Zwei Ex-Minister/innen, die mit einem Doppelmandat im Parlament sitzen, haben jahrelang eine Entschädigung bezogen, die ihnen mutmaßlich nicht zusteht. Das Kammerbüro führt nun eine juristische Analyse durch

Luxusurlaub

d'Lëtzebuerger Land du 11.06.2021

1988 Der Congé politique für Lokalpolitiker/innen wurde mit dem Gemeindegesetz von 1988 eingeführt. Er soll es Bürgermeister/innen, Schöff/innen und Gemeinderät/innen erlauben, für eine bestimmte Zeit Urlaub zu nehmen, um ihre politischen Aufgaben zu erfüllen, ohne auf ihren Lohn verzichten zu müssen. Während die Regelung für Gemeinderatsmitglieder einheitlich ist – in den Majorzgemeinden haben sie Anrecht auf drei Stunden pro Woche, in den Proporzgemeinen sind es fünf Stunden – bestehen bei den Bürgermeister/innen und Schöff/innen große Unterschiede. In kleinen Gemeinderäten mit sieben Mitgliedern sind es neun Stunden für Bürgermeister/innen und fünf Stunden für Schöff/innen. Mit zunehmender Größe der Gemeinde steigt die Dauer schrittweise an. Seit 2012 haben in allen größeren Gemeinden (ab 15 Ratsmitgliedern) Bürgermeister/innen ein Anrecht auf 40 und Schöff/innen auf 20 Stunden politischen Urlaub.

Seit 1990 können auch Abgeordnete von wöchentlich 20 Stunden Congé politique profitieren (zusätzlich zu ihrer monatlichen Entschädigung von 7 300 Euro). Dieser Urlaub lässt sich mit dem eines kommunalen Mandats kombinieren, die Obergrenze von 40 Stunden darf dabei aber nicht überschritten werden. Der politische Urlaub richtet sich an Angestellte aus der Privatwirtschaft, Selbstständige und Nicht-Erwerbstätige. Der Arbeitgeber soll somit für den Ausfall seines Angestellten entschädigt werden, Freiberuflern und Nicht-Erwerbstätigen wird der Betrag auf ihr eigenes Konto überwiesen. Für Letztere darf die Entschädigung nicht höher als zwei Mal der qualifizierte Mindestlohn sein (rund 5 300 Euro).

Für Staats- oder Gemeindebeamt/innen, die ein Abgeordneten- oder ein kommunales Vollzeitmandat bekleiden, gilt der Congé politique nicht. Sie werden von ihrer Tätigkeit freigestellt und erhalten je nach Regime eine Pension spéciale oder ein Traitement d'attente, die zwar etwa ein Drittel unter ihrem regulären Gehalt liegen, aber regelmäßig so angepasst werden, als würden sie ihre Funktion weiter ausüben. Nach Ablauf ihres politischen Mandats können sie in den öffentlichen Dienst zurück.

Wahlgesetz Im Büro der Abgeordnetenkammer wird zurzeit darüber diskutiert, ob ein Congé politique mit einer Alterspension kombiniert werden kann. Laut einem Experten für Gehälter im öffentlichen Dienst ist das Wahlgesetz eigentlich eindeutig: „Les agents du secteur privé, les membres des professions indépendantes ainsi que les personnes sans profession, qui exercent le mandat de député, ont droit à un congé politique pour remplir leur mandat.“ Rentner werden nicht aufgeführt. Trotzdem haben in den vergangenen Jahren mindestens zwei Politiker/innen mit Doppelmandat zusätzlich zu ihrer Rente noch Congé politique beantragt und auch erhalten.

So bezog die 68-jährige Députée-maire Lydie Polfer (DP) eigenen Angaben zufolge seit 2013 neben ihrer Pension als frühere Vize-Premierministerin (1999-2004) und ehemalige EU-Abgeordnete (1985-1994 und 2004-2009) noch 40 Stunden Congé politique als freiberufliche Anwältin. Bis zum Oktober 2017 sei diese Praxis nie in Frage gestellt worden, sagt Polfer auf Nachfrage. Das sei von der Kammerverwaltung immer so gehandhabt worden und sie habe nur ihr Formular ausgefüllt. Im Dezember 2017 seien die Zahlungen aber eingestellt worden.

