Die Baubranche fürchtet die Krise und bittet die Regierung lautstark um Hilfe. Mieterschützer und Sozialverbände fordern mehr erschwinglichen Wohnraum. Um zu beschwichtigen hat Wohnungsbauminister Henri Kox für sie eine eigene „Tripartite“ organisiert

Rettet „de Marché“

Henri Kox, Roland Kuhn und Claude Thill, LSAP-Bürgermeister von Diekirch
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 24.02.2023

Kauflaune „Die Kauflaune bei den Leuten ist nicht mehr da“, klagte der Promotor und Leiter der Entwicklungsgesellschaft Tracol, Marco Sgreccia, am Mittwoch in der Abtei Neumünster. Wohnungsbauminister Henri Kox (Grüne) hatte den ersten Teil seiner zweiten Auflage der Assises du Logement vom Mai in den Februar vorverlegt, weil die Bau- und Immobilienbranche seit einigen Monaten leere Auftragsbücher befürchtet und nach politischen Lösungen ruft. Roland Kuhn, Bauunternehmer und Präsident der Fédération des entreprises luxembourgeoises de construction, hatte zuvor bei einem Rundtischgespräch Ängste geschürt: Weil weniger gebaut werde, habe das Baugewerbe nur noch bis Frühjahr oder September genug Arbeit, was dazu führen könne, dass im Herbst einzelne Firmen Konkurs anmelden müssten. Um das zu verhindern, müssten Kleinanleger wieder dazu gebracht werden, Wohnungen zu kaufen, denn Investitionen in den Stein lägen „in unserem Naturell“, meinte Kuhn. Unter den kleinen Investoren seien auch viele Staatsbeamte, die sich ein, zwei oder auch mal drei Appartements leisteten, um sie weiterzuvermieten. Dominiert wirkt der Markt aber nicht von Kleinanlegern: Die Note 29 des Forschungsinstitut Liser über die Reserven von bebaubaren Grundstücken lässt eher darauf schließen, dass ein Dutzend Bauherren über ein Oligopol verfügt (d’Land, 04.02.2022). Darüber hinaus wird immer wieder über die Präsenz ausländischer Großinvestoren gemutmaßt. Verlässliche Daten über Immobilienbesitz existieren in Luxemburg bislang nicht.

Das dem Wohnungsbauministerium unterstehende Observatoire de l’habitat, das von Liser-Forschern geleitet wird, hatte Ende 2022 festgestellt, dass die Entwicklung auf dem Immobilien- und Grundstücksmarkt im Vergleich zum Vorjahr rückläufig sei. Das gilt insbesondere für das Segment der neuen Wohnungen, die in der Regel größtenteils verkauft sein müssen, bevor sie gebaut werden (ventes en état futur d’achèvement; Vefa). In diesem Segment beobachtete das Observatoire im dritten Trimester 2022 einen Rückgang von 36,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im Bereich der existierenden Wohnungen war der Rückgang mit zehn Prozent wesentlich geringer, was laut den Forscher/innen vor allem daran lag, dass viele Investoren auf diesen Markt ausgewichen sind, weil noch nicht gebaute Wohnungen wegen der hohen Baukosten teuerer geworden seien. Üblicherweise enthielten Vefa-Verträge eine Klausel, derzufolge eine Erhöhung des Baupreisindex sich im Endpreis niederschlage. Wegen der Unvorhersehbarkeit der wirtschaftlichen Entwicklung seien diese Klauseln inzwischen seltener geworden, im Gegenzug seien die im Basisvertrag vereinbarten Preise jedoch gestiegen, schreibt das Observatoire in einer Note vom 22. Dezember. Eine Bereitschaft, die Preise zu senken, sei bei vielen Bauherren nicht zu beobachten. Tatsächlich lagen die Verkaufspreise für Vefas im dritten Trimester 2022 rund 18 Prozent über denen vom Vorjahr, während bestehende Wohnungen im gleichen Zeitraum „nur“ 8,3 Prozent teurer geworden sind.

