Die heiße Phase hat begonnen. Bis Juli ist eine Armee an Buchprüfern im Auftrag der EZB unterwegs, um die Bilanzen der großen europäischen Banken zu durchleuchten

Großreinemachen

d'Lëtzebuerger Land vom 21.03.2014
„Das ist eine komplett neue Situation, ist noch nie da gewesen“, sagt Sven Muehlenbrock von KPMG. „Es ist eine schwere, sehr formalistische Übung und sie wird zum ersten Mal gemacht. Das ist immer schwieriger, als beim zweiten oder dritten Mal“, meint Bernard Lhoest von E&Y. Muehlenbrock und Lhoest sind zwei von zahlreichen Teilnehmern einer von der Öffentlichkeit kaum bemerkten Übung epischen Ausmaßes, die derzeit in den Banken der Eurozone durchgeführt wird. Gesteuert wird sie von der EZB in Frankfurt, die im November offiziell die Aufsicht der Banken im Euro-Gebiet übernimmt. Der gemeinsame Überwachungsmechanismus (SSM, von Single supervisory mechanism), ist einer von drei Pfeilern der geplanten Bankenunion. Die andern beiden – gemeinsame Bankenresolution und Einlagensicherung – verhandeln die Mitgliedstaaten derzeit noch. Bevor der SSM startet, steht ein Großreinemachen in den Banken an. „Niemand kauft die Katze im Sack“, hatte Yves Mersch, EZB-Direktoriumsmitglied, dem Land vergangenen Juni gesagt. Mit ihrem Bilanzchecks will die EZB sicherstellen, dass in den Büchern der Banken keine Zeitbomben schlummern, die nach dem SSM-Start explodieren könnten. Denn müsste sich der SSM kurz nach dem Start mit Bankpleiten oder -abwicklungen beschäftigen, würde das sofort wieder das Vertrauen in die Qualität der neuen Aufsichtsbehörde schwächen. Deshalb versucht die Zentralbank sozusagen eine kontrollierte Sprengung aller Altlasten, bevor sie im November die Aufsicht übernimmt. Dazu werden beträchtliche Mittel in Bewegung gesetzt. Im Jargon heißt die Übung Comprehensive assessment und wird in mehreren Phasen durchgeführt. Vergangenen Oktober hatte die EZB die Liste der 128 Banken veröffentlicht, die sie einer intensiveren Untersuchung unterzieht. Die Kriterien: Eine Bilanzsumme von mindestens 30 Milliarden Euro oder aber eine Bilanzsumme, die 20 Prozent des Bruttoinlandsproduktes des Landes entspricht, in dem sie angesiedelt ist; in Luxemburg etwa acht Milliarden Euro. Kriterien, die hierzulande auf die BCEE, die Bil, Clearstream Banking, KBL European Private Bankers, RBC Investor Services Bank, State Street Bank Luxembourg und UBS zutreffen. Sie werden demnach direkt geprüft. Das schließt nicht aus, dass andere Banken in Luxemburg Teil des Comprehensive assessment sein könnten, als Tochtergesellschaft eines Instituts, das in einem anderen Land als „signifikant“ eingestuft und deshalb in der EZB-Stichprobe ist. Rund 80 Prozent der Summenbilanz des Luxemburger Bankenstandortes von rund 700 Milliarden Euro seien so abgedeckt, erklärt Claude Simon von der CSSF. Es ist die Commission de surveillance du secteur financier, die nationale Finanzaufsichtsbehörde, welche die Bilanzchecks als verlängerter Arm der EZB durchführt. Um die Aufgabe zu meistern, hat sie einerseits Oliver Wyman als Beratungsunternehmen herangezogen, das auch der EZB selbst behilflich ist, und in einer europaweiten Ausschreibung nach Unterstützung für die Bilanzkontrollen gesucht. Zurückbehalten wurden jeweils die Luxemburger Niederlassungen von PWC, E&Y, Deloitte und KPMG. Sie werden in den kommenden Wochen ihre Truppen in den Banken aufmarschieren lassen. Von „Truppen“ zu reden, ist nicht übertrieben. „Zu Spitzenzeiten wird KPMG mit rund 30 Leuten vor Ort