Die Regierung will die Tarife der Privatlabors kürzen. Die sind empört: Gerade haben sie einen Kollektivvertrag mit dem OGBL unterschrieben

Zu rentabel

Skaleneffekte schaffen. Etwa mit  Analysestraßen
Foto: Patrick Galbats
d'Lëtzebuerger Land vom 18.10.2024

Im Gesetzentwurf über den Staatshaushalt fürs jeweils nächste Jahr bringen Regierungen hin und wieder Gesetzesänderungen unter, die sie nicht an die große Glocke hängen möchten. Im projet de loi budgétaire 2025 ist das wieder so: Ein Artikel 35 sieht vor, die Tarife für medizinische Laboranalysen herzhaft um zehn Prozent zu kürzen. Die drei Privatlabors könnten das wegstecken, deutet der Kommentar zum Artikel an. Auch nach Ende der Covid-Pandemie, die ihnen zusätzliche Einahmen brachte, würden sie noch über eine „rentabilité importante“ verfügen. 2023, als Covid-19 vorbei war, hätten ihre Nettogewinne im Schnitt 16 Prozent vom Umsatz ausgemacht. Dagegen seien die Ausgaben der Krankenversicherung für Laboranalysen zwischen 2018 und 2023 ohne Covid-Effekt um 54 Prozent gestiegen. Für dieses Jahr würden sie auf 137 Millionen Euro geschätzt. Der Staatshaushaltsgesetzentwurf kündigt an, mit der Kürzung werde die CNS nächstes Jahr 14 Millionen Euro sparen und 15 Millionen 2026.

„Das hat uns wirklich sehr überrascht“, sagt Stéphane Gidenne, Präsident der Fédération luxembourgeoise des laboratoires d’analyses médicales (FLLAM) und Geschäftsführer der Laboratoires Ketterthill. Verständlich: Laut Sozialversicherungsgesetz verhandeln die Berufsverbände sämtlicher mit der CNS konventionierten Dienstleister alle zwei Jahre mit der Kasse über eine Aufwertung ihrer Tarife. Derzeit ist es wieder soweit. Weil im Gesetz „revalorisation“ steht, kann so eine Verhandlung nicht mit einer Tarifsenkung enden. Tarifautonomie haben die Verhandlungspartner auch. Es sei denn, der Gesetzgeber macht eine Ausnahme. Wie er im Budgetgesetz 2025 eine Ausnahme für die Labors machen soll.

„Nur gegen uns wird so vorgegangen“, entrüstet Stéphane Gidenne sich und hält das für womöglich verfassungswidrig. „Wo bleibt da das Gleichheitsprinzip vor dem Gesetz?“ Zugleich ist er überzeugt, dass nicht Gesundheits- und Sozialministerin Martine Deprez (CSV) am Ursprung der Aktion steht. „Das haben die Beamten der CNS ihr empfohlen. Sie haben uns sogar gesagt, dass sie einen Brief an die Ministerin geschrieben hätten.“ Dass die Beamten der Kasse dennoch am 25. September Verhandlungen mit dem Laborverband über eine Aufwertung der Tarife begannen, sei „deloyal“. Weshalb der Laborverband bei dem zweiten Treffen die Verhandlungen für gescheitert erklärte und ein Schlichtungsverfahren beantragte. Das war am 9. Oktober, dem Tag, als CSV-Finanzminister Gilles Roth Haushaltsentwurf und Gesetzentwurf 2025 im Parlament deponierte.

Martine Deprez nimmt die CNS aus der Schusslinie und viel auf sich: „Das ist unglücklich gelaufen“, sagt sie dem Land. „Ich wollte dem Laborverband eigentlich ehe er in die Verhandlungen gehen würde, mitteilen, dass die Tarife per Budgetgesetz vielleicht gesenkt werden.” Vielleicht, weil das Gesetz ja noch verabschiedet werden muss. Doch erst am 4. Oktober sei es zu einem Treffen mit der FLLAM gekommen. Wo die Ministerin etwas erfuhr, was sie bis dahin nicht wusste: Ende September hat der Laborverband mit dem OGBL einen sektoriellen Kollektivvertrag unterzeichnet. Gehälter und Arbeitsbedingungen des Personals der drei Labors Ketterthill, Laboratoires Réunis und Bionext sollen in Etappen an die im Laboratoire national de santé (LNS) angeglichen werden. Vor allem deshalb findet Martine Deprez den Lauf der Ereignisse so unglücklich. Denn der Kollektivvertrag enthält eine Klausel, die ihn unter Finanzierungsvorbehalt stellt. Die Finanzierung müsse „nachhaltig“ abgesichert sein. Doch das Unglück scheint für die Ministerin mehr in der Form zu bestehen, als bei den Finanzen. „Die zehn Prozent Tarifkürzung wären kein Drama für die Labors. Und ich weiß nicht, ob andere Betriebe einen Kollektivvertrag mit Finanzierungsvorbehalt abschließen.“

