Polnische Arbeitskräfte in der Landwirtschaft

Ost-Knecht auf Abruf

d'Lëtzebuerger Land du 25.09.2003

"Hier ist es gut." Michal B. wischt die Hände am blauen Arbeitskittel ab. Mit seinen Kollegen hat er frisch gepflückte Weintrauben zum Keltern abgeladen. Ein Arbeitstag in einem Winzerbetrieb in Ahn an der Mosel geht zu Ende. In einer halben Stunde wird man gemeinsam zu Abend essen: die Winzerfamilie mit ihren insgesamt zehn polnischen Erntehelfern und dem deutschen Vorarbeiter.

Michal B. kommt seit fünf Jahren zur Weinernte. Immer wieder in den selben Betrieb, weil das Verhältnis der Chefin zu ihren polnischen Erntehelfern so gut ist und man, wie Michal schätzt, für das, was man hier verdient, in Polen mindestens doppelt so lange arbeiten muss. Und das ob-wohl die Winzerin von den vorgeschriebenen 9,73 Euro pro Stunde 4,90 einbehält, weil sie Kost und Logis zur Verfügung stellt. Die Winzerin wiederum schwört auf ihre polnischen Helfer, ohne die die Lese kaum zu schaffen sei. Zwar hätten sich in diesem Jahr auch Einheimische als Saisonkräfte angeboten. Das habe wohl vor allem am guten Wetter gelegen: "Doch wenn es zu regnen beginnt, kommen Luxemburger am nächsten Tag nicht mehr, leider", schildert sie ihre Erfahrungen. Da nehme sie lieber die Polen, auf die sie sich verlassen könne.

Polen in Luxemburger Weinbergen - das hat seit gut 20 Jahren Tradition. Anfang der 90-er wurde durch den damaligen Arbeitsminister Jean-Claude Juncker die Einstellung der Saisonkräfte vereinfacht. Eine Arbeitsgenehmigung benötigen sie nicht. Der Winzer muss nur eine Déclaration d'engament temporaire d'un(e) aide viti-vinicole ausfüllen, die beim Remicher Weinbauinstitut zu haben ist. Sie wird mit einer Kopie des polnischen Passes zum Arbeitsamt geschickt, dort abgestempelt und an die Wohngemeinde des Winzers gegeben. Eine Kopie erhält der Saisonarbeiter für den Fall, dass die Polizei ihn kontrolliert. Versichert ist er über die Weinbau-Unfallversicherung und die Haftpflicht des Arbeitgebers.

Weil das so einfach ist, für beide Seiten so einträglich, und weil ein "Arbeitskräftemangel" bestehe, fragte die Landwirtschaftskammer schon vor vier Jahren den frisch ins Amt gekommenen neuen Arbeitsminister François Biltgen, ob über den Weinbau hinaus nicht die gesamte Landwirtschaft auf Arbeitskräfte aus Osteuropa zurückgreifen könnte. Anders als im Weinbau, wo der Einsatz der polnischen Helfer während der Lese auf sechs Wochen begrenzt ist und darüber hinaus noch für vier Wochen im Mai/Juni genehmigt werden kann, wenn große Weinbetriebe auch Grünland bearbeiten, wollten die anderen Bauernbetriebe allerdings für mehrere Monate Arbeiter haben. Biltgen schloss im Dezember 1999 eine Regelung ähnlich der im Weinbau "mittelfristig" nicht aus. Kurzfristig half er, indem er an rund 700 Flüchtlinge aus dem Kosovo eine Ar-beitsgenehmigung für die Landwirtschaft vergeben ließ. Denn Luxemburg hatte mit der Nato Krieg gegen Jugoslawien geführt und musste anerkennen, dass Kriegsflüchtlinge aus dem Kosovo sich so rasch nicht würden heimschicken lassen. Wieviele Flüchtlinge damals in Bauernbetrieben unterkamen, ist heute nicht mehr recht rekonstruierbar. Tatsache ist, dass die Genehmigung Ende 2000 auslief - vor Beginn des Regularisierungsverfahrens für "sans-papiers" wollte man nicht zu vielen Drittstaaten-Ausländern die Möglichkeit geben, Arbeit und Aufenthalt in Luxemburg für sich zu reklamieren.

Verschiedene Bauernbetriebe warteten die "mittelfristige" Lösung jedoch nicht ab. "Hin und wieder" beschäftigten sie Flüchtlinge weiter, sagt Christiane Martin, die Ausländerkommissarin im Familienministerium. "Schwarz sozusagen. Das ist uns periodisch aufgefallen, es waren aber Einzelfälle." Weitaus häufiger sind wahrscheinlich Polen auf Luxemburger Höfen als Knechte angestellt. Oftmals seien das "Fachleute", sagt Robert Ley, Generalsekretär der Landwirtschaftskammer: entweder ausgebildete Landarbeiter oder gar Bauern, die in Polen über einen eigenen Hof verfügen, der zu jenen dort über 90 Prozent gehört, die nicht mehr als acht Hektar Anbaufläche haben und gerade das Lebensnotwendige erwirtschaften. Vielleicht könnte man ihre Anstellung legalisieren, fragte die Landwirtschaftskammer den Arbeitsminister in diesem Jahr erneut.

Warum eigentlich nicht, zumal Polen am 1. Mai 2004 Mitglied der EU werden wird und seine Bürgerinnen und Bürger dann zumindest frei in der Union reisen dürfen. Zwar werden laut EU-Beitrittsvertrag noch zwei Jahre vergehen müssen, ehe der Arbeitsmarkt von Old Europe auch für New Europe frei zugänglich wird, und verschiedene Mitgliedstaaten haben sich fünf weitere Jahre "Übergangsphase" ausbedungen, Deutschland und Österreich etwa. Luxemburg werde das nicht tun, hatte Premier Juncker im letzten Jahr verschiedenen Zeitungen in Deutschland und Österreich erzählt. Und mehr noch: "Je pense très sincèrement que le gouvernement luxembourgeois serait sagement inspiré s'il n'attendait pas la fin de la période transitoire septennale, mais s'il ouvrait immédiatement le marché de l'emploi luxembour-geois aux pays de l'Europe centrale et de l'Europe orientale qui disposent de travailleurs talentueux", erklärte er am 28. März 2002 auf der Asti-Konferenz Migrations: les enjeux.

Anderthalb Jahre später jedoch muss die Regierung sich weniger um die Bereitstellung der Arbeitskräfte für das durch die Rententischbeschlüsse nötige Wirtschaftswachstum sorgen, als um gestiegene Ausgaben für Arbeitslosengeld aus dem Beschäftigungsfonds. Als François Biltgen sich am 30. Juli erneut mit der Landwirtschaftskammer traf, handelte man folgende Lösung aus: Sechs Monate minus einen Tag darf ein Pole - und nur ein Pole - auf einem hiesigen Bauernhof angestellt werden. Das ist kurz genug, damit ihm kein Anspruch auf Arbeitslosengeld entsteht. Ein Nachzug der Familie wird ausgeschlossen. Der Bauer muss eine Kaution von 1 500 Euro hinterlegen für den Fall, dass sein Knecht kündigt, um sich hier zu Lande anderweitig nach Arbeit umzuschauen und eventuell abgeschoben werden müsste. Verpflichtet wird der Arbeitgeber zur Zahlung des Mindestlohns auf ein Bankkonto und zur Anmeldung seines Arbeiