Umsetzung von Franz Fischler EU-Agrarreform

Kommt zur Wahl die Bodenreform?

d'Lëtzebuerger Land vom 04.03.2004

Sie waren ein Jahr lang Medienthema gewesen: die Vorschläge von EU-Landwirtschaftskommissar Franz Fischler über eine vorgezogene Reform der gemeinsamen Agrarpolitik. Am 23. Juni 2003 einigte sich der EU-Agrarministerrat nach langen Debatten auf einen Kompromiss. Er räumt den Mitgliedstaaten mehr Freiheiten bei der Umsetzung der Reform ein, die ab Anfang nächsten Jahres in Kraft tritt. 

 

Landwirtschaftsminister Fernand Boden war auch gegenüber dem Kompromiss skeptisch. Inwieweit er auch "uns helfen" könne, wisse er nicht, sagte Boden im Land-Interview am 28. August 2003 noch. Nun aber will sein Ministerium eine Umsetzung, die mit Fischlers Vorschlägen so defensiv nicht umgeht. Und auf den ersten Blick scheinen auch die drei Bauerngewerkschaften reformwilliger, als man vor sechs Monaten noch hätte glauben können.

 

Im Kern wollte Fischler den Einzug der Marktwirtschaft ins Agrarwesen. Nicht mehr am Subventionsangebot sollten die Landwirte ihre Produktion ausrichten, sondern an der Nachfrage. Statt Hektarprämien für Getreidefelder oder Kopfprämien für Mastbullen sollte jeder Betrieb eine Jahrespauschale bekommen, die sich nach den zwischen 2000 und 2002 erhaltenen Subventionen so-wie der Zahl der gehaltenen Tiere und der Größe der bewirtschafteten Fläche bemisst. Sie sollte unverändert auch weiterfließen, falls weniger Tiere gehalten oder statt Weizen Obst und Gemüse produziert würden. Gekürzt werden sollten die Zahlungen nur, falls ein Betrieb gegen Umwelt-, Tierschutz- und Gesundheitsauflagen verstößt. Prinzipiell sollte auch ein Bauer, der gar nichts mehr produziert, mit der Pauschalzahlung rechnen können, solange er seine Flächen nicht völlig vernachlässigt.

 

Ein regelrechtes Pauschalgehalt pro Fläche und Jahr wollte Fischler aber nicht ausschütten. Stattdessen sollten die Zahlungen personengebunden und als Prämienanrechte handelbar sein. Wer über Fläche verfügt, sollte Anrechte-Coupons ver- und zukaufen können. Dagegen, wie auch gegen das Prinzip, die Direktbeihilfen von der Produktion zu "entkoppeln", erhob sich Kritik. Entkopplung "kann nicht sein", meinten auch Boden und die Gewerkschaften. Ein Landwirt müsse zur Produktion angehalten werden. Fischlers Prinzip der "Betriebsprämie" führe zu Unruhe auf dem Grundstücksmarkt. Könnten die Anrechte-Coupons doch nur gehandelt werden, solange Agrarflächen vorhanden sind, auf die sie bezogen werden können. Falls zu Beginn des Coupon-Handels mehr Flächen zur Verfügung stünden als Coupons, könnte ein Pächter die Coupons gewinnbringend verkaufen. Weil er gepachtetes Land an den Eigentümer zurückgeben dürfte, ohne Coupons mitzugeben, sänken die Pachtpreise gleichzeitig. Sobald jedoch Flächenknappheit eintritt, würden die Pachtpreise anziehen und die Coupons an Handelswert verlieren.