sein“, sagt Jean-Claude Finck, Generaldirektor der BCEE. Ob das ausreicht, sagt KPMG-Prüferin Pia Schanz, wird sich in den nächsten Wochen ergeben. Danièle Nouy, Vorsitzende des Supervisory board, des Bankenaufsichtsgremiums der EZB, erklärte Europaparlamentariern am Dienstag, insgesamt würden 1 000 Buchprüfer gebraucht, um ungefähr 135 000 Kreditakten im Wert von 3,72 Billionen Euro zu kontrollieren – was 58 Prozent der risikogewichteten Aktiva (RWA) aller betroffenen Banken entspreche. Was das kosten wird? „Millionen“, so Serge de Cilia, der in Kürze die Leitung der Luxemburger Bankenvereinigung ABBL übernimmt. Und das für jede der betroffenen Banken. „Ein mittlerer bis hoher einstelliger Millionenbetrag“, sagt Jean-Claude Finck, werde an internen und externen Kosten entstehen. Allein für die BCEE. Denn die CSSF hat zwar die Ausschreibung gemacht. Die Rechnung aber geht direkt an die geprüften Banken. „Selbstgeißelung“ nennt das ironisch Bil-CEO François Pauly. Wie viel genau am Ende auf der Rechnung stehen wird, weiß noch niemand, weil aktuell nicht klar ist, wie viele Stunden die Prüfer brauchen werden, um ihren Auftrag zu erledigen. Das hängt auch mit der Größe der Banken zusammen und ihren Aktivitäten. Je nachdem werden mehr oder weniger Posten zu prüfen sein. Clearstream hatte beispielsweise Glück. Wegen ihres spezifischen Geschäftsmodells werden überhaupt keine Portfolios überprüft. Die ganze Übung sei ein „moving target“ sagt Bernard Lhoest von E&Y. Auch weil die EZB die Regeln dafür unterwegs erstellt. Und parallel dazu den SSM erst einmal erfinden muss. Das stellt auch die CSSF vor personelle Herausforderungen, die vor Monaten ein SSM-Team gegründet hat. Das Supervisory board, das die Aufsichtsentscheidungen für den Gouverneursrat der EZB vorbereitet, trifft sich seit Anfang des Jahres regelmäßig, erklärt Claude Simon, der die Luxemburger Aufsichtsbehörde CSSF dort vertritt. Im Supervisory board gilt bei Aufsichtsfragen das Prinzip „ein Mitglied, eine Stimme“. „Das ist gut für uns“, so Simon, „weil die ‚Kleinen’ ebenso viel zu sagen haben, wie die ‚Großen’“. Wenn dort alle Mitgliedstaaten gemeinsam entscheiden, hat das zur Folge, dass jeder außer seinen eigenen „Fällen“ notwendigerweise auch alle anderen kennen muss, was die Arbeitslast nicht mindert. Ungefähr 70 der Banken am Luxemburger Standort sind direkt oder über ihre Mutterhäuser als „signifikant“ eingestuft, die anderen gelten als „weniger signifikant“. Das macht für die CSSF eine ganze Menge Joint supervisory teams, in denen sie mitarbeiten muss. Es sind genau diese Teams, die künftig das Aufsichtsprogramm für die Bankgruppen festlegen. Rund 100 Mann Personal, so Simon, sind derzeit bei der CSSF mit der Bankenaufsicht beauftragt, die SSM-Leute mitgezählt. Und es wird weiter rekrutiert. Denn wenn die Zentralbank in Frankfurt künftig die Steuerung übernimmt, werden die nationalen Aufsichtbehörden vermehrt die Kontrollen vor Ort vornehmen. 20 Mitarbeiter zählt das Spezialeinsatzkommando der CSSF aktuell. „Kurzfristig versuchen wir auf 30 Mitarbeiter auszubauen. 18 bis 20 von ihnen werden sich dann allein um die Banken kümmern“, so Simon. Sie werden sich nach Themenbereichen wie Depotbanken, Geldwäsche- oder Mifid-Bestimmungen sowie Bilanzchecks in Divisionen spezialisieren. Dabei rekrutiert die EZB bis November selbst 1 000 Mitarbeiter – 800 Aufseher und 200 Mann „Support“, Informatiker und Juristen beispielsweise. Wer deren Gehälter, Büros und Computer bezahlen soll, darüber soll nochin diesem Semester eine öffentliche Befragung stattfinden. „Ich hoffe, dass es keinen Einheitsmindestsatz für alle geben wird“, sagt François Pauly, „denn unter den ‚signifikanten‘ Banken ist die Bil verhältnismäßig klein.