden zu lassen.

Die bisherigen Versuche haben gezeigt – wenn sie wirklich ernsthaft verfolgt wurden –, dass die neue Ordnung noch viel schlimmer war als die alte. Man muss nicht mal die Fantasie von Schriftstellern wie George Orwell oder Aldous Huxley bemühen, um diese Utopien als Dystopien zu entlarven, die Regime des Kommunismus und des Faschismus haben das zur Genüge gezeigt.

Wer die Welt nur verändert, verbessert sie nicht. Eine Veränderung im Sinne einer Linderung der Leiden in dieser Welt ist in meinen Augen etwas Kostbares und Wichtiges, aber wenn die Welt wirklich verbessert würde, wären solche Handlungen nicht mehr nötig.

In Zeiten des Glaubens, und das noch lange nach den frühen Zeiten des Christentums, nach der Naherwartung des Himmelreichs, empfand man das Glück als einen Zustand, den man nur durch das Unglück in dieser Welt erreichen konnte. Manche suchten gar im Martyrium diesen Weg vom äußersten Leid zur höchsten Glückseligkeit. Diese Denkweise reicht zurück auf die Seligpreisungen, denen es weniger um eine andere Welt im Diesseits als um eine solche im Jenseits ging:

„Glücklich seid ihr, die ihr jetzt hungern müsst, denn Gott wird euren Hunger stillen. Glücklich seid ihr, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet bald vor Freude jubeln! Glücklich seid ihr, wenn euch die Menschen hassen; wenn sie von euch nichts wissen wollen und euch verachten; wenn sie euch beschimpfen und Schlechtes über euch erzählen, nur weil ihr zu mir gehört. Dann freut euch! Ja, ihr könnt jubeln, denn im Himmel werdet ihr dafür belohnt werden.“ (Lukas VI)

Jacques Wirion
© 2023 d’Lëtzebuerger Land