In der Hauptstadt streiten Elternvertreter zweier Schulen im Bahnhofsviertel um mehr Mittel. Dahinter stehen soziale Unterschiede – und eine Rechenformel, die nicht nur die Hauptstadt zum Sparen bei der Bildung zwingt

Klassenkampf um Klassengröße

Sorgt der Contingent wirk- lich für mehr Gerechtigkeit?
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 04.06.2021

Streit liegt in der Luft, wenn am Freitag in einer Woche DP-Schulschöffin Colette Mart in Luxemburg-Stadt ihre Pläne zur Organisation der Schul-Rentrée 2021/22 vorstellen wird. „Für uns ist das nicht abgeschlossen. Wir haben auf jeden Fall noch einiges sagen“, sagt Guy Foetz, der für Déi Lénk im hauptstädtischen Gemeinderat sitzt, kämpferisch. Er warnt vor „größeren Ungleichheiten“. Und das nicht nur wegen der Corona-Pandemie, die den Kindern und Jugendlichen durch Lockdown, Homeschooling, Distanzmaßnahmen und Massentests viel abverlangt hat. Sondern wegen fünf Posten, die die Stadt kommendes Jahr zusätzlich für ihre Regelschulen bekommt.

Die Verteilung der Ressourcen in der öffentlichen Schule ist seit jeher ein Anlass für Konflikte, Kontroversen und politische Schlagabtausche, nicht nur in der Hauptstadt. Rasantes Bevölkerungswachstum – allein zwischen 2001 und 2021 stieg die Einwohnerzahl in Luxemburg-Stadt von 76 700 auf 125 000, der Anteil der aus dem Ausland Zugewanderten beträgt mittlerweile 70 Prozent. In der öffentlichen Schule spricht mehr als jedes zweite Kind daheim kein Luxemburgisch. Das bedeutet mehr Betreuung und Förderungsbedarf, damit Kinder im dreisprachigen Schulsystem nicht gänzlich unter die Räder kommen. Der anhaltende Lehrermangel und größere Klasseneffektive haben dazu geführt, dass im Prinzip jedes Jahr eine Diskussion darüber entflammt, wie die knappen Mittel auf die 19 Schulen auf dem Stadtgebiet am besten zu verteilen sind.

Dies vor allem, seitdem in der Stadt die Kontingentierung umgesetzt wurde. Seit 2010 gibt der Staat, nicht die Gemeinden, die Anzahl der Unterrichtsstunden vor und teilt diese den Gemeinden für jedes Schuljahr neu zu. „Statt über Pädagogik zu diskutieren, verkommt die Schulorganisation zu einem Geschacher über Posten und Stunden“, ärgert sich Guy Foetz. Die Linken fordern seit Jahren eine Analyse des Instruments, das mit der Reform des Grundschulgesetzes 2009 eingeführt und mit einer Übergangsphase von zehn Jahren umgesetzt wurde.

Alle Jahre wieder Dabei war die ursprüngliche Idee des zentral vorgegebenen Lehrer-Kontingents, so paradox es aus heutiger Perspektive klingen mag, landesweit für mehr Verteilungsgerechtigkeit zu sorgen. Die „Erfinderin“, die damalige sozialistische Schulministerin Mady Delvaux, wollte, dass ohnehin knappes Lehrpersonal sowie Unterrichts- und Förderstunden (Appui) gleichmäßiger übers Land verteilt würden. Bis dahin konnten Gemeinden im Rahmen ihrer Autonomie selbst bestimmen, ob sie, sollte eine Schule Hilfe brauchen, eine/n zusätzliche/n Erzieher/in einstellten. Reichere Gemeinden, darunter die Hauptstadt, nahmen Extra-Geld in die Hand, um Versorgungslücken zu stopfen. Ärmere Gemeinden konnten das nicht im selben Maß.

Darum rechnet eine Abteilung im Grundschuldienst des Erziehungsministeriums seit der 2009-er-Reform für jede Gemeinde im Land nach einem bestimmten Schlüssel aus, wie viele Unterrichtsstunden und damit Lehrpersonal ihr zusteht. Grundlage bildet die Schülerzahl einer Gemeinde und die durch die Schulpflicht und dem Grundschul-Lehrplan vorgegebene Pflichtstundenzahl. Außerdem gibt es Stunden für zusätzlichen Förderbedarf, für Hausaufgabenhilfe, für pädagogische Interventionen durch spezialisierte mobile Teams und für Schulprojekte.

