Wahlergebnis

Konsequenzen

d'Lëtzebuerger Land vom 17.06.1999

Die Regierungsbildung erfolgt nach einem ungeschriebenen Muster, das sich seit dem letzten Krieg eingespielt hat. Der Großherzog benennt einen „formateur", ggf. einen „informateur", der in seinem Namen ein Kabinett zusammenstellt, das dem „principe démocratique" (Pierre Majerus) Genüge tut, was heißt, daß die Mitglieder der Regierung das Vertrauen der parlamentarischen Mehrheit genießen. Ausschlaggebend ist demnach das sich aus den Wahlen ergebende Kräfteverhältnis. Auslöser des Rituals war auch diesmal der am Montag erfolgte Rücktritt des vom Wähler desavouierten Kabinetts Juncker-Poos. Die Konsultationen des Großherzogs mit den im neuen Parlament vertretenen Parteien und dem Präsidenten des Staatsrats haben logischerweise dazu geführt, daß der demissionäre Regierungschef, Jean-Claude Juncker in seiner Eigenschaft als Exponent der CSV, der nach wie vor stärksten Partei, mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt wurde. Am Mittwoch erteilten die zuständigen Gremien von CSV und DP grünes Licht für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen, die aber nur schleppend vorankommen. Erklärung hierfür ist nicht nur die wenig ausgeprägte Begeisterung von „formateur" Juncker, sich mit der DP einzulassen, sondern auch der Nationalfeiertag. Erst nach Abschluß der Feierlichkeiten werden Donnerstag die eigentlichen Verhandlungen aufgenommen. Bis dahin dürfte Jean-Claude Juncker seine Fassung wiedergefunden haben. Daß es zu einer Koalition zwischen CSV und DP kommen wird, gilt als wahrscheinlich, da der Wähler die Liberalen derart gestärkt hat, daß wohl niemand, auch nicht Jean-Claude Juncker, ihren Anspruch auf eine Regierungsbeteiligung abstreiten oder hintertreiben kann. Die DP wurde nicht nur sitzmäßig zweitstärkste Partei mit fünfzehn Abgeordnetenmandaten, sondern auch stimmenmäßig mit einem Plus von drei Prozentpunkten gegenüber 1994. Stimmenmäßig büßte die CSV leicht ein (minus 0,2) und die LSAP verlor gar drei Prozentpunkte, von den zwei, respektive vier Sitzen, die den austretenden Regierungsparteien abhanden gingen, ganz zu schweigen. Es sind diese teilweise spektakulären Verschiebungen und vor allem der verlorene Sitz im Süden trotz einem Stimmenzugewinn, die die unverholene Lustlosigkeit Junckers erklären, der seine beiden Klassenziele (den seit Kriegsende anhaltenden Abwärtstrend der CSV zu stoppen und das ADR von der politischen Landkarte verschwinden zu lassen) eindeutig nicht erreichte. Es gibt sogar gewichtige Stimmen in der CSV, die für eine Oppositionskur plädieren, da sie sich bewußt wurden, wie stark die Partei mittlerweile von Junckers unverzichtbarer Rolle als Wahllokomotive abhängig ist und geprägt wird. Sein glänzendes persönliches Resultat im Süden (mehr als 35 000 persönliche Stimmen) hat die Partei ganz offensichtlich vor einer ähnlichen Debakel wie die Sozialisten bewahrt. Eine Alternative zu einer Koalition zwischen CSV und DP scheint nicht vorhanden, nachdem die LSAP überraschend schnell das Handtuch geworfen hat und sich mit einer Oppositionsrolle abfinden will. Auch Déi Gréng, die bei gleichbleibender Sitzzahl einen Stimmenrückgang hinnehmen mußten und von 9,9 auf knapp neun Prozent zurückfielen, scheinen nicht unbedingt erpicht darauf, sich auf das gewagte Experiment einer Ampelkoalition zu Dritt einzulassen, die mit 32 Sitzen nur über eine äußerst knappe Mehrheit verfügen würde. Nach allen bisher vorliegenden Erkenntnissen kommt demnach eine Koalition zwischen CSV und DP einer Vernunftehe gleich, auch und gerade weil sie der einzige gangbare Weg zu sein scheint. Sie wäre darüberhinaus die einzige Möglichkeit, den anderen großen Sieger des 13.Juni, das ADR, mit seinem beachtlichen Sitz- und Stimmengewinn ( das ADR erhöhte seinen Stimmenanteil von neun auf 11,3 Prozent und seine Mandatszahl von fünf auf sieben) in Schach zu halten und in die Schranken zu verweisen. Der Zersetzungsarbeit des ADR, das fortan eine noch stärkere parlamentarische Opposition als bisher hergeben wird, kann nur Einhalt geboten werden durch eine möglichst geschlossene und entschlossene Koalition, der ohnehin durch eine oppositionelle