Die Rechten in Europa

Alte Achsen, neue Mächte

d'Lëtzebuerger Land vom 06.05.2016

Es ist der Griff nach den Symbolen, die derzeit Europas Rechte umtreibt. So war es für die Delegierten des Bundesparteitags der Alternative für Deutschland (AfD) am vergangenen Wochenende ein ganz besonderer Moment, als Parteichefin Frauke Petry ankündigte, dass die national-konservative Partei einen eigenen Kandidaten zur Wahl des deutschen Bundespräsidenten im kommenden Februar aufstellen wird. Beflügelt wurden sie dabei vom Erfolg des Österreichers Norbert Hofer, der eine Woche zuvor beim ersten Urnengang der Präsidentschaftswahlen für die rechtsgerichtete Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) die meisten Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte. Er stellt sich der Stichwahl am 22. Mai. Dieser Etappensieg Hofers offenbart, dass sich in der Bevölkerung der Alpenrepublik seit einigen Jahren eine Zustimmung für eine autoritäre Politik entwickelte. Analog zur Genese der politischen Kultur im Nachbarland Österreichs Ungarn. Ein weiteres Symbol, das die rechten Eliten der Region sehr gerne bemühen. Jene alten Achsen, jene neuen Mächte.

Autoritäre Politik: Das meint vor allem eine Schwächung der Parlamente, Aushebelung der Gewaltenteilung, aber auch Abkehr von staatlichen internationalen Unionen und Bündnissen. Es gehe nur um das Präsidentenamt, das in Österreich ähnlich repräsentativ ausgestaltet ist wie in Deutschland, lässt sich einwenden, als handle es sich nur um den Frühstücksdirektor oder Grüßonkel der Republik. Es dreht sich um wesentlich mehr, wie Hofer bereits im Wahlkampf um das Präsidentenamt ankündigte: Diese Symbole mit Macht aufzuladen. Bei einem Wahlsieg, so sagte Präsidentenaspirant Hofer in einem Interview mit der Wiener Tageszeitung Der Standard, würde er nicht – entgegen allen Vermutungen – die derzeit regierende Große Koalition von Sozialdemokratischer Partei Österreichs (SPÖ) und der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) entlassen, sondern der Regierung unter Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) „das Leben schwer machen“. Hofer dazu am Wahlabend im österreichischen Fernsehen zu Faymann: „Sie werden sich wundern, was alles möglich ist.“ Erster Prüfstein wäre dabei die Frage der Vertretung nach außen. Als Kanzler Franz Vranitzky seinerzeit wegen der internationalen Ächtung Kurt Waldheims das Land auch international vertrat, übernahmen Vranitzkys Nachfolger im Amt diese Aufgabe selbstredend mit. Hofer würde dies alsbald brechen. Zu einer ähnlichen Ächtung wie zu Zeiten Waldheims wird es dann kaum kommen, denn Budapest und auch Warschau werden einem Bundespräsidenten Hofer gerne Tür und Tor öffnen, um ihm eine passende internationale Bühne bieten – mit dem entsprechenden Pathos des Geächteten.

Hofers vorläufiger Sieg verdankt er auch dem geschickten Auftreten der neuen Rechten überall in Europa. Dieser gleicht ein wenig dem Wolf im Schafspelz. Der Parteivorsitzende der österreichischen FPÖ Heinz-Christian Strache fuhr Mitte April nach Israel und verordnete der Partei einen pro-israelischen Kurs. Die deutsche AfD beschloss auf ihrem Parteitag am vergangenen Samstag die Auflösung des eigenen Landesverbands Saar – wegen zu großer Nähe zu rechtsextremistischen Kreisen. Beides wird von Politikern rechter Parteien als Lernprozess dargestellt. Dabei ist der saarländische Ableger der AfD lediglich ein Bauernopfer, der zeigen soll, dass man sich um Abgrenzung von Rechtsaußen müht, während die lokalen Parteioberen in Brandenburg und Thüringen unverblümt weiterhin in diesen Gefilden um Mitglieder buhlen. Es sind Augenwischereien, Paradoxen, verkehrte Welt, perfekt für eine stimmungsmäßige Machtübernahme des Rechtspopulismus, der sich öffentlich nationalkonservativer Strukturen entledigt, aber gleichzeitig ein stramm rechtes, nationalkonservatives Programm verpasst. Dieser „verkehrten Welt“ gehen die etablierten Parteien vollends auf den Leim – indem sie über jedes Stöckchen springen, das ihnen die Rechten hinhalten.

Und so nähert sich Wien immer mehr Budapest an. Zum 1. Juni sollen Sonderbestimmungen in Kraft treten, die Asylanträge in Österreich fast unmöglich machen. Nur wer schon Familie im Land hat oder nachweisen kann, dass ihm Folter oder Tod drohen, wird zum Verfahren zugelassen. Alle anderen müssen zurück, woher sie gekommen sind. Darüber hinaus werden Grenzkontrollen verstärkt, Registrierzentren gebaut – auch auf dem Brenner zu Italien hin. Die entsprechenden Gesetze hat man im Wiener Nationalrat im Schnellverfahren durch das Parlament gepeitscht. Gerade so, wie es in Budapest die Mehrheitspartei Fidesz seit Jahren praktiziert. Vor einem halben Jahr noch verglich Kanzler Faymann Ungarns Umgang mit den Flüchtlingen mit der „dunkelsten Zeit unseres Kontinents“. Heute ist seine Politik kaum noch von der Viktor Orbans zu unterscheiden.

Dabei sind es genau diese Allianzen und Achsen, die die neue Rechte in Europa erfolgreich macht, so wie es nun im Europaparlament zu einem Schulterschluss zwischen AfD und Front National kommt. Auch wenn Frauke Petry ihre Partei von den französischen Rechtsextremisten abgrenzt, wechselt Marcus Pretzell, AfD-Abgeordneter im Europaparlament, Landeschef der AfD in Nordrhein-Westfalen und Lebensgefährte von Petry, in die Fraktion des Front National.

Martin Theobald
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