Heutzutage allerdings steht die Frage im Raum, ob die Kontingentierung wirklich zu mehr Verteilungsgerechtigkeit führt – oder ob sie nicht, im Gegenteil, einen gefährlichen Verteilungskampf anheizt, weil die zentral organisierte Vergabe lokale Begebenheiten zu wenig berücksichtigt. Die Gewerkschaften haben dazu eine klare Meinung: „Das Lehrer-Kontingent hat zu größeren Klassen geführt und die Arbeitsbedingungen in vielen Schulen verschlechtert. Darunter leidet nicht zuletzt die Unterrichts- und die Betreuungsqualität“, warnt Patrick Arendt, Präsident der Lehrergewerkschaft SEW-OGBL. Statt Klassen von 16 Schülern, die das Gesetz für jede Schule im Land durchschnittlich vorsieht, seien Klassen vor Ort oftmals größer – um Personal freizustellen, das sich dann um lernschwächere Kinder kümmern soll. „Der Trend zu größeren Klassen lässt sich auch in der Hauptstadt beobachten. Es gibt ihn aber im ganzen Land“, betont Arendt. Der SEW lehnt die zentral organisierte numerische Kontingentierung ab.

Größere Schulen In der Hauptstadt, durch die hier angesiedelte Finanzbranche mit hunderten Banken und Versicherungen, eine wohlhabende Gemeinde, habe, das Lob sprechen Politiker ihr parteiübergreifend aus, Schöffin Mart es vermocht, den teils heftig geführten Streitereien um Schulpersonal in den vergangenen Jahren die Spitze zu nehmen. Etwa als die neue Zentralschule in Clausen gebaut wurde, die von rund 420 Kindern aus den umliegenden Vierteln Clausen, Neudorf, Pfaffenthal und Grund besucht wird: Anfangs hatten sich Eltern massiv gegen eine Zusammenlegung gewehrt, aus Angst, ihre Söhne und Töchter könnten durch die gemeinsame Einschulung mit Kindern aus ärmeren Vierteln den Anschluss beim Lernen verpassen. In Gesprächen habe man ihnen die Vorteile eines Neubaus erklärt: moderne Infrastrukturen, verschränkte Betreuungsangebote, Foyer auf demselben Campus-Gelände. „Ich habe seit der Einweihung nie wieder Beschwerden gehört“, behauptet Colette Mart.

Auch für das Bahnhofsviertel hat sie einen Kompromiss in der Tasche, den sie „um des politischen Friedens willen“ den Streitparteien in der kommenden Woche präsentieren will. „Vorübergehend, bis wir das Problem an der Wurzel packen“. Fünf zusätzliche Planstellen für Förderung- und Vertiefungskurse hat sie im Gepäck, nachdem die Gemeindeleitung im Ministerium interveniert und sich Bürgermeisterin Lydie Polfer sich sogar persönlich in den Zwist eingeschaltet hatte. Die Liberale Polfer und Schulminister Meisch sind Parteikollegen. Außerdem soll, mittelfristig, eine neue Schule an der Stelle gebaut werden, wo früher das Hauptquartier in der Stadt stand, in der Rue Glesener, zwischen der Spillschoul in der Rue Adolphe Fischer und dem Sitz des Land.

Worum es geht es? Hintergrund ist der per Leserbrief und Petition ausgetragene Streit um den geplanten Schulverbund im Bahnhofsviertel. Drei Schulen, die Vorschule in der Rue Adolphe Fischer, die Grundschule in der Rue Michel Welter und die Grundschule in der Rue de Commerce, sollen zu einer Schule zusammengefasst werden, um „übersichtliche Klassen“ zu schaffen, andernfalls gehe „Kontingent verloren“, erklärt Schulschöffin Mart.