Wie der OGBL das sieht, ist nicht in Erfahrung zu bringen. Sein Zentralsekretär für den Sektor Gesundheit und Soziales, Smail Suljic, lässt Anfragen des Land unbeantwortet. Vielleicht will die Gewerkschaft die Angelegenheit nicht hochspielen. CNS-intern hat sie schon Staub aufgewirbelt. Nicht nur die Ministerin sagt, sie habe von dem Kollektivvertrag nichts gewusst. Land-Informationen nach wussten die Beamten der CNS-Verwaltung auch nichts davon. Im Verwaltungsrat der Kasse wussten davon natürlich die OGBL-Vertreter. Diese Zusammenhänge spielt der Laborverband nun gegen die CNS aus. Denn deren Verwaltungsrat hatte den Beamten ein Mandat zur Verhandlung erteilt, das bei null Prozent Tarif-Aufwertung beginnen sollte. Das wäre zwar keine Aufwertung, hätte aber einen Deal ein paar Prozentpunkte höher nicht ausgeschlossen. Doch die Beamten kontaktierten die Ministerin, erzählten ihr von der Rentabilität der Labors, dass in den Verhandlungen keine Tarifsenkung möglich sei, aber per Budgetgesetz. Schlussfolgerung des Laborverbands: In der CNS herrscht eine „Dysfunktion“.

Solche harten Feststellungen bringen vielleicht Punkte im Schlichtungsverfahren. Beziehungsweise, wenn die Diskussion um Haushaltsentwurf und loi budgétaire Fahrt aufnimmt und die FLLAM ein Lobbying für ihre Sache macht. Dass sie das tun wird, ist wahrscheinlich. Ihre Situation unter den mit der CNS konventionierten Dienstleistern ist speziell. Für die allermeisten anderen, die Ärzt/innen etwa, steigen die Tarife automatisch mit jeder Indextranche. Für die Labors geht das nur auf dem Verhandlungsweg alle zwei Jahre. Eine Anhebung der Tarife kann nicht die durchschnittliche Entwicklung des Index vier bis zwei Jahre vor dem Jahr übersteigen, ab dem es eine Tarifänderung geben soll. Was kompliziert klingt, aber darauf hinausläuft, dass die Tarife für die Jahre 2025 und 2026 die Indexentwicklung 2021 bis 2023 berücksichtigen müssten. Jener Jahre, in denen fünf Indextranchen fällig wurden. „13 Prozent sind das“, rechnet FLAAM-Präsident Gidenne vor. Wovon, wie die Generalinspektion der Sozialversicherung ausgerechnet hat, ab Anfang 2025 bis zu 9,72 Prozent auf die Tarife aufgeschlagen werden dürften. Gidenne addiert: „Falls wir keine Erhöhung über die Verhandlungen bekommen und obendrein die Tarife per Budgetgesetz um zehn Prozent sinken, gehen uns bis zu 20 Prozent verloren.“ Dabei würde, fügt er hinzu, die Gehältermasse, die den Labors durch den Kollektivvertrag entsteht, schon beim aktuellen Tarifstand den durchschnittlichen Umsatz der Labors übersteigen. „Wird gekürzt, rückt der Kollektivvertrag umso weiter in die Ferne.“

Was sich nicht gut anhört. Wie der FLAAM-Präsident die Motive schildert, die zum Abschluss des Vertrags führten, müssten die Labors sowohl gegenüber dem LNS als auch gegenüber den Krankenhäusern und dem Pflegesektor attraktiv bleiben. „Wir beschäftigen eine ganze Spannbreite von Personal. Sie reicht von Labortechnikern über Krankenpflegerinnen bis hin zu Mikrobiologen.“ Das setze die Labors bei der Konkurrenz um knappes Personal auch der Konkurrenz mit den Kollektivverträgen SAS für den Sozial- und Pflegesektor und FHL für die Krankenhäuser aus, die beide an die Gehälterentwicklung im öffentlichen Dienst gekoppelt sind. Zwar bestreitet Stéphane Gidenne, dass Laborpersonal kontinuierlich abwandere. Aber leicht sei die Lage nicht.