“ „Egal, wie die Kosten verteilt werden, billiger wird es sicherlich nicht, wenn man statt einer zwei Aufsichtsbehörden finanzieren muss“, kommentiert Jean-Claude Finck trocken. Die Kosten werden auch dazu führen, dass die Kredite für die Kunden teuerer werden, warnt Pauly. Bei dieser Riesenbaustelle wundert es nicht, dass die Methodologie fürs Großreinemachen nach und nach erstellt wird, dafür aber umso komplexer ist. Was den Banken derzeit so viel Stress macht, ist Phase II des Comprehensive assessment. Bis Ende vergangenen Jahres mussten die Banken Frankfurt in einer Anfangsphase bereits erste Informationen über ihre Tätigkeit zukommen lassen. Bis Februar wurden auf dieser Basis die Portfolios ausgesucht, die genau geprüft werden. Unter „Portfolios“ sind die verschiedenen Tätigkeitsbereiche zu verstehen, wie beispielsweise Hypothekenkredite, Immobilien- oder Firmenfinanzierungen, je nachdem kleine oder große Firmen oder auch noch die Wertpapier- und Handelsportfolios der Banken, wobei in Luxemburg keine Handelsbücher geprüft werden – das Geschäft ist zu unbedeutend. Während Phase II laufen nun mehrere Arbeitsschritte gleichzeitig, was die Übung für die Banken nicht unbedingt leichter macht. Das „PPA“ für Processes, policies an accounting läuft seit Mitte Februar. Die Banken müssen detailliert ihre internen Prozesse darstellen. Das heißt erklären, nach welchen Kriterien sie die verschiedenen Aktiva in Portfolios einteilen, wann beispielsweise ein Kredit als „notleidend“ eingestuft wird, wie die Bank gegebenenfalls die nötigen Rückstellungen berechnet. Denn zwischen den Buchhalternormen – im Prinzip wenden alle Banken die IFRS-Buchhalternorm an, doch dabei gibt es immer nationale Auslegungen und Gebräuche – und deren Übersetzung in die verschiedenen Solvenz-Regelwerke wie die EU-Kapitalanforderungsrichtlinie CRD IV oder die Basel-III-Regeln, die innerhalb des Komitees der Bank für Internationalen Zahlungsgleich (BIS) erstellt werden, den Standard-Modellen, die kleine Banken zur Risikovorsorge zur Berechnung der nötigen Kapitaldecke anwenden oder den internen Modellen der Großbanken zum gleichen Zweck, gibt es eine beträchtliche Vielfalt, die sich durch die Aufsichtstraditionen in den verschiedenen Ländern weiter vervielfältigt. Bei einer Großbank in Deutschland, erzählt Muehlenbrock, marschierte ein Konkurrenzberatungsunternehmen allein für dieses PPA mit hundert Mann auf. So viel seien in Luxemburg nicht notwendig, versichert er. Parallel dazu mussten die Banken im Prinzip bis vergangenen Freitag so genannte „Loan tapes“ für die zur Prüfung ausgewählten Portfolios erstellen. Eine Mammutaufgabe. Für jede „Gegenpartei“, mit der die Bank im Geschäft ist, erklärt Doris Engel von der BCEE, muss ein Tape angefertigt werden. Von der Identität des Kunden, der Herkunft, die Klassierung, der Geschäftswährung bis hin zu Angaben über Veränderungen in Kreditlaufzeit oder Zinssätzen über die Sicherheiten und deren Überprüfung muss informiert werden. Weil diese Informationen in dieser Kombination so nicht bereitliegen, ist das laut François Pauly „Handarbeit, die man sonst so nicht macht“. Bei tausenden von Krediten in den Büchern macht das Tausende von Tapes, die zu erstellen sind. „Das sprengt die Kapazitäten