Das Elternkomitee der Michel-Welter-Schule, benannt nach der idyllisch gelegenen Seitenstraße, in der die Grundschule inmitten von Einfamilienhäusern, Caritas und Anwaltskanzleien steht, sieht das anders: Es hatte sich vor Monaten an die Presse gewandt mit dem Vorwurf, die DP-CSV-Stadtführung wolle durch eine Fusion die Grundschule austrocknen und Ressourcen sparen. Tatsächlich schrumpft die Zahl der Klassen in dem Schulgebäude seit Jahren, in dem auch Wirtschaftsminister Franz Fayot die Bank gedrückt haben soll (der eine entsprechende Unterstützerpetition unterschrieben hat) und in deren unmittelbarer Nachbarschaft der inzwischen verstorbene Bürgermeister Paul Helminger (DP) lebte. Derweil unterrichtet dort noch eine brevetierte Lehrkraft. Von dem Team, das die jahrgangsstufenübergreifenden Zyklen betreut, sind zwei Lehrkräfte geblieben. Das Schulpersonal laufe fort, „weil die Klassengröße schrumpft und es seine pädagogischen Konzepte nicht mehr umsetzen kann“, ärgert sich Carlos Paulos, Elternvertreter und grundsätzlich „sehr zufrieden“ mit der Michel-Welter-Schule.

Reich gegen Arm? Die Idee, Zyklen nach Gebäuden zusammenzulegen, was die Eltern in der Michel-Welter strikt ablehnen, stammt indes nicht allein aus der Feder der Gemeindeleitung. Unterstützung findet sie bei der Regionaldirektion, der Schulkommission, bei Déi Gréng und déi Lénk – und nicht zuletzt beim Schulkomitee der Schule in der Rue de Commerce: Mit einer Neuaufteilung der Klassen ließen sich die Stunden gerechter aufteilen, so das Argument. Was wiederum Proteste bei den Eltern der Michel-Welter-Schule auslöst, zu deren Schüler/innen ebenfalls Kinder mit Förderbedarf zählen: „An unserer Schulen lernen Kinder aus über 100 Nationen, darunter Flüchtlingskinder. Auch sie müssen gefördert werden“, sagt Paulos, der die Überschaubarkeit an der kleinen Schule aus pädagogischen Gründen begrüßt: „Die Lehrer können auf die Kinder eingehen. Organisiere ich ein Fest, habe ich in einer Stunde mit jedem gesprochen. An einer Schule mit „mehreren Hundert Kindern“ sei das nicht möglich.

In offenen Briefen und per Unterschriftenliste hatten die Elternvertreter gegen die Fusionspläne mobilisiert – und sie sind damit den Eltern und dem Schulkomitee der Partnerschule in der Rue de Commerce auf die Zehen getreten. Hinter vorgehaltener Hand werfen diese den Eltern dort vor, ihre Kinder nicht in die Schule in unmittelbarer Bahnhofsnähe schicken zu wollen, „weil sie meinen, etwas Besseres zu sein“.

Die Schule in der Rue de Commerce hat es nicht leicht. Sie kämpft um ihren guten Ruf – an ihr oder fehlendem Elan liegt es nicht: Das Gebäude steht im Hotspot zwischen Drogenszene und Straßenstrich. Hohe Zäune aus engmaschigem Draht versperren den Blick auf den Schulhof. Dass die Bürgermeisterin mit Blick aufs Bahnhofsviertel immer wieder die Sicherheitsfrage stellt, hilft der Sache nicht. Lehrkräfte dort arbeiten unter erschwerten Bedingungen, sie betreuen überdurcschnittlich viele kinder aus armen Familien. „Die Lehrer sind sehr engagiert und setzen sich für ihre Schüler ein“, sagt Schöffin Mart anerkennend. Jetzt sind Eltern und Lehrer an beiden Schulen sauer und werfen sich gegenseitig Egiosmus und unsolidarisches Verhalten vor.

Um zu schlichten, schaltete sich Bürgermeisterin Lydie Polfer höchstpersönlich ein und suchte den Austausch. Diese Woche fand ein weiteres Gespräch mit dem Elternkomitee statt. Zudem hat Polfer beim Schulminister angeklopft und zusätzliches Personal zugesichert bekommen. Die Stunden kommen in einen gemeinsamen Topf, den die öffentlichen Schulen der Hauptstadt freiwillig speisen und der helfen soll, Schulen in sozialen Brennpunkten unter die Arme zu greifen. Ob das aber die erhitzten Gemüter besänftigen wird, ist unwahrscheinlich: Die Extrastunden werden dem Schulkomitee in der Rue de Commerce zugeteilt, das entscheidet, wo und wie sie eingesetzt werden. Das sieht Handlungsbedarf vor Ort. Was wiederum Neid und Missgunst andernorts zu schüren droht: „Es gibt Schulen, die ebenso dringend Förderstunden benötigen und kein Personal haben“, sagt Guy Foetz. Beggen wird 2021 voraussichtlich keine Extra-Förderstunden erhalten. Dabei, das sagen eigentlich alle Parteien, wächst der schulische Förderbedarf in der Stadt wegen der rasanten Bevölkerungsentwicklung und auch, weil viele soziale Hilfsangebote sich in der Hauptstadt befinden.