Back to the roots Damit Investoren und Bauherren nicht auf ihren Wohnungen sitzen bleiben und die Baufirmen weiterarbeiten können, hatte die Baubranche schon im Dezember gefordert, der Staat solle Vefas aufkaufen. Wohnungsbauminister Henri Kox leistete dieser Aufforderung am Mittwoch Folge. Auf diese Weise will der Staat seinen öffentlichen Mietwohnungsbestand kurzfristig erweitern. Bezahlt werden sollen die Ankäufe mit Geld aus dem Fonds spécial de soutien au développement du logement, der zurzeit 246 Millionen Euro enthält. Allerdings müssen die Bauherren dafür die Anforderungen respektieren, die im Lastenheft für soziale Bauträger definiert sind. Darin werden auch die Kaufpreise für bestimmte Arten von Grundstücken und Wohnungen festgelegt, die wesentlich niedriger sind als die, die private Bauherren in den vergangenen Jahren auf dem freien Markt erzielen konnten.

Obwohl die Baubranche diese Maßnahme am Mittwoch begrüßte, ist noch nicht gewusst, wieviele Bauherren tatsächlich dazu bereit sind, diese Bedingungen zu akzeptieren. Für die großen, die es sich leisten können, ist es sicherlich vorteilhafter, Projekte brachliegen zu lassen und darauf zu spekulieren, dass die Preise in ein oder zwei Jahren wieder anziehen. Für die anderen forderte Roland Kuhn am Mittwoch von der Regierung zusätzlich kurzfristige und auf zwölf Monate begrenzte Steuererleichterungen, die Investitionen in den Stein wieder lohnenswert machen. Es sind zum Teil Maßnahmen, die DP, LSAP und Grüne in den vergangenen Jahren abgeschafft oder reduziert hatten, weil sie für die extrem hohen Preisanstiege im Wohnungsbau zwischen 2017 und 2021 mitverantwortlich waren: Vergünstigter Mehrwertsteuersatz von drei Prozent für den Wohnungsbau, Erhöhung des Steuerkredits „Bëllegen Akt“, Aussetzung der Eintragungsgebühr, Wiedereinführung des amortissement accéléré von sechs Prozent bei Mietwohnungen. Diese Forderungen, die die Baubranche schon vor Weihnachten gestellt hatte, sind quasi deckungsgleich mit denen, die die CSV vor zwei Wochen in einer Gesetzesvorlage im Parlament einbrachte. „Back to the roots“, nannte sie Roland Kuhn: „Mär sollen einfach de Marché sech reguléiere loossen.“

Arbeiterwohnungen Allerdings freuten er und die anderen Vertreter der Baubranche sich dann doch darüber, dass Henri Kox ihrer ebenfalls seit Monaten geäußerten Forderung, in das staatlich geförderte Segment des erschwinglichen Wohnungsbaus stärker eingebunden zu werden, nachgegeben hat. Im Gesetzentwurf, den der Minister an Heiligabend 2021 im Parlament hinterlegt hat, sollte dieser Bereich öffentlichen Bauträgern vorbehalten bleiben. Am Mittwoch stellte Kox Abänderungen vor, die eine Kategorisierung unterschiedlicher Arten von erschwinglichen Mietwohnungen beinhalten. Eine der Kategorien ist Privatunternehmen vorbehalten, die Mietwohnungen für ihre Beschäftigten bauen wollen. Unter der Bedingung, dass sie ein Sozialunternehmen (société d‘impact sociétal; SIS) gründen und die Wohnungen dauerhaft erschwinglich bleiben, können sie bis zu 75 Prozent Zuschüsse erhalten.

Mit anderen von Kuhns Back-to-the-roots-Forderungen tat Henri Kox sich ungleich schwerer. Für „antizyklische“ Maßnahmen wie einer auf zwölf Monate begrenzten teilweisen Aussetzung der Eintragungsgebühr (frais d’enregistrement) oder der Erhöhung des „Bëllegen Akt“ von 20 000 auf 30 000  Euro sei er offen, meinte er am Mittwoch. Allerdings müsse bedacht werden, dass Subventionen und Steuererleichterungen den Staatshaushalt belasten, deshalb müsse der Regierungsrat darüber entscheiden. Schließlich habe auch Finanzministerin Yuriko Backes (DP) noch ein Wörtchen mitzureden und in zehn Tagen sei Tripartite.