Grund für die Einstellung war ein Urteil des Verwaltungsgerichts. 2015 hatte der damalige Innenminister Dan Kersch (LSAP) die Auszahlung an ein Gemeinderatsmitglied gestoppt, das trotz seiner Rente noch Congé politique als Landwirt bezog. Der Mann legte Einspruch ein, doch das Verwaltungsgericht wies den Rekurs am 5. Oktober 2017 als unbegründet zurück. Die bereits erhaltenen Entschädigungen musste er zurückzahlen. Daraufhin sei man sich offenbar erst bewusst geworden, dass Congé politique und Rente nicht kombinierbar seien, sagt Polfer.

Problematisch Ähnlich war es beim Petinger Schöffen und CSV-Abgeordneten Jean-Marie Halsdorf (64). Er bekam im Februar 2017 eine Minister-Rente, ohne aber auf seinen Congé politique als (freiberuflicher) Apotheker zu verzichten. Anders als bei Polfer hat die Kammer die Auszahlung des Congé politique an Halsdorf nicht schon im Dezember 2017, sondern erst vor drei Monaten eingestellt. Selbst den politischen Urlaub für sein Schöffenmandat habe er vergangenes Jahr noch beantragt und auch erhalten. In diesem Jahr habe er aber darauf verzichtet, nachdem er erfahren habe, dass es problematisch sein könne, erläutert Halsdorf im Gespräch mit dem Land. Sowohl Polfer als auch Halsdorf sind sich keiner Schuld bewusst. Er habe nur das getan, was immer gemacht wurde; gefragt habe er nichts und er habe sich auch nichts dabei gedacht, versichert der frühere Innenminister (2004-2013). Er habe seinen Congé politique (anders als seine Rente) sogar in seiner Déclaration des intérêts financiers angegeben. Eine Verpflichtung, Renten in der Deklaration anzugeben, besteht bislang nicht. Land-Informationen zufolge soll das künftig geändert werden.

Unklar ist, wer die mutmaßlich unrechtmäßigen Anträge auf Congé politique genehmigt hat. Bei Abgeordneten liegt die Zuständigkeit bei der Kammer, bei kommunalen Mandatsträgern ist es das Innenministerium. Der Generalsekretär der Abgeordnetenkammer, Laurent Scheeck, erklärt gegenüber dem Land, dass es bislang keine Anfrage beim Kammerbüro für eine Kumulierung von Rente und Congé politique gegeben habe und eine solche auch nie vom Büro genehmigt worden sei. Das Kammerbüro hat laut Scheeck nun eine grundlegende juristische Analyse in Auftrag gegeben, um die Abgeordneten in solchen komplexen Fragen künftig besser informieren und beraten zu können. Land-Informationen zufolge wurden bereits ein internes und ein externes Gutachten erstellt. Auch das Innenministerium bestätigt, dass es die Angelegenheit noch analysieren möchte. Ob Polfer und Halsdorf ihren Congé politique nun zurückerstatten müssen, ist demnach noch offen.

Régime transitoire Laut Halsdorf sei die Verwirrung dadurch entstanden, dass er noch unter das Régime de pension spécial transitoire falle und unklar sei, ob es sich bei seiner Ministerpension überhaupt um eine Rente im eigentlichen Sinn handle. Das Übergangsregime greift bei Menschen, die bereits vor 1999 für den Staat tätig waren. Diesem Gesetz zufolge erhalten Regierungsmitglieder, selbst wenn sie nur fünf Jahre im Amt waren, schon mit 60 eine spezielle Ministerpension, die aber in der Höhe begrenzt ist, solange sie noch andere Einkünfte haben. Ihre volle Rente bekommen sie erst am Ende ihrer politischen oder beruflichen Laufbahn. Insgesamt gilt das Régime transitoire aber als vorteilhafter, als das reformierte Régime spécial für den öffentlichen Dienst.