Ist also die Kontingentierung das Problem oder dient die Ressourcenfrage in Wirklichkeit als „Deckmantel“ für soziale Abgrenzungskämpfe, wie es die Linken und die Lehrergewerkschaft SEW vermuten? Carlos Paulos weist den Vorwurf, unsolidarisch zu sein, von sich: „Ich bin sozial engagiert. Als Elternvertreter vertrete ich alle Eltern meiner Schule und will selbstverständlich die besten Bildungschancen für alle Kinder.“

Genickers und Geknausers Ausgerechnet die von den Eltern attackierte Gemeindeführung zeigt Verständnis: „Die Kontingentierung sollte helfen, Ungleichheiten auszugleichen“, analysiert Colette Mart. „Aber die Rechnung geht zunehmend nicht auf“, warnt sie und fordert: „Das Kontingent muss überarbeitet werden. Es gibt jedes Mal Geknickers und Geknausers, dabei brauchen andere Schulen auch Förderstunden“, sagt sie. Das Ziel, Ressourcen landesweit gleichmäßiger zu verteilen, gehe zu Lasten der Planungsflexbilität einer gemeinde und ergo der Betreuungsqualität. „Wir haben die zehn Jahre, seitdem die Kontingentierung eingeführt wurde, stetig Unterrichtsstunden verloren“, so ein Mitglied der Schulkomission, das anonym bleiben willl.

Die Lesart des Ministeriums ist kaum überraschend, optimistischer: Durch das Kontingent werde mehr Verteilungsgerechtigkeit erst möglich. „Bis sie erreicht ist, dauert es wegen der Übergangszeit ein wenig“, sagt Georges Strauss, im Ministerium zuständig für die Berechnung des Kontingents. Allerdings: Eine unabhängige wissenschaftliche Auswertung, die untersucht, ob das Ziel tatsächlich erreicht wird, gibt es bisher nicht. Strauss nennt weitere Komponenten, um die Versorgung bedürftiger Schulen zu verbessen: Der Sozialindex ist als Korrektiv bei der Ressourcenzuteilung vorgesehen: Bis zu 20 Prozent, ein Viertel der insgesamt zuerteilten Unterrichtsstunden, kann eine Gemeinde laut Gesetz zusätzlich erhalten, um Standortnachteile zu beheben, die ihr durch einen höheren Anteil armer Einwohner/innen entstehen. Die Stadt Luxemburg hat diesen Berechnungen nach ein Sozialindex von 15 Prozent zu gut. Die Extrastunden landen in einem Topf und werden wiederum nach Bedürftigkeit verteilt. Allerdings reichen die Hilfen hinten und vorne nicht. Der soziale Ausgleich gleicht dem berühmten Tropfen Wasser auf den heißen Stein: Zwischen einer Schule in Bonneweg mit dem größten Standortnachteil (viele Schüler aus ärmeren Familien) und der mit dem größten Vorteil (Eich oder Cents) macht der Unterschied kaum einen zusätzlichen Posten aus. Dieselbe Kritik hört man indes nicht nur in der Hauptstadt: Grundschulen in Esch-Alzette, Differdingen oder Schifflingen klagen ebenfalls über Personalmangel, zunehmende Ungerechtigkeiten und darüber, dass der Sozialindex zu niedrig angesetzt sei.

Wer herausfinden will, wie dieser ermittelt wird, erfährt wohl, dass das sozio-ökonomische Forschungsinstitut Liser den Sozialindex alle drei Jahre neu berechnet und an die Bevölkerungsentwicklung anpasst. Aber wie das konkret gerechnet wird und welche Kriterien im Detail einfließen, neben dem Bildungsstand der Eltern und dem Haushaltseinkommen, ist nicht ersichtlich. „Das ist eine Blackbox“, bemängelt Elternvertreter Carlos Paulus. „Ich habe zwei Jahre probiert, das herauszufinden, aber nie eine Antwort erhalten.“ Eine Anfrage des Land um Präzisionen zur Berechnungsweise blieb bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.