LSAP stark zugesetzt werden wird, die durch die Präsenz auf ihren Bänken von langjährigen ehemaligen Ministern nicht zu unterschätzen ist. Die 34 Mandate der sich abzeichnenden Koalition zwischen CSV und DP wirken zwar im Vergleich zu dem Kräfteverhältnis, an das die große Koalition uns die vergangenen fünfzehn Jahre gewöhnt hatte, schwach, aber sie sind das Beste, das unter den vorherrschenden Umständen zu erwarten ist. Außerdem wird die Präsenz einer starken parlamentarischen Opposition dazu beitragen, daß die politische Debatte wieder belebter und spannender wird, um so mehr der politische Fächer ja durch das Mandat, das André Hoffmann für Déi Lénk gewinnen konnte, nach links erweitert wurde. Die Zeiten der starken Mehrheitsverhältnisse scheinen ohnehin der Vergangenheit anzugehören, bedingt einerseits durch den steten Krebsgang der CSV und andererseits durch die Zersplitterung der politischen Landschaft. Aufschlußreich ist auch, daß im Rückblick Regierungen unter Beteiligung der DP immer vergleichsweise schwach waren, zumindest in numerischer Hinsicht. Dies gilt für das Kabinett Werner-Schaus, das zwischen 1959 und 1964 amtierte und dann noch einmal von 1969 bis 1974. In beiden Fällen verfügte es nur über 32 Mandate, allerdings in Parlamenten, die sich aus 52, respektive 56 Abgeordneten zusammensetzten. Vergleichweise schwachbrüstig war auch die Koalition der linken Mitte LSAP-DP zwischen 1974 und 1979. Das Kabinett Thorn-Vouel, respektive Thorn-Berg kam nur auf 31 Sitze in einem Parlament von 59 Mitgliedern und es war recht anfällig für die schonungslose Oppositionspolitik einer CSV, die 1974 ihr bisher schlechtestes Ergebnis in der Nachkriegsperiode mit 29,8 Prozent der Stimmen und 18 Sitzen erzielte. Das 99er Resultat der CSV ist übrigens nicht sehr weit von diesem Tiefstand entfernt. Die Koalition CSV-DP, die aus den Wahlen von 1979 hervorging und sich auf eine mit 34,5 Prozent sowie 25 Mandaten wiedererstarkten CSV stützte, erreichte eine bisher einmalige Mannschaftsstärke in dieser Konstellation. Das Kabinett Werner-Thorn, respektive Werner-Flesch verfügte über eine komfortable Mehrheit von 39 Sitzen. Die spektakulären Verschiebungen im Kräfteverhältnis der Parteien zwischen 1974 und 1979 erinnern wohl am ehesten an die Vorgänge vom 13.Juni. Die DP erreichte 1974, unter Gaston Thorn, ihr bisher bestes Ergebnis mit zwar nur 14 Sitzen aber einem Stimmenanteil von 23,3 Prozent, das sogar noch das Spitzenresultat von 22,3 Prozent am vergangenen Sonntag übertraf. Die LSAP zeigte sich 1979 in fast ähnlich schlechter Verfassung wie am Sonntag mit nur 14 Sitzen und einem Stimmenanteil von 24,3 Prozent. Die Ereignisse der siebziger Jahre zeigen aber auch, daß in der Regel auf ein Debakel eine Glanzleistung folgt. Dies führte die CSV eindrucksvoll 1979 vor und die Sozialisten 1984, wo sie ihr bisher bestes Resultat mit 21 Sitzen und einem Stimmenanteil von 33,7 Prozent vorlegten. Allerdings macht die inzwischen eingetretene Zersplitterung der Parteienlandschaft und vor allem die Präsenz des ADR derartige spektakuläre Come-backs heute schwieriger. Dieser kurze Exkurs verdeutlicht, daß nichts so vergänglich ist wie ein Wahlsieg oder eine Wahlniederlage. Er erinnert aber auch daran, daß der Wechsel durchaus Tradition hat, auch wenn man das fast schon in den vergangenen fünfzehn Jahren vergessen oder verdrängt hatte. Fest steht jedenfalls, daß an einer Partei, die einen derart spektakulären Sprung gemacht hat, kein Weg vorbei führt. Interessant ist natürlich auch, mit welchem politischen Personal eine solcherart regenerierte DP antrat und demnächst gedenkt, Regierungsverantwortung zu übernehmen, genau wie sich ein Blick auf den Zustand der CSV-Truppen lohnt. Bei der DP haben alle Kandidaten, die für einen Ministerposten in Frage kommen, zugelegt, zum Teil kräftig, mit Ausnahme von Colette Flesch, die rund 2 000 Stimmen weniger einfahren konnte. Im Süden z.B. hat sich Eugène Berger (+ 4 000) hervorragend geschlagen, neben Henri Grethen (+ 2 300). Im Zentrum konnten Lydie Polfer, Jean-Paul Rippinger, Anne Brasseur und Paul Helminger ihre Resultate um zwischen 1 000 und 2 000 Stimmen verbessern. Im Osten und im Norden