Ungeachtet dieser rechtlichen Fragen wird im Gemeindesektor das System des gestaffelten Congé politique allgemein in Frage gestellt. Insbesondere in kleinen und mittelgroßen Gemeinden regt sich Widerstand. „Das Mandat verlangt enorm viel Einsatz und der Urlaub, der uns zugestanden wird, reicht nicht aus“, sagt Emile Eicher (CSV), Député-maire der 5 600-Einwohner-Gemeinde Clerf und Präsident des Gemeindeverbunds Syvicol. Die politische Arbeit nehme auch für Mandatsträger/innen kleinerer Gemeinden sehr viel Zeit in Anspruch, häufig müssten Bürgermeister/innen und Schöff/innen noch abends Termine wahrnehmen. Auf spezialisiertes Personal könnten sie selten zurückgreifen.

Vollzeitämter Deshalb fordert der Syvicol, dass auch Bürgermeister/innen kleinerer und mittelgroßer Gemeinden sowie die Schöff/innen, die laut Eicher heute fast genauso ausgelastet sind wie die Bürgermeister/innen, ebenfalls in vollem Maße (sprich 40 Stunden pro Woche) für ihre politischen Aufgaben entschädigt werden. Der Syvicol spricht sich dafür aus, die Urlaubssätze für sämtliche kommunale Mandatsträger/innen zu erhöhen und anzugleichen.

Auch das System der gestaffelten Entschädigungen, die kommunalen Mandatsträger/innen zugestanden werden, beanstandet der Syvicol. Für Gemeinden mit sieben Mitgliedern liegt der monatliche Höchstsatz zurzeit bei rund 550 Euro für Bürgermeister/innen und 275 Euro für Schöff/innen. Die Beträge steigen progressiv an. In großen Gemeinden mit 19 Ratsmitgliedern wie Esch/Alzette, Differdingen oder Düdelingen stehen den Bürgermeister/innen 3 500 und den vier Schöff/innen jeweils 2 360 Euro zu. Hors catégorie ist nur die Stadt Luxemburg, die über 27 Ratsmitglieder und sieben Schöff/innen verfügt. Dort werden die Bürgermeisterin mit rund 7 050 Euro und die Schöff/innen mit 4 700 Euro vergütet. Da der Arbeitsaufwand und die Verantwortung aber für alle Mandatsträger/innen gleich groß sei, unabhängig von der Einwohnerzahl der Gemeinde, müssten auch die Entschädigungen angeglichen werden, sagt Eicher. Ideal wäre es, wenn die Vergütung pro Stunde berechnet würde.

Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) will im Rahmen der Reform des Gemeindegesetzes entsprechende Anpassungen durchführen und auch Gemeinderät/innen bessere Bedingungen bieten, um Menschen aus unterschiedlichen Berufssparten dazu zu ermutigen, sich kommunalpolitisch zu engagieren, erklärt sie dem Land. Darüber hinaus will die Regierung den Bürgermeister/innen und Schöff/innen die Arbeit durch eine Vereinfachung der Prozeduren und mehr Digitalisierung erleichtern. Hohe Beamt/innen könnten künftig, wie beim Staat, als Verwaltungschef/in den Bürgermeister/innen und Schöff/innen einen Teil ihrer bürokratischen Arbeit abnehmen, damit diese mehr Zeit hätten, um sich mit den Sorgen der Bürger/innen zu beschäftigen, sagt Bofferding.