 

Weil davon Betriebe auf längere Sicht benachteiligt wären, räumte Fischler den Mitgliedstaaten im "Luxemburger Kompromiss" ein, statt der Betriebsprämie eine "Regionale Einheitsprämie" einzuführen, die nicht die Prämienausstattung des Betriebs zwischen 2000 und 2002 erfasst, sondern seine Ausstattung mit Fläche zum Zeitpunkt der Umsetzung der Reform. Sie würde sofort für sämtliche Flächen gelten, die entsprechend knapp und die Pachtpreise von Anfang an hoch sein würden. Weil sie eine einheitliche Prämie pro Hektar wäre, die sich nach dem Flächenumfang zu einem bestimmten Zeitpunkt bemisst, brächte sie allerdings eine erhebliche Umverteilung von Einkommen zwischen den Betrieben mit einem Schlag mit sich.

 

In beiden Fällen wären die gezahlten Prämien nur von der Produktion entkoppelte. Fischler und die EU-Agrarminister einigten sich am Ende auf Entkopplungsoptionen für die Mitgliedstaaten: Die Getreideprämien dürfen zu 25 Prozent an die Produktion gekoppelt bleiben, die Saatgutprämien ganz, Schafzuchtprämien zur Hälfte. Da die Preise für Milchprodukte gesenkt werden, wird in diesem Jahr eine gekoppelte Milchprämie eingeführt, die den Verlust zum Teil ausgleicht. Sie muss aber spätestens 2008 vollständig entkoppelt werden. Am komplexesten fiel der Kompromiss für die Rinderhaltung aus: Teilweise oder vollständig gekoppelt bleiben dürfen die Schlacht-, die Mutterkuh- und die Bullenprämie. Aber nicht alle gleichzeitig, sondern in Abstufungen voneinander, und verschiedentlich führt die Totalkopplung der einen zur Totalentkopplung anderer.

 

Bis spätestens 1. August müssen alle Mitgliedstaaten nach Brüssel melden, wie sie die Reform umsetzen wollen. Wer sich verspätet, wählt automatisch Fischlers Modell aus Betriebsprämie und Totalentkopplung. Hier zu Lande fanden seit September letzten Jahres sechs Gespräche zwischen der Landwirtschaftskammer und dem Agrarministerium statt. Interessant ist die Position des Letzteren schon: "Wir sind noch immer besorgt über die Reform an sich. Aber wenn man es auf den Punkt bringen will", sagt Frank Schmit, Direktor des Service d'économie rurale (SER), "dann sind wir für Totalentkopplung." Vor eineinhalb Jahren hatte Minister Boden sie noch als "Katastrophe für unsere Landwirtschaft" bezeichnet.

 

Doch selbst die in der Landwirtschaftskammer vertretenen Gewerkschaften sahen nur für die Rinderhaltung Diskussionsbedarf. Die Regierung bot an, die Bullenprämie gekoppelt zu halten, da Bullenmast am Ende einer Wertschöpfungskette steht, die man damit stabilisieren könnte. "Die Berufsvertreter", sagt Frank Schmit, "hielten das nicht für wichtig. Also entkoppeln wir." Eine Zeitlang war über die Kopplung der Schlachtprämie diskutiert worden, die pro geschlachtetem Tier 80 Euro beträgt. Da die Hälfte des heimischen Rinderbestandes jedoch im Ausland geschlachtet wird, hätte Luxemburg eigentlich nur ein An-recht auf die Hälfte der Prämiensumme. Der Rest wird ausnahmsweise über eine "enveloppe nationale" zugeschossen, die aber nicht zur Anwendung käme, wollte man die Schlachtprämie gekoppelt halten. Im Entkopplungsfalle freilich zählt sie zur Berechnung der zu verteilenden Prämienmasse ganz. Was auch die Bauernvertreter überzeugte. Bleiben die Mutterkühe. "Wir hätten ihre Haltung gern gekoppelt", sagt Robert Ley, Generalsekretär der Landwirtschaftskammer, "denn es wurde ein genetisches Potenzial aufgebaut, das womöglich nicht mehr so gut gepflegt werden könnte." Und: Die derzeitige Mutterkuhprämie von 250 Euro pro Tier enthält einen "Brüsseler" und einen "nationalen" Anteil. Letzterer macht 50 Euro aus und entfiele im Entkopplungsfall. Dieses Argument kann man im Landwirtschaftsministerium verstehen. Auch, "dass manche Bauern nach Frankreich schauen, wo die Mutterkuhhaltung gekoppelt beiben soll". Die beste Option sei das aber nicht: Die Mutterkuhhaltung liege am Anfang einer Wertschöpfungskette, ihre Produktionsprämie wirke sich stärker auf Einzelbetriebe aus als die Bullenprämie. "Da würden wir", sagt Frank Schmit, "lieber alles entkoppeln."

