Die Regierung hat einen Kniff gefunden, um für die Grundsteuerreform die mehr als 300 000 Immobilien nicht allesamt neu bewerten zu müssen

Eine Formel in der Software

Ein Eigenheimbesitzer bewässert seinen Hausgarten
Foto: Patrick Galbats
d'Lëtzebuerger Land vom 21.08.2020

Im April 2013 fand im Innenministerium ein ziemlich denkwürdiges Treffen statt. Anwesend waren der damalige CSV-Innenminister Jean-Marie Halsdorf mit Beamten, aber auch CSV-Finanzminister Luc Frieden sowie Vertreter von Finanzinspektion, Steuerverwaltung und Gemeindeverband Syvicol. Thema war die Grundsteuer. Schon 2003 hatte die Abgeordnetenkammer sich einstimmig dafür ausgesprochen, die als antiquiert verschriene Steuer auf Flächen- und Hausbesitz zu reformieren. 2013 tat sie es erneut, denn eine Reform war nicht in Sicht. Jetzt beschloss der Regierungsrat, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, und Halsdorf freute sich, sie werde „Nägel mit Köpfen machen“ (d’Land, 19.4.2013). Doch bei dem Treffen teilten die Experten der Steuerverwaltung den beiden Ministern mit, ganz gleich wie die Reform am Ende aussähe: Sie werde nicht zu haben sein ohne eine Neubewertung der mehr als 300 000 Immobilien im Lande, sonst fehle ihr der Bezugsrahmen. Damit wären voraussichtlich zehn Steuerbeamte zwei Jahre lang ganztags beschäftigt. Als Luc Frieden diesen Personalaufwand für zu teuer erklärte, erfuhr die Runde noch, dass alternativ zwei Beamte während zehn Jahren über Land ziehen könnten. Ernsthaft erwogen aber wurde das nicht, und es wurden wieder einmal keine Nägel mit Köpfen gemacht.

Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass die aktuelle Regierung unter Federführung von LSAP-Innenministerin Taina Bofferding nicht nur an einer Grundsteuerreform arbeiten lässt, sondern sie bis zum Ende der Legislaturperiode in Kraft setzen will. Aber sie hat einen Kniff gefunden, um den Aufwand an Arbeitskraft zu umgehen, der Luc Frieden vor sieben Jahren zu teuer war: Ein Computerprogramm soll aushelfen. Zurzeit, sagt Nathalie Schmit, die Presseverantwortliche des Innenministeriums, werde die „Formel“ in dem Programm „getestet und kalibriert“. Weshalb sich, wie sie gleich anfügt, noch nicht sagen lasse, wie hoch die reformierte Steuer wird. Die Tests aber würden bisher „vielversprechend“ verlaufen, und wenn alles klappe, werde die Software es den Gemeinden künftig erlauben, Grundsteuern zu erheben, die „automatisch aktualisiert“ werden.

Die Aktualisierung ist ein springender Punkt bei der Grundsteuer. Ihrem Charakter nach ist sie eine Steuer auf Immobilienvermögen. Antiquiert ist sie, weil die Vermögenswerte, die besteuert werden, auf „Einheitswerte“ zurückgehen, die seit 1941 unverändert sind. Aus ihnen ermittelt die Steuerverwaltung Nutzen- und Verkehrswert von Immobilien, daraus wiederum die Besteuerungsbasis. Nach wie vor aber muss sie sogar Neubauten auf Wertverhältnisse von 1941 zurückrechnen. Zwar entscheiden über die endgültige Höhe der Steuer die Gemeinden mit. Denn die Grundsteuer ist eine kommunale Steuer; Jahr für Jahr verabschieden die Gemeinderäte lokale „Hebesätze“, mit denen die Besteuerungsbasis einer Immobilie multipliziert wird. Dass das zu Steuerbeträgen führt, die kaum den Eintreibungsaufwand rechtfertigen, liegt aber vor allem an dem veralteten Bezugsrahmen. Und so kann zum Beispiel einen Hektar Wald zu besitzen, weniger als fünf Euro im Jahr an Grundsteuer kosten. Der Grüne Camille Gira, der als Abgeordneter einer der ferventesten Befürworter einer Grundsteuerreform war, hatte öffentlich berichtet, für sein Haus in Beckerich pro Jahr 30 Euro zu zahlen. In Städten wird mehr fällig, aber 80 bis 150 Euro für ein Einfamilienhaus in Esch/Alzette und für ein Apartment rund die Hälfte sieht dennoch nicht nach sehr viel aus.