schafften dies ebenfalls Carlo Wagner und Charles Goerens. Letzterer brachte sogar das Kunststück fertig, Lydie Polfer bei den Europa-Wahlen auf den zweiten Platz zu verweisen, mit einem Vorsprung von fast tausend Stimmen. Damit ist er drittbest Gewählter überhaupt, hinter Jean-Claude Juncker und Jacques Santer, womit ihm natürlich alle Optionen offenstehen. Wahlen können aber auch grausam sein, was die meisten austretenden Regierungsmitglieder zu spüren bekamen, mit Ausnahme von Jean-Claude Juncker und Luc Frieden bei der CSV, die beide 7 000, respektive fast 11 000 Stimmen zulegten, sowie bei der LSAP Robert Goebbels und Alex Bodry mit einem Zuwachs von 2 000, respektive 5 000 Stimmen. Als schwacher Trost dürfte für beide ebenfalls der Umstand gelten, daß sie sich bei den Europa-Wahlen kräftig verbessern konnten, mit einem Plus von 3 000, respektive 5 000 Stimmen. Arg gebeutelt wurden Jacques Poos (mit einem Minus von fast 10 000 Stimmen bei den Parlamentswahlen und 4 000 bei den Europa-Wahlen), Erna Hennicot-Schoepges (minus 7 000, beziehungsweise 4 000), Mady Delvaux-Stehres (minus 5 000, respektive 3 500), Marie-Josée Jacobs (minus 2 600), Georges Wohlfart (minus 1 500) und schließlich Michel Wolter, der nur für die Landeswahlen kandidierte und 1 000 Stimmen verlor. Aus dieser Neuverteilung der Karten in Sachen Beliebtheitsgrad der Politiker ergibt sich zum einen, daß der tageblatt/ILRES-Politbarometer völlig daneben lag. Es zeigt sich nämlich jetzt, daß die Popularität vor allem von LSAP-Politikern maßlos überschätzt wurde. Lediglich die Bewertung von Alex Bodry als das bessere Zugpferd im Vergleich zu Spitzenkandidat Robert Goebbels hat sich als mehr oder weniger stichhaltig erwiesen. Allerdings landet selbst Bodry in der Beliebtheitsskala, die sich aus den Europa-Wahlen ergibt, nur auf dem sechsten Platz, hinter Jean-Claude Juncker, Jacques Santer, Charles Goerens, Lydie Polfer und Luc Frieden. Zum anderen wird die neue Rangordnung nicht ohne Folgen auf die Ressortverteilung in der neuen Regierung bleiben. Dies ist ein Aspekt, der vor allem innerhalb der beiden Regierungsparteien von Bedeutung sein wird. So fällt z.B. auf, daß bei der CSV Fränz Biltgen im Süden gefährlich nahe an Michel Wolter heranrückt. Biltgen konnte mehr als 3 000 Stimmen zulegen, wohingehend der streitbare Innenminister 1 000 Stimmen einbüßte. Im Zentrum entpuppte sich die CSV als regelrechter Krabbenkorb. Erna Hennicot wurde nicht nur von Luc Frieden und von Fons Theis überflügelt, sondern gleich sechs Politiker (Willy Bourg, Viviane Reding, Claude Wiseler, Laurent Mosar, Paul Henri Meyers und Astrid Lulling) sitzen ihr regelrecht im Nacken. Bei der DP wurde die bisherige Hierarchie weniger durcheinander gewirbelt, außer, daß im Zentrum Lex Krieps etablierte Politiker wie Jean-Paul Rippinger und Théo Stendebach hinter sich ließ. Im Norden schaffte es Charles Goerens, gleich zwei amtierende Minister, Marie-Josée Jacobs und Georges Wohlfart, klar zu schlagen. Die Zusammensetzung der Regierung wird diesen verschiedenen Aspekten Rechnung tragen. Bleibt die Frage zu klären, wie lange es dauern wird, bis die Koalitionsverhandlungen abgeschlossen werden können. Der schleppende Start dürfte ab nächster Woche durch ein zügigeres Tempo ersetzt werden. Aus der Vergangenheit kann man allerdings lernen, daß für gewöhnlich ein Monat ausreicht, um eine neue Regierung auf die Beine zu bringen. Besonders zügig gingen die Verhandlungen über die Bühne, wenn die Sozialisten daran beteiligt waren, so z.B. 1964, 1974, 1984. 1989 und 1994. Die DP läßt sich für gewöhnlich etwas mehr Zeit, etwa 1969. Die Koalitionsregierung mit der CSV nach den Wahlen vom 15.Dezember 1968 stand erst am 6.Februar 1969. Besonders schnell, d.h. in nur knapp 20 Tagen kam das Bündnis LSAP-DP 1974 zustande. Die DP wird diesmal ein besonders zäher Verhandlungspartner sein und sehr darauf achten, sich nicht von der CSV hereinlegen zu lassen. Nach der bisher üblichen Aufteilung zu urteilen, wird sie vermutlich darauf bestehen, mindestens fünf der zwölf Regierungsämter für sich zu beanspruchen. Es wird spannend werden!

Mario Hirsch
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