So gesehen, scheint es bei allem Streit und Zank einen Minimalkonsens doch zu geben: 2016 hatten DP, Déi Gréng, CSV und LSAP eine Motion der Linken verworfen, die die Ausführungsbestimmungen zur Kontingentierung in Frage stellte. Inzwischen scheint parteiübergreifend ein Konsens darin zu bestehen, dass die Kontingentierung nicht funktioniert und, zumindest in der Hauptstadt, zu niedrig angesetzt ist. Wenn aber das Kontingent so gravierende Nachteile mit sich bringt – warum mobilisieren die Interessengruppen nicht gemeinsam? „Wir wollten eine Kampagne starten, wegen Covid mussten wir die Pläne zurückstellen“, erklärt Patrick Arendt vom SEW. Auf Nachfrage beim Syvicol, wie andere Gemeinden die Kontingentierung bewerteten, räumt Syvicol-Präsident Emile Eicher ein, dass die Schulorganisation „immer wieder Anlass ist für Diskussionen“. Eine Beschwerdeflut sei beim Gemeindedachverband in den vergangenen Jahren aber nicht eingegangen. Beobachter/innen erklären sich dies mit einer Machtverschiebung, die die Politik damals mit der Zentralisierung der Schulorganisation durchaus beabsichtigt habe – und die zunehmend Früchte trage: Dadurch, dass der Staat die Kosten für die Gehälter der Grundschullehrer integral trägt, und Gemeinden nicht, wie früher, ein Drittel mitfinanzieren, sei die Schulorganisation quasi entpolitisiert worden, weil Gemeinden sich nicht länger zuständig spüren und sie real deutlich weniger Gestaltungsspielraum und Mitspracherecht haben. Schulen müssen stattdessen vor Ort kämpfen, wenn Mittel zu knapp sind. „Da setzt sich durch, wer sich am besten organisieren und in Szene setzen kann“, befrüchtet Patrick Arendt.

Die Elternvertreter der Michel-Welter-Schule verwahren sich gegen Kritik, sie seien aus egoistischen Motiven gegen eine Neuaufteilung der Klassen der Schulen im Bahnhofsviertel. Auffällig ist aber: Im Komitee sitzen ein Psychiater, Psychologe Paulos und weitere Eltern, die zur Mittelschicht und zum Bildungsbürgertum zählen. Hier spiegelt sich ein strukturelles Problem wider, das in ganz Luxemburg wirkt und nicht nur in punkto Bildung Chancengleichheit und gerechte Teilnahme verhindert: Wohlhabende (luxemburgische) Eltern haben Ressourcen, um sich für die Belange ihrer Kinder einzusetzen. Sie kennen das Schulsysterm und sind in der Regel gut vernetzt. Arme Eltern sind es eher nicht. Eine weitere Schieflage, auf die nicht zuletzt die Ausländerorganisation Asti hinweist, für die es aber bis heute in einem Land, das so stark von Zuwanderung abhängt, erstaunlicherweise kaum erprobte Lösungsansätze gibt.

Das Ministerium verweist auf weitere Mittel, die die DP-LSAP-Grüne-Regierung im Laufe ihrer Amtszeit für die Grundschulen locker gemacht hat: Neben Unterrichtsstunden und Freistellungen für die Umsetzung von Lehrplan, Schulentwicklungsplan und anderen Projekten unterstützen mobile Fachkräfte förderungsbedürftge Schüler/innen und beraten Schulen auf Anfrage, wie sie sich besser aufstellen können. Wegen der Corona-Pandemie hatte Bildungsminister Claude Meisch zudem weiteres Personal eingestellt, darunter Quereinsteiger, die frisch von der Uni kommen. Allerdings, so ist aus den Schulen zu hören, müssten diese oft erst angelernt werden. Derweil schlagen Kompetenzzentren und Kinderpsycholog/innen Alarm, weil sie monatelange Wartelisten haben und sogar Kinder, die akut Hilfe brauchen, kaum mehr adäquat betreuen können.

Ist die Pandemie also Auslöser für eine tiefergehende Reflexion über Bedarfe und pädagogische Inhalte in der öffentlichen Grundschule? Die Linken überlegen jedenfalls, eine neue Motion zur Kontingentierung vorzulegen. Vielleicht findet sie diesmal breitere Zustimmung. Das Observatorium für Schulqualität hat angekündigt, die Grundschulreform unter die Lupe zu nehmen. Auf ihrer To-Do-Liste: eine Analyse der Verteilungseffekte durch die Kontingentierung.

Ines Kurschat
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