Der Wohnungsbauminister hatte einen guten Moment für seine Assisen gewählt. In den vergangenen Monaten war er von allen Seiten scharf kritisiert worden, insbesondere für die Änderungen zur Neuberechnung des investierten Kapitals im Rahmen der Reform des Mietgesetzes. Große Neuerungen kündigte er dazu am Mittwoch nicht mehr an, Anpassungen sollen lediglich bei der Abschlagsregelung nach einer (energetischen) Sanierung und bei Mieterhöhungen (maximal zehn Prozent in zwei Jahren) vorgenommen werden. Der Mieterschutzbund ist damit nicht zufrieden, doch Henri Kox warb am Mittwoch dermaßen für den öffentlichen Parallelmarkt, der künftig Familien „bis weit in die Mittelschicht hinein“ offen stehen soll (60 bis 70 Prozent aller Haushalte sollen berechtigt sein), dass die Mieterschützer eigentlich kaum widersprechen konnten. Auch Eigentümer und Baubranche hatte die Mietrechtsreform wegen des niedrigen „Mietendeckels“ kritisiert, der ein falsches Signal an Investoren sende, bei näherer Betrachtung handelt es sich jedoch um eine Scheindebatte: Die Begrenzung der Jahresmiete auf 3,5 Prozent des investierten Kapitals führt in keiner Weise zu einer Senkung der Mietpreise, stattdessen wertet die Neuberechnung mit den geplanten, höheren Koeffizienten ältere Mietwohnungen, die lange den Eigentümer nicht gewechselt haben, gesetzlich deutlich auf, ohne dass die Besitzer/innen etwas dafür tun müssen.

Kox-Show Im Vorfeld waren die Assises du Logement hinter vorgehaltener Hand als „Kox-Show“ und „Wahlveranstaltung“ belächelt worden. Doch eigentlich waren sie ein kluger politischer Schachzug. Indem er Eigentümer und Mieterschützer, private und öffentliche Bauträger, Abgeordnete von Mehrheit und Opposition sowie Gewerkschafter und Patronatsvertreter in einem Raum zusammenbrachte und sie ihre gegensätzlichen Positionen gesittet darlegen ließ, konnte der Minister sich als Vermittler – als Mediator – inszenieren, der sie mit seiner Kompromisspolitik wieder zusammenführt. Schon zu Beginn der Assisen forderte er von allen anwesenden Akteuren Unterstützung ein, damit er seine geringfügigen Abänderungen an den Gesetzentwürfen dem Regierungsrat mit dem nötigen Gewicht darlegen könne. Weil Wohnungsbau bei der Tripartite meist nur eine untergeordnete Rolle spielt, hat Henri Kox seine eigene organisiert. Allerdings war bei den Assisen der Ausgang schon größtenteils vorgezeichnet. Wirklich verhandelt wurde nicht.

Kox’ nationale Wohnungsbaustrategie existiert bislang aber vor allem auf dem Papier – in Gesetzentwürfen, die noch nicht von der Abgeordnetenkammer angenommen wurden. Für die vor 14 Monaten hinterlegten Entwürfe zu den Wohnungsbaubeihilfen und zum erschwinglichen Wohnraum hat der Staatsrat noch keine Gutachten abgegeben, sodass der parlamentarische Wohnungsbauausschuss sich noch nicht damit beschäftigen konnte. Gleiches gilt für die von der Zivilgesellschaft so scharf kritisierten Abänderungen zur Reform des Mietgesetzes. Viel Zeit bleibt ihm demnach nicht mehr, außer er würde im Oktober seine Arbeit weiterführen können. Im Mai finden schon die nächsten Wohnungsbau-Assisen statt. Dann kann Henri Kox erneut für sich und seine Reformen werben.

Luc Laboulle
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