Agrarbetriebe nach der Rindfleischkrise

Dramatisch, äußerst besorgt, zusammengebrochen

d'Lëtzebuerger Land vom 01.03.2001

In Luxemburg hat man sie bisher noch nicht beobachten können: Kundgebungen wie die der belgischen Bauern, die am Montag gegen das Belgien-weite Transportverbot von Ziegen und Schafen protestierten, mit dem die Regierung in Brüssel die Weiterverbreitung der Maul- und Klauenseuche verhindern will.

Die Stimmung unter den Landwirten hier zu Lande ist dennoch schlecht. Begriffe wie "dramatisch", "äußerst besorgt" oder "zusammengebrochen" sind noch immer regelmäßig zu hören, wenn das Gespräch auf die Landwirtschaft kommt. Psychologisch gesehen sicherlich nicht der beste Ausgangspunkt, um über neue Wege in der Landwirtschaft nachzudenken, wie es das neue Agrargesetz mit dem darin enthaltenen Plan de développement rural (PDR) nahe legt, das die Regierung vor zwei Wochen auf den Instanzenweg geschickt hat.

Noch vor den parlamentarischen Sommerferien soll das umfangreiche Gesetzeswerk verabschiedet werden, den Betrieben die seit Ende 1999 mit dem Auslaufen des alten Agrargesetzes vermisste Planungssicherheit zurückgeben und gleichzeitig Pisten öffnen, über die auch die Luxemburger Landwirtschaft die europäische Agenda 2000 umsetzen kann: Reduzierung der planwirtschaftlichen Elemente in der Agrarpolitik, Reduzierung des staatlichen Aufkaufs und des subventionierten Exports, Stärkung von Qualitätsproduktion und Ausbau dörflicher Strukturen nach dem Prinzip der "Nachhaltigkeit" mittels Diversifizierung ökonomischer Aktivitäten, womit nicht nur agrarische gemeint sind.

Verglichen mit dem Rest der EU ist die Ausgangssituation für Luxemburg allerdings in mehrerlei Hinsicht eine spezielle. Zwar hält auch hier zu Lande die Konzentration der Betriebe seit mehr als 30 Jahren an, allein zwischen 1989 und 1999 sank laut Statec-Angaben vom August letzten Jahres die Zahl der Agrarunternehmen von 3 945 auf 2 813, ohne Forst- und Weinbaubetriebe auf 2 307. Die durchschnittliche Betriebsgröße stieg von 32,07 auf 54 Hektar. Dennoch verläuft die Produktion noch relativ extensiv. Dass der Sieben-Punkte-Notfallplan, den EU-Agrarkommissar Franz Fischler zur Stabilisierung des europäischen Rindfleischmarktes vorgeschlagen hat, hier zu Lande wenig diskutiert wird, liegt unter anderem daran, dass Luxemburg mehrere von Fischlers Extensivierungszielen schon jetzt erfüllt: Wenn beispielsweise die Prämienzahlungen für Mutterkühe und Mastbullen nicht mehr an Betriebe von zwei oder weniger Großvieheinheiten pro Hektar gezahlt werden sollen, sondern das Limit auf 1,8 herabgesetzt werden soll, liegt diese Besetzungsdichte in Luxemburg im Schnitt bei 1,4, und nach Schätzungen der Bauernzentrale dürften allenfalls 20 Betriebe von Fischlers Maßnahmeplan be-troffen sein, falls er in Kraft tritt.

Die Luxemburger Betriebe plagen neben der Rindfleischkrise - der Verbrauch ist laut Landwirtschaftsminister Boden um 27 Prozent gesunken - vor allem die im letzten Jahr stark gestiegenen Poduktionskosten. Genaue Angaben werden vom Service d'économie rurale im Landwirtschaftsministerium derzeit erst zusammengestellt, aber allein die Düngemittelpreise haben sich im Jahr 2000 verdoppelt, und die gestiegenen Rohölpreise führten dazu, dass so mancher Betrieb zwischen 150 000 und 200 000 Franken zusätzlich allein für Treib- und Heizstoffe ausgeben musste. Eine weitere, wenn auch geringere Rolle spielt der in Folge der BSE-Krise und des Tiermehlverbots weltweit um 30 Prozent gestiegene Preis für Soja, die wichtigste Eiweißpflanze zur Verfütterung an Rinder.

Ein Luxemburger Spezifikum, das anscheinend eine immer größere Rolle spielt, ist das nur sehr begrenzt für landwirtschaftliche Nutzung zur Verfügung stehende Territorium. Als Faustformel wird im Landwirtschaftsministerium der Satz benutzt, pro Jahr verschwände eine Nutzfläche von der Größe zweier Fußballfelder, und wenn die Handwerkskammer in ihrer vergangene Woche veröffentlichten Broschüre Artisanat - Bilan et perspectives économiques 2000 festhält, dass das im Jahr 1999 genehmigte Bauvolumen das höchs-te seit 15 Jahren gewesen war, dann ist das ein weiteres Indiz für den anhaltenden Flächenverbrauch.