 

Nun muss Fernand Boden entscheiden zwischen den Empfehlungen seiner Verwaltung und den Wünschen der Landwirtschaftskammer. Erwartet wird ein Gesetzentwurf noch für diesen Monat. Dass Boden darin für eine Totalentkopplung plädieren könnte, ist so unwahrscheinlich nicht: Zum einen würde sie Verwaltungsaufwand vermeiden, weil neben einem neuen nicht noch ein altes Prämiensystem zu administrieren wäre. Die Beibehaltung der Mutterkuhkopplung ist zum anderen in der Agrarszene keine allgemeine Forderung. Und wenn Luxemburg über rund 18 000 Mutterkuh-Quoten verfügt, aber 26 000 Mutterkühe gehalten werden, folgt daraus nicht unbedingt, dass ihre Halter nicht rentabel arbeiten könnten. Außerdem ist die EU seit 2003 neuerdings Rindfleisch-Importeur, die Preise steigen kontinuierlich.

 

Der große Streitpunkt ist die Teilkopplung ohnehin nicht mehr, seit der Luxemburger Kompromiss dazu einen Katalog verabschiedet hat. Sondern vielmehr die Verteilung der entkoppelten Geldmasse. Die Landwirtschaftskammer hat stets der Betriebsprämie den Vorzug gegeben, weil in Luxemburg freie Flächen so knapp sind, dass die Pachtpreise von Anfang an hoch bleiben. Die regionale Flächenzahlung, welche das Ministerium bevorzugt, würde aber nicht nur extensiv arbeitende Betriebe besser stellen, sondern vor allem auch große Milchbetriebe schlechter. Wem es gelingt, auf wenig Futterfläche viele Milchkühe zu halten und viel zu melken, erleidet einen Einkommensverlust, zumal die Milchpreise sinken sollen. Große Milchbetriebe jedoch stellen das Gros der heimischen Agrarwertschöpfung, und sie bereiten sich schon für den neuen Agrarkapitalismus vor: Die Milchprämie soll so früh wie möglich entkoppelt werden. Nicht erst 2008, sondern schon zum 1. Januar 2005.

 

Auch der SER räumt ein, dass eine rein flächenbezogene Prämie schon ab dem nächsten Jahr tatsächlich manche Betriebe um Einnahmen von 100 bis 200 Euro pro Hektar bringen könnte. Vor diesem Hintergrund wurde mit der Landwirtschaftskammer ein Mischmodell vereinbart, das einen regionalen und einen Betriebsprämienanteil enthält und im Luxemburger Kompromiss als zweite Alternative zu Fischlers ursprünglichem Betriebsmodell festgehalten wurde. Vor allem den großen Milchbauern käme es gelegen: Ein Sockelbetrag aus einem Flächenanteil, der groß genug ist, dass die EU-Kommission ihn akzeptiert, stellt klar, dass auf alle Flächen ein Prämienanrecht fällt. Dadurch werden die Milchquotenpreise drastisch sinken, die Konzentration kann sich fortsetzen.