Oder doch? Und was wäre, wenn die Steuer deutlich stiege? 2003 – die eben geplatzte Dotcom-Blase hatte eine Wirtschaftskrise verursacht und die von der CSV-DP-Regierung 2001 und 2002 erlassenen Steuersenkungen lasteten zusätzlich auf den öffentlichen Kassen – waren vor allem Politiker von CSV und Grünen der Ansicht, die Grundsteuer sollte nach einer Reform den Gemeinden das Zehnfache einbringen: statt damals landesweit 30 Millionen Euro jährlich 300 Millionen. Doch dass jahrzehntelang nicht an die Einheitswerte der Immobilien gerührt worden war, hatte nicht nur niedrige Steuerbeträge üblich werden lassen. Die rasante Urbanisierung des Landes ließ Unterschiede in den Flächennutzungen entstehen. Bei aktualisierten Einheitswerten würden sie je nach Gemeinde zu unterschiedlich drastisch höheren Steuern führen: In der Hauptstadt etwa müssten in Stadtteilen wie Cents oder Kirchberg, die vor Jahrzehnten noch grüne Wiese waren, die Einheitswerte urbanistisch älteren Vierteln wie Belair angenähert werden. Ähnlich würde in der Ortschaft Bridel mit ihrem Bauboom die Grundbesteuerung stärker zunehmen müssen als im Rest der Gemeinde Kopstal. Und ganz prinzipiell müsste den vielen Eigenheimbesitzern erklärt werden, dass es ganz normal ist, wenn einer, der sein Haus in Schuss hält, eine höhere Grundsteuer zu zahlen hat als ein Nachbar, der seines verfallen lässt. Solche Unterschiede bei der Besteuerung des Vermögenswertes brächte eine Grundsteuerreform, der aktualisierte Einheitswerte zugrunde liegen, ans Licht. Die Preissteigerungen auf dem Immobilienmarkt abbilden müsste eine erneuerte Grundsteuer natürlich auch.

„So einen Reformansatz hältst du zwei Wochen durch, dann bist du politisch am Ende!“, hatte Michel Wolter prophezeit, als er 2003 als CSV-Innenminister ein Konzept ausarbeiten ließ, das nicht mehr auf den Einheitswerten fußte: Besteuert werden sollte stattdessen die Fläche, die ein Grundstück belegt, je nach ihrem Status im kommunalen Flächennutzungsplan (PAG). Damit würden die Unterschiede zwischen „alten“ und „neuen“ Wohnvierteln weniger groß. Wie politisch sensibel eine Grundsteuererhöhung ist, hatte 1983 CSV-Finanzminister Jacques Santer erlebt: Er wollte keine neuen Einheitswerte, sondern Agrar- und Forstflächen pauschal fünf Mal höher besteuern, alle anderen Flächen zehn Mal höher. Obwohl Santer Statistiken vorlegte, die zeigten, dass schon damals die Verkaufserlöse über vier Jahrzehnte hinweg viel stärker zugenommen hatten – bei Bauland um das 25- bis 40-Fache –, löste seine Idee derart viel Protest aus, dass er sie wieder begrub.

Dass die heutige Regierung eine ähnliche Erfahrung vermeiden will, liegt auf der Hand. Deshalb soll der in ein Computerprogramm gepackte mathematische Algorithmus, der die Besteuerungsbasis ausspuckt, zum einen und offenbar ähnlich wie das Michel Wolter einst vorgeschlagen hatte, berücksichtigen, welcher Kategorie eine Fläche im kommunalen PAG entspricht – ob sie beispielsweise Bauland ist, Bauerwartungsland oder Grünland. Zweitens, teilt das Innenministerium mit, errechne der Algorithmus für die Flächen jeweils einen Wert im Vergleich zu den Verhältnissen in Luxemburg-Stadt. Laufende Abgleiche mit den Katasterplänen sollen für Automatisierung sorgen. Und: Besteuert würden künftig nur die Flächen, darauf gebaute Häuser nicht mehr.

Wie Innenministerin Taina Bofferding die Sache sieht, könne über die Reform politisch erst sinnvoll diskutiert werden, wenn sämtliche Gemeinden ihren PAG zu einem Plan der „neuen Generation“ überarbeitet haben, der nicht mehr nach den Regeln des Kommunalplanungsgesetzes von 1937 aufgestellt ist. Das kann noch dauern: Laut der Webseite des Ministeriums hatten Anfang dieses Monats 49 der 102 Gemeinden einen PAG nouvelle génération. Vermuten lässt sich aber schon jetzt, dass der Kniff, die 80 Jahre alten Einheitswerte nicht aktualisieren zu müssen, eher dazu führen wird, die Unterschiede von Gemeinde zu Gemeinde und von Quartier zu Quartier einzuebnen, statt ein viel höheres Steueraufkommen zu erzeugen. Gebäude nicht mehr zu besteuern, wird es erleichtern, Besitzer, die ihr Eigenheim bewohnen, durch die Reform wenig oder gar nicht zusätzlich zu belasten, wie die Regierung es versprochen hat. Abzuwarten bleibt, wie der geplante „Wertvergleich“ mit der Hauptstadt sich auswirken soll. Und inwiefern die Grundsteuerreform tatsächlich dazu beitragen soll, „die Grundstücksspekulation zu konterkarieren“, wie die Regierung es als politisches Ziel im Koalitionsvertrag festgehalten hat: Als er unterzeichnet wurde, war noch nicht klar, ob die Grundsteuer eine kommunale Steuer bleibt. Mittlerweile steht fest, dass dem so sein soll. Damit aber entscheiden über die endgültige Höhe der Steuer weiterhin die Gemeinden mit den Hebesätzen. Aus dem Innenministerium heißt es dazu vorsichtig, der Spekulation entgegenwirken lasse sich auf natio-
naler Ebene besser, und dass zu diesem Zweck „etwas Zusätzliches eingeführt“ werden könne. Was, bleibe allerdings noch zu „überlegen“.

Peter Feist
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