Stark diskutiert wird innerhalb der Bauernverbände gegenwärtig über steigende Pachtpreise. Schätzungsweise bis zu 30 Prozent der Agrarfläche sind derzeit verpachtet; beobachtet wird mit Sorge, dass immer mehr Verpächter, die einst Landwirte waren, die Pachtverträge kündigen und selbst wieder in die Produktion einsteigen. Der Ertrag spielt für sie dabei keine Rolle, nur die zu erwartenden Prämien. "Wenn man sich gut anlegt", sagt Carlo Janssen, Präsident des Verbandes Jongbaueren a Jongwënzer, "kann man im Ackerbau pro Hektar 20 000 Franken an Prämien erhalten." Das sind zwar nur Ausgleichszahlungen für europaweit geplante Ertragseinbußen. Dennoch haben in manchen Regionen Luxemburgs die Pachtpreise die Größenordnung der Prämien pro Hektar bereits erreicht: im Kanton Redingen beispielsweise. Da bleibt von den Prämien nicht mehr viel übrig, und vermutlich hätte die Direktion der Cargolux heute noch genauso Recht wie vor einigen Jahren, als sie in ihrer Jahresbilanz-Presekonferenz anmerkte, der Gewinn der Airline sei höher als der der ge-samten Luxemburger Agrarwirtschaft.

Im Landwirtschaftsministerium ist das Pachtpreis-Problem zwar nicht unbekannt, soll jedoch erst noch genauer analysiert werden. Immerhin würden die Bauern schon seit mindestens 20 Jahren über zu hohe Pacht klagen, und immer wenn ein neuer Schub in Richtung Prämien-Landwirtschaft einsetzte, habe es geheißen: "Das drückt die Pacht nach oben."

Dass die Situation vor allem für junge Landwirte mittlerweile kritisch ist, findet Marco Gaasch, Präsident der Landwirtschaftskammer: "Wenn einer von ihnen einen neuen Betrieb eröffnen will, dann kann es schon problematisch sein, dafür 20 Hektar zusammen zu bekommen."

Als "dramatisch" beschreibt Jongbaueren a Jongwënzer-Präsident Carlo Janssen die Stimmung unter den Junglandwirten. Vor allem unter jenen, die vor der Entscheidung stehen, einen Betrieb zu eröffnen oder nicht, würden zurzeit viele zögern; unter denen, die erst seit kurzem ein eigenes Agrarunternehmen betreiben und eine zweite große Investition tätigen müssten, nähmen Überlegungen zu, dies nicht zu tun und den Betrieb eventuell aufzugeben. Ob es überhaupt sinnvoll ist, Landwirt zu werden und man nicht doch lieber einen anderen Beruf ergreifen sollte, wird unter den Schülerinnen und Schülern der Ackerbauschule in Ettelbrück zunehmend diskutiert.

Würde dann das neue Agrargesetz mit dem Plan de développement rural, der eine noch stärkere Prämienbindung der Produktion vorsieht, spekulative Geschäfte fördern? Oder zumindest einer Konzentration Vorschub leisten, wie sie im Milchsektor nach der Freigabe des Milchquotenverkaufs vor einem Jahr eingesetzt hat?

Damals hatten bis zum 30. April 2000 im Zuge der Umsetzung der EU-Milchquotenregelung Produktionsgenehmigungen für 8,6 Millionen Kilogramm Milch ihren Besitzer gewechselt, und es setzte sich ein Trend fort, der schon Jahre vorher begonnen hatte: zwischen 1982 und 1992 war insbesondere die Zahl der pro Jahr mehr als 150 000 Kilogramm Milch produzierenden Betriebe gestiegen, danach nur noch die derjenigen mit mehr als 250 000 Kilogramm. Seit Einführung des freien Milchquotenhandels am 1. April 2000 gibt es in Luxemburg die ersten Produzenten mit mehr als einer Million Kilogramm.

Den an sich ja marktgängigen Tendenzen von Konzentration und Rationalisierung soll der PDR im Sinne der Agenda 2000 ökologisch gegensteuern. Das aus dem alten Agrargesetz bestehende System der Ausgleichszahlungen wird im we-sentlichen beibehalten, soll aber stärker an Kriterien von Umweltschutz und artgerechter Tierhaltung geknüpft werden. Ob die Bindung an die ökologischen Kriterien stark genug ist, muss sich in der Praxis zeigen. Von der Landschaftspflegeprämie etwa profitieren schon heute mehr als 90 Prozent aller Luxemburger Tierproduktionsbetriebe, weil die Zahl von Großvieh pro Hektar im Durchschnitt landesweit klein genug ist.