Doppelmandate Wer über Congé politique und Entschädigungen redet, kommt aber nicht um die Diskussion über Doppelmandate herum. Die Ungerechtigkeit dieses Systems ist hinlänglich bekannt. Bürgermeister/innen und Schöff/innen größerer Gemeinden nutzen ihre Popularität dazu, um sich zusätzlich noch in die Abgeordnetenkammer wählen zu lassen. Das Mandat des Abgeordneten ist zwar mit zusätzlicher Arbeit verbunden, geht aber auch mit einer weiteren Vergütung einher. Nicht zuletzt lassen sich die Interessen der eigenen Stadt oder Gemeinde auf diese Weise bestens vertreten. Von den zehn größten Gemeinden Luxemburgs stellt zurzeit nur Differdingen keine/n Abgeordnete/n (weil Roberto Traversini wegen seiner Gartenhaus-Affäre 2019 alle Ämter niederlegen musste).

Sowohl die Arbeitsleistung als auch die Einkommen der Député/e/s-Maires und-Échevin/es sind indes sehr unterschiedlich. Vor allem die Bürgermeister/innen der großen Gemeinden und die Schöff/innen der Stadt Luxemburg kommen mit zwei Entschädigungen, Congé politique oder Pension spéciale beziehungsweise Traitement d'attente sowie einer Unmenge an Präsenzjetons und vergüteten Vorstandsämtern in Gemeindesyndikaten auf ähnlich hohe Einkommen wie Minister/innen (die Gehälter gewöhnlicher Minister/innen liegen bei 19 000 Euro, die Vizepremiers und der Außenminister kommen auf 24 000 Euro, der Premierminister auf 27 000 Euro).

Bei der Analyse der Arbeitsleistung zeichnet sich ab, dass insbesondere die Schöffenratsmitglieder der Stadt Luxemburg – mit Ausnahme des arbeitswütigen Laurent Mosar (CSV) – im Parlament eher zurückhaltend sind. Auch der Bartringer Bürgermeister Frank Colabianchi (DP) und der Ettelbrücker CSV-Bürgermeister Jean-Paul Schaaf ergreifen nur selten das Wort und stellen auch kaum parlamentarische Anfragen. Zumindest etwas aktiver sind der Escher Bürgermeister Georges Mischo (CSV), der Diekircher LSAP-Bürgermeister Claude Haagen, der Petinger Schöffe Jean-Marie Halsdorf und der Käerjenger CSV-Bürgermeister Michel Wolter. Dass ein kommunales Mandat parlamentarisches Engagement nicht grundsätzlich ausschließt, zeigen der Düdelinger LSAP-Bürgermeister Dan Biancalana, der Hesperinger CSV-Bürgermeister Marc Lies, der Grevenmacher CSV-Bürgermeister Léon Gloden, der Dippacher DP-Schöffe Max Hahn, der Bettemburger DP-Schöffe Gusty Grass, der Schifflinger CSV-Schöffe Marc Spautz sowie die Bettemburger Grünen-Schöffin Josée Lorsché und der Mamer CSV-Bürgermeister Gilles Roth, die beide (Ko-)Vorsitzende ihrer jeweiligen Fraktion sind.

Qualifizierte Mehrheit Trotzdem gibt es seit Jahren einen überparteilichen Konsens darüber, dass Doppelmandate sehr arbeitsintensiv und der Demokratie nicht förderlich sind. Nur an der politischen Umsetzung fehlt es noch. Zumindest verfassungsrechtlich soll nun eine vorsichtige Grundlage zur Abschaffung von Doppelmandaten geschaffen werden. In der Revision von Artikel 54 der Verfassung soll künftig festgehalten werden, dass ein Gesetz zur Mandatstrennung mit einer qualifizierten Mehrheit angenommen werden kann, erklärt der Vorsitzende des Verfassungsausschusses, Mars di Bartolomeo (LSAP), gegenüber dem Land. Die Unvereinbarkeit des Abgeordnetenmandats mit kommunalen Ämtern in die Verfassung einschreiben, wolle man noch nicht. Zuerst müsse geklärt werden, ob die Regelung nur für Bürgermeister/innen und Schöff/innen gilt oder auch Gemeinderät/innen einschließt.

Luc Laboulle
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