von Excell“, sagt Pia Schanz trocken. Um die Deadline zu schaffen, hat sich beispielsweise die Bil von einem Beratungsunternehmen helfen lassen. Denn ein Tape, erklärt Philippe Sergiel von PWC, besteht je nach Aktivaklasse aus ungefähr 214 verschiedenen Informationsfeldern. Sergiel braucht selbst mehrere Minuten, bis er eine Zahl nennen kann, denn ob das alles wirklich notwendig ist, wurde in Frankfurt schon wieder in Frage gestellt. Dabei wurde das 300-seitige Handbuch zur zweiten Prüfungsphase nur drei Tage vor dem Abgabetermin für die Loan tapes veröffentlicht. Was zu liefern war, wussten die Banken also gar nicht so genau, nur die Kontrolleure. Das ist nicht nur Zufall, denn es erschwert das Schummeln. Sind die Tapes erst einmal da, müssen sie verifiziert werden. Wie das abzulaufen hat, schreibt die EZB in ihrem Handbuch bis ins kleinste Detailvor. So werden beispielsweise die ersten 20 und die letzten 20 Tapes aus jedem Portfolio geprüft – hätten das die Banken vorher gewusst, hätten sie sich damit vielleicht besonder Mühe gegeben, mit den dazwischen dafür weniger. Wie kompliziert und detailliert einerseits und wie grundsätzlich andererseits die ganze Übung ist, zeigen etwa Handbuchsvorgaben an die Prüfer, die Datensätze auf Bluffeinträge wie „00000000000“ oder „99999999999“ abzutasten. Es sei ein sehr enges „Korsett“, was die EZB den Prüfern anlege, sagt Pia Schanz. Doch trotz aller Details blieben „viele Frage offen“, bemerkt Philippe Sergiel. In welchem Rhythmus sie gestellt werden dürfen, regelt das Handbuch: eine E-Mail täglich. Sind die Tapes gemacht und die Daten validiert, beginnt einerseits ab sofort die Prüfung der jeweils zehn dicksten Posten in jedem Portfolio, die anderen „Fälle“ werden über eine von der EZB vergebenen Methodik in Stichproben eingeteilt. „Sampling“ nennen das die Beteiligten. Erst danach wissen Banken und Prüfer, wie es weitergeht. Bei einem dicken Dutzend Portfolios, die ausgesucht wurden, könnten bei der BCEE bis zu 1 400 individuelle Tapes geprüft werden, schätzen Jean-Claude Finck und Doris Engel. Bei der Bil, sagt François Pauly, seien es: „ab 500 aufwärts“. Für jedes Kreditdossier, so Pia Schanz, müssen die Banken wiederum ein spezifisches Informationsdokument herstellen, was Banken und ihre Kontrolleure gleichermaßen vor logistische und personelle Herausforderungen stellt. Denn wenn bei einer Bank wie der BCEE zu Spitzenzeiten bis zu 30 Prüfer oder auch mehr „zu Gast“ sind, wie Finck sagt – bei der Bil erwartet man zwei bis drei Dutzend – können sie nur die Infos prüfen, welche die Bank schon vorbereitet hat. „Da werden wir uns demnächst einmal tief in die Augen schauen und klären müssen, wie wir das hinkriegen“, so Schanz. „Es hat keinen Sinn, dass wir den Banken sagen, an dem Tag muss geliefert werden und sie rollen dann mit zwei Lastwagen voll Informationen an“, so Schanz. Umgekehrt mache es genauso wenig Sinn, „100 Leute reinzuschicken, die dann nichts tun können, weil die Informationen nicht bereit sind“. Die Verteilung der Prüfungsmandate war an sich schon eine delikate Übung. Bei der Verteilung der Mandate hat die CSSF darauf geachtet, dass keine Interessenkonflikte entstehen. Das heißt, die Big Four prüfen jeweils Banken, deren Bilanzen sie nicht der Jahresabschlussprüfung unterziehen. Und kontrollieren sich so auch gegenseitig. Beispiel BCEE, KPMG und PWC. PWC ist Jahresabschlussprüfer der BCEE, sowie von Olos Fonds, der Anlagegesellschaft der Geschäftsmänner Eric Lux und Flavio