Damit jedoch bleiben die Prämien an die Nutzfläche gebunden - und prinzipiell anfällig für Spekulationen. Die während der Verhandlungen der Agenda 2000 in der EU-Agrarministerrunde diskutierten Ideen, die Zahlungen künftig nicht nur weitaus stärker an Umweltkriterien zu binden, als die Agenda 2000 es jetzt tut, sondern zusätzlich die Zahl der Arbeitskräfte zu belohnen, fanden am Ende keine Mehrheit.

Ausschließlich auf Ökologisierung der Landwirtschaft ausgerichtete Maßnahmen gibt es freilich; sie stel-len im PDR einen extra Ausgabenposten dar, der mit 3,7 Milliarden Franken dotiert ist. Entscheidend wird sein, wie viele Bauern sich an Maßnahmen zum Gewässerschutz oder zum Artenschutz beteiligen. Neu sind sie nicht, seit 1997 existieren hier zu Lande nach europäischen Maßgaben Programme für die Ökologisierung der Landwirtschaft. Seitdem haben sich nach Auskunft der Administration des services techniques de l'agriculture (Asta) bis zum Sommer 2000 insgesamt 405 Betriebe "an wenistens einer" der 13 Einzelmaßnahmen beteiligt.

Doch während 1997 im ganzen 327 Betriebe Anfragen zur Beteiligung an einem solchen Programm bei der Asta einreichten, waren es 1998 nur 100 und 1999 nur 82. Die Asta erklärt den Rückgang damit, dass diese Programme in der Regel eine Laufzeit von fünf Jahren haben, so dass man die Teilnahme an den Öko-Programmen kumuliert be-trach-ten müsse. 405 von insgesamt 2 307 Betrieben macht dennoch nicht mehr als 17 Prozent aus; die Asta räumt ein, dass die Öko-Programme eine "sehr komplexe" Materie darstellen und es mitunter noch immer Widersprüche zwischen einzelnen Maßnahmen gibt.

Dass weder die EU noch die Luxemburger Regierung einen Umstieg in eine ökologische Landwirtschaft wirklich wollen, davon ist Jungbauern-Präsident Carlo Janssen überzeugt: "Sonst würde viel mehr unternommen, um dafür zu sensibilisieren."

Der Jungbauern und Jungwinzer-Verband, der gemeinsam mit dem Ettelbrücker Oeko-Fonds eine Beratungsstelle zur Einrichtung von Biogasanlagen unterhält, verzeichnet ein steigendes Interesse der Landwirte an Stromerzeugung aus dieser erneuerbaren Quelle: Beim derzeitigen Stand von Investitionsbeihilfen und Einspeisepreis amortisiert sich eine durchschnittliche Biogasanlage nach fünf Jahren; da ihre Lebensdauer mindestens 20 Jahre beträgt, verdient ein Bauer 15 Jahre lang Geld damit. Aber, so Carlo Janssen: "Man muss sich die Mühe machen, auf die Bauern zuzugehen. Die große Schwäche der Ökologisierungspolitik der Regierung besteht darin, dass sie entweder per Zwang etwas durchsetzen will, oder darauf wartet, dass die Bauern kommen. Beides funktioniert nicht."

Letzten Endes dürfte der Weg in Richtung einer Landwirtschaft, ob ökologischer, oder nachhaltiger, nicht ohne eine Bildungsoffensive zu haben sein. Die Landwirtschaftskammer bietet neben ihren agronomischen Weiterbildungskursen seit dem letzten Herbst auch Unternehmerschulungen an, mit großer Resonanz. Und die im vergangenen Jahr begonnene Diskussion um einen Neubau der Ackerbauschule in Ettelbrück und eine Neugestaltung der praktischen Ausbildung führte zur Forderung der Jongbaueren a Jongwënzer, in Luxemburg eine Meisterprüfung zum Landwirt einzuführen und als Voraussetzung zum Betrieb eines Hofes vorzuschreiben.

Vor allem Bauernzentrale und CSV waren damals ausdrücklich gegen diesen Vorschlag und fürchteten, viele angehende Landwirte könnten diese Prüfung nicht bestehen. Was allerdings zu beweisen bleibt. Im Service de l'économie rurale werden jedenfalls bei der Analyse der Wirtschaftstätigkeit der Agrarbetriebe schon seit längerem die Betriebsergebnisse mit dem Ausbildungs-stand der Landwirte in einen Zu-sam-menhang gebracht. "Die Fragestellung ist zwar sehr komplex", meint SER-Direktor René Harpes, "aber unsere Buchführungen zeigen im großen und ganzen: je höher der Ausbildungsstand des Landwirts, umso besser läuft der Betrieb."

 

 

Peter Feist
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