Die kleine Zeitzeugin

Der Geheimdienst geht auf uns zu

d'Lëtzebuerger Land vom 08.02.2019

Wir kippen wirklich in ein neues Zeitalter, Aquarius, wie man früher sagte, eines, wie es uns die Mayas und die Hopis weissagten, beziehungsweise weismachten. Ein komplett neues, Zeit neu, Mensch neu, und, wer weiß, vielleicht können wir ja sogar die Apokalypse überspringen?

Die Zeichen mehren sich. Die gute alte Plastiktüte, ach, waren das Zeiten, man konnte einfach wo einfach so einkaufen, ohne Säcke und Gefäße mitzuschleppen wie bei Asterix, wird bald im Nostalgiemuseum landen. Wir zählen und zahlen dann Erbsen im Geschäft ohne Verpackungsmüll, oder Linsen, wie im Märchen. Aschenputtel trägt die coole hundredth hand Kluft, die in den Kreisen, die bald Kreise ziehen werden, schwer in ist. Wer will noch in Igitt-Markenklamotten rumrennen und sich in Schadstoff kleiden, für den Mensch keine Likes kriegt; jedenfalls nicht in den Kreisen, die bald Kreise ziehen! Gott sei Dank kann man aber auch immer noch viel Kohle, und zwar garantiert abbaubare, raushauen, sie ist sehr beliebt und verflüchtigt sich spurlos, garantiert. Bio, öko, vegan und mit sämtlichen global verfügbaren Fairness-Stempeln versehen, ist dieses Tuch immer noch für die eher Betuchteren. Also keine Panik, gibt noch genug gesunde Diversifizierung.

Insgesamt sind wir also auf einem guten Weg. Wenn wir mal absehen von den chronischen Kriegsherden und Kriegsherren und von dem Kobalt und dem Lithium, die jetzt in sind, die Erbsenzähler_innen finden immer was. Aber auch dafür findet sich eine lösungsorientierte Lösung. Der deutsche Entwicklungsminister sagt, was er zu den Chinesen gesagt hat, was die nicht tun sollen. Der Verdacht des Kolonialherrenfutterneids ist aber total unbegründet, das Dealen mit Afrika soll einfach nur fair sein, kein Kind sich mehr für unser cooles, billiges Zeug kaputtmachen. Gleich kommt natürlich wieder spielverderberisch wer und redet von Kinderarbeitslosigkeit, wen soll man jetzt liken? Aber der schwarze Entwicklungsminister, der eben noch meinte, die Afrikaner sollten mehr leisten, redet plötzlich, als sei er bei Attac, grün auch noch. Weil er ein wirtschaftlich kantiges Kinn und dieses sonore Macher-Timbre hat, klingt das alles sehr ernstzunehmend. So dass er bei Markus Lanz mächtig Applaus kriegt, im Moment kriegen immer die am meisten Applaus, die an das Positive in uns appellieren. Nur dann bei den Wahlen, im muffigen Hinterstübchen, wenn die Menschen sich vor einer Urne wie Asche fühlen, weiß man nie. Plötzlich wählen sie den Tod, wer hätte das gedacht?

Aber neinnein, alles wird gut, die Apokalypse schwänzen wir, es mehren sich die Zeichen. Das gute alte LSD wird verdient rehabilitiert. Die Sensibilität allgemein nimmt zu, das Gefühl für Diskriminierung. So prangert ein Luxemburger Pirat die wirklich unfaire Anti-Auto-Politik der Regierung an. Statt sich auseinanderzusetzen, geht man neuerdings aufeinander zu. Schelm Henryk M. Broder, trotzig-trolliger Flirter mit Rechts, lässt sich von Rechts umarmen. Das erklärt er damit, dass er nur tut, was immer gefordert wird. Aufeinander zugehen.

Und jetzt lese ich im Tageblatt, der luxemburgische Geheimdienst wolle auf die Bevölkerung zugehen. Nicht losgehen, zugehen. Ich bin tief bewegt. Ich weiß so wenig ich über den Geheimdienst, denn er ist ja geheim. Lange vor Google-Gott war mir klar, dass Er meine Bemühungen zur Weltkorrektur im Auge hatte, im Visier. Aber wahrscheinlich, wie desillusionierend, zerfällt dazu, zu mir, nicht mal in der letzten Schublade dieses Geheimniskramladens eine Käsefußnote.

Natürlich habe ich Schlimmes über ihn gehört. Sehr Schlimmes. Schreckliche Geheimnisse. Aber wenn das alles stimmt, dann klingt das ja noch versöhnlicher, wie die Direktorin ihn uns jetzt vorstellt, denn auch er ist jetzt ein neuer. Kein Dark Room mehr, in dem geheime Diener(_innen?) und alte Fieslinge herum schnüffeln, nein, er ist loyal, integer, was ein bisschen abturnend klingt. Über so einen Geheimdienst schreibt niemand einen Bestseller.

Dennoch, berührend ist, wie es das Tageblatt formuliert. Der Geheimdienst will auf die Bevölkerung zugehen.

Alle zusammen, wir und der Geheimdienst.

Wir werden einander alles sagen

Michèle Thoma
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