 

Die Mischformel ähnelt der, die in Deutschland angewandt werden soll - wo man außerdem sämtliche Produktionsbeihilfen entkoppeln will -, abgesehen von einem wesentlichen Punkt: Östlich der Mosel steht fest, dass der Betriebsprämienanteil am Mischmodell über die Jahre hinweg immer weiter fallen und 2012 zu null werden soll. Dann erhielte tatsächlich jeder Betrieb pro Fläche ein Pauschalgehalt. In Luxemburg dagegen sollte der Betriebsprämienanteil konstant bleiben, möchte die Landwirtschaftskammer.

 

Eine proaktive Haltung Richtung Markt ist das nicht. Es würde die Produktivität, die ein Betrieb zwischen 2000 und 2002 besaß, als wichtigsten Gradmesser für die Vergabe der neuen Prämien festschreiben, obwohl die Entwicklung der Höfe weiter gehen wird. Für ungerecht hält der Landwirtschaftskammer-Generalsekretär das nicht: Über die Höhe des Betriebsanteils werde man noch sprechen können, und wer wisse schon, ob nicht die EU-Agrarpolitik sich 2007 noch einmal ändert.

 

Ginge es nach dem SER, würde in Luxemburg das deutsche Mischmodell übernommen. Die letzte Entscheidung aber liegt beim Minister. Er hielt letztes Jahr ein Pauschalgehalt pro Betrieb für generell "besser" als Fischlers Betriebsprämienvorschlag (d'Land, 28. August 2003). Jetzt kommt diese Frage zu ihm zurück.

 

Ihre Beantwortung wird von entscheidender Bedeutung für die Luxemburger Agrarzukunft sein. Wer komplett entkoppeln will, kann keinen gleichbleibend hohen "historischen" Prämienanteil wollen, denn fit für den Markt macht man Betriebe mit einem solchen politischen Signal nicht. Dann müsste Fernand Boden jedoch die gesamte Einkommensstruktur der heimischen Landwirte auf den Prüfstand heben. Die zurzeit verlässlichsten Zahlen über die Gewinnsituation der Betriebe datieren vom Oktober 2003 und betrachten abschließend das Jahr 2002 im Rahmen des europaweiten "Testbetriebsnetzes", das rund 90 Prozent der Luxemburger Betriebe erfasst. 2002 gingen die Gewinne aller Unternehmen um elf Prozent zurück. Zwar war es das Jahr der Hausschweinepest - doch gleichzeitig waren die Milchpreise hoch, die Rindfleischpreise angestiegen, die Getreideernte gut und die Weinlese auch. Dafür aber nahmen die Fixkosten der Betriebe - die hier zu Lande im EU-Vergleich ohnehin hoch sind - um weitere neun Prozent zu, und es stiegen um 27 Prozent die Investitionen der Bauern, vor allem in Maschinen. Das sei, resümierte der Bericht, "unverantwortlich", denn der Anteil von Beihilfen am Gewinn der Betriebe wuchs vor allem dadurch auf 93 Prozent.

 

Doch mögen auch die Betriebsleiter individuell so entschieden haben - das geltende Agrargesetz lässt es zu. Es regelt die Zahlungen aus dem so genannten Zweiten Pfeiler und fördert neben Investitionen auch Qualitätsproduktion, Umwelt- und Tierschutz oder die Betriebsgründung von Jungbauern. Seine Finanzausstattung ist vorbildlich für die EU, und es ist der Zweite Pfeiler, der Verwerfungen vorbeugen soll, die sich aus Strukturbrüchen im Ersten Pfeiler ergeben. Produktionsprämien gehören zum Ersten Pfeiler. Um Prämienentkopplungs-Schäden aufzufangen, ist Luxemburg eigentlich gut gerüstet. So dass die entscheidende Frage die ist, ob Fernand Boden Instrumente findet, um die EU-Agrarreform durch mehr Pädagogik gegenüber den Landwirten zu ergänzen. Was zum gegebenen Zeitpunkt freilich voraussetzt, dass der Spitzenkandidat der CSV Osten sie zum Wahlkampfthema macht.

 

Peter Feist
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