Martine Deprez dagegen scheint vom Nutzen des Labor-Kollektivvertrags nicht so überzeugt. Jedenfalls nicht, wenn dazu mehr Geld aus der Krankenversicherung an die Labors fließen müsste: „Als ich die Vertreter des Laborverbands traf, beschrieben sie mir die Berufsbilder in ihrer Branche. Zahlen legten sie mir keine vor.“ Sie verfüge nur über die Zahlen der CNS und der Generalinspektion der Sozialversicherung. Aus denen hervorgehe, dass der Ausgabenanstieg der Krankenversicherung für die Labors viereinhalb Mal größer sei als der Bevölkerungszuwachs. Deshalb habe sie der Tarifkürzung zugestimmt. „Das wurde ja auch früher schon per Budgetgesetz gemacht.“

In den letzten 25 Jahren geschah das immer wieder. Der „Zukunftspak“ der damaligen DP-LSAP-Grüne-Regierung reichte mit dem Budgetgesetz 2015 die bisher letzte große Tarifkürzung nach, um 20 Prozent. Nahm der kumulierte Index seit 2008 um fast 30 Prozent zu, zeigte die kumulierte Entwicklung der Labortarife im selben Zeitraum um fast ein Viertel nach unten. Aufbesserungen der Tarife gab es erst ab 2019 wieder. Wie die Labors die vielen Kürzungen aushielten? – „Wir haben mit Innovationen, Skaleneffekten und neuen Verfahren dagegengehalten“ zählt Stéphane Gidenne auf. Das koste, dafür würden Kredite aufgenommen. Und natürlich seien die Labors nicht alle gleich. „Wir sind unterschiedlich groß, haben eine unterschiedliche Kostenstruktur, verwenden unterschiedliche Reagenzien.“ Und nicht nur Leistungen für die CNS erbringen die Labors. Im Gesundheitssystem sind sie die einzigen Akteure for-profit. Aktiengesellschaften, von denen zwei ganz oder mehrheitlich in ausländischem Besitz sind. Kettherthill ist seit 2012 Teil des französischen Konzerns Cerba Healthcare. Die Mehrheit der Aktien der Laboratoires Réunis hält seit 2021 der ebenfalls französische Biogroup. Das einzige Luxemburger Labor, wenn man so will, ist Bionext. Scharfe Konkurrenten sind die drei auch. Was sich zum Beispiel zeigte, als Bionext 2021 vor Gericht zog, um die Vergabe der drei Phasen des Large-scale testing auf das Covid-Virus durch die damalige Regierung an die Laboratoires Réunis anzufechten. Die Laboratoires Réunis verdienten während der Pandemie besonders viel und lösten nach dem Umsatz zeitweilig Ketterthill als Marktführer ab.

Doch was die CNS heute zu den Labors bemerkt, ist hors-Covid. Eigentlich sollte 2018 eine neue Zeit beginnen. Eine neue Gebührenordnung trat in Kraft, an der zwei Jahre lang gearbeitet worden war. Ihre Tarifposten sollten auf dem letzten Stand der Wissenschaft sein. Eine paritätische Arbeitsgruppe von FLAAM und CNS soll seither unter anderem nach Möglichkeiten zur Ausgabenkontrolle suchen. Im Kommentar zu Budgetgesetzartikel 35 steht, „malgrés toutes ces mesures“ sei die Ausgabenentwicklung der Krankenversicherung für die Labors „toujours très soutenue“. Was Stéphane Gidenne nicht akzeptiert: Es seien Möglichkeiten gefunden worden, um auf das Verschreibungsverhalten der Ärzt/innen Einfluss zu nehmen. Sie müssten auf Verschreibungen für Laboranalysen mehr als bisher begründen, wieso verschiedene Analysen gerechtfertigt sind. Unterbleibt das, muss der Patient zahlen. Die Labors werde die neue Regelung fünf bis sechs Prozent an Umsatz kosten. Im September trat sie Regelung in Kraft. Wie der FLAAM-Präsident das sieht, viel zu spät: „Die Arbeitsgruppe war im Januar fertig damit.“ Also könne die CNS nicht behaupten, mit der FLAAM sei nicht genug gespart worden. Die Kasse sei selber Schuld.

Martine Deprez sagt, über diese Zusammenhänge sei sie nicht informiert. Der Laborverband habe ihr gegenüber nichts dergleichen vorgebracht. Stelle sich heraus, dass die Labortarife zu stark beschnitten wurden, könne den Labors bei der nächsten Verhandlungsrunde mit der CNS ein „ratrappage“ zugestanden werden. Auf den die Labors natürlich zwei Jahre warten müssten, bis zur nächsten Runde. Die CNS verhandle übrigens derzeit mit allen Dienstleistern so, dass es keine „Überversorgung“ gibt.

Peter Feist
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