Becca, mit ein bisschen Glück einer der „dicken“ Posten, die geprüft werden müssen. Der Fonds sorgte vor zwei Jahren für Schlagzeilen, weil unter anderem aufgrund der Verzögerungen beim Immobilienprojekt im Ban de Gasperich ein akuter Refinanzierungsbedarf in dreistelliger Millionenhöhe entstanden war. Für Diskussionen hatte damals auch ein vermeintliches „Single exposure warning“ für die BCEE gesorgt und ob und wie viel Kredit die Bank dem Fonds noch gewähren könne, ohne sich selbst einem zu großen Risiko gegenüber einem einzelnen Geschäftspartner auszusetzen. Dieses Portfolios überprüfen wird nun die Konkurrenz von KPMG, deren regelmäßige Kundschaft wiederum von den anderen kontrolliert wird. Und das wiederum nach den detaillierten Vorgaben der EZB. Um sich vor Ort ein Bild von einzelnen Immobilienobjekten zu machen, mit denen Hypotheken- oder Firmenkredite besichert sind, bleibt den Kontrolleuren keine Zeit. Doch die Prüfung der Garantien und ihre regelmäßige Neubewertung – um sicherzustellen, dass sie das Kredit noch deckt – stehen im Fokus der tatsächlichen Aktiva-Prüfung, der Credit file review. Deshalb werden die Prüfer notfalls soweit gehen müssen, den Wert der Garantien neu festzusetzen – was nicht ausschließt, dass sie ihrerseits auf externe Spezialisten zurückgreifen, beispielsweise Immobilienexperten, die für sie den Marktwert eines Bürogebäudes oder einer Produktionshalle bestimmen. Dass dies so im Detail gemacht wird, begrüßt BCEE-Direktor Jean-Claude Finck ausdrücklich. Die Lage auf dem Luxemburger Immobilienmarkt sei mit der in Irland oder Spanien nicht zu vergleichen, deshalb sei es gut, dass nicht alle über einen Kamm geschoren werden. Ist der Kontrollprozess abgeschlossen, werden die Ergebnisse aus den Stichproben wieder aufs Portfolio hochgerechnet. So will die EZB ermitteln, ob die Banken ausreichend Rückstellungen angelegt haben, für den Fall, dass Kunden ihre Kredite nicht zurückzahlen können oder ihre Beteiligungen an Wert verlieren. Erst dann – Ende Juli beziehungsweise August dürfte es soweit sein – werden anhand dieser Daten die Kapitaldeckungsbeträge neu berechnet. Acht Prozent Common equity tier one (CET1) fordert die EZB, erklärte Danièle Nouy dem Europaparlament diese Woche. Dazu gehört, vereinfacht ausgedrückt, eigentlich nur das reine Firmenkapital und die Anforderung ist höher als dies alle anderen Normen fordern, welche die Banken aktuell erfüllen müssen. Weil auch die Vorgehensweise einem nie dagewesenen Standard entspricht, sind Lücken eigentlich vorporgrammiert. Wer diese Acht-Prozent-Hürde reißt, muss „sofort“ reagieren, erklärt Claude Simon von der CSSF. Das heißt, entweder Kapital beschaffen oder seine Risk weigthed assets (RWA) reduzieren, um das nötige Deckungsverhältnis zwischen Kapital und RWA von acht Prozent herzustellen. Also Aktiva abstoßen. Daas das alles nicht Ohne ist, zeigt das Beispiel von Unicredit in Italien, die im vierten Quartal einen Rekordverlust von 15 Milliarden Euro bekannt gab, der auf größere Rückstellungen und Abschreibungen zurückzuführen ist. „Das ist ein bisschen so, als ob man mit dem Auto zum Tüv muss“, sagt Simon. „Man kann es entweder darauf ankommen lassen. Oder aber, weil man die Macken seines Autos kennt, vorher zur Revision gehen.“ Unicredit hat sich die Revision entschieden. In Belgien, Frankreich und Luxemburg wird man ein Auge auf die Ergebnisse von Dexia haben, den Überresten der einstigen Großbank, für die Luxemburg gemeinsam mit den staatlichen Aktionären aus den Nachbarländern Bürge steht. Denn im September folgt schließlich ein Stresstest. Das Szenario ist noch unbekannt, soll aber in Kürze vorgestellt werden. Gewusst ist allerdings jetzt schon, dass, egal wie schlimm die Krise ausfällt, die simuliert wird, die Banken 5,5 Prozent CET1 übrig haben müssen. Mit Stresstests sei es ein wenig wie mit Klausuren, erklärt Sven Muehlenbrock, „man kann sie so einfach machen, dass alle Schüler durchkommen oder so schwer, dass alle durchfallen.“ Ein interessanter Aspekt, wie Bernard Lhoest bestätigt, ist, dass bei allen Übungen und Anforderungen, die an die Banken gestellt werden, die Risikobewertung von Staatsanleihen bisher immer noch „Null“ beträgt. Auch nach dem Schuldenschnitt Griechenlands ist also ein Ausfall staatlicher Kreditnehmer prinzipiell nicht vorgesehen. „Pragmatisch gesehen, ist das die einzige Lösung“, sagt er, weil es „zu viele Banken gibt, die Staaten gehören. Sonst beißt sich der Hund selbst in den Schwanz.“ Banken, die den Stresstest nicht bestehen, erklärt Claude Simon, müssten wie bei vergangenen Stresstests auch schon, einen Plan vorlegen, wie sie ihre Kapitalsituation über die Zeitschiene verbessern. „Und dann?“, kann man sich fragen. Wozu war die ganze Aufregung gut? Dass es sinnvoll ist, einmal in allen Ecken gleichzeitig zu putzen, statt mal hier, mal da, darin sind sich Banken und Prüfer einig. Auch darin, dass es gut ist, wenn alle Banken wirklich einmal nach den gleichen Standards geprüft werden, damit die Diskussion über „gute“ und „schlechte“ Schüler aufhört. „Aber“, sagt Philippe Sergiel, „wenn ich eine übergreifende Anmerkung machen würde, dann die, dass der Zeitrahmen zu eng ist und die Banken zu wenig Vorbereitungszeit hatten.“ Das sehen Konkurrenz und Kunden ähnlich. „Wenn dies nun zur regelmäßigen Übung wird, könnte man zumindest die Systeme intern darauf umstellen“, so François Pauly, aber sicher ist das noch nicht. Er bemerkt, dass „wir in Luxemburg keine Bankenkrise hatten, die durch Kredite ausgelöst wurde“. Er erwartet sich für Luxemburg deshalb keine neuen Erkenntnisse. „Man muss das Ziel im Blick haben“, sagt Jean-Claude Finck. Das sei, das Vertrauen der Kunden in die Banken wieder herzustellen. Und vor allem das Vertrauen der Banken untereinander, damit das Interbankgeschäft endlich wieder in Schwung komme, sich die Banken gegenseitig wieder Geld leihen. Doch es gibt auch diejenigen, die vor der Wirkung der Ergebnisse warnen. „Da ist jeder sensibel“, sagt Pia Schanz. Sie meint damit, dass manche Banken Angst vor der öffentlichen Bloßstellung haben und dem damit verbundenen Problem, sich neues Kapital zu beschaffen. „Je nachdem, wie tough die Tests angesetzt oder die Ergebnisse interpretiert werden, kann man damit eine zweite Bankenkrise auslösen“, warnt sie. „Damit kriegen Sie eine ganze Volkswirtschaft in die Rezession, das haben wir in Griechenland gesehen“, fügt ihr Kollege Sven Muehlenbrock hinzu. Nämlich dann, wenn die Banken weniger Kredite vergeben, um die Kapitaldeckungsrate zu verbessern, was schlecht für die Wirtschaft ist, was wiederum zu mehr Kreditausfällen führt. Deswegen, betonen er und Schanz, liege die vielleicht „größte Herausforderung in der Analyse und der Interpretation der Ergebnisse, der Ableitung der Konsequenzen, die egal in welche Richtung sie gehen, das Vertrauen der Marktteilnehmer wieder herstellen müssen, ohne ins andere Extrem umzuschlagen“.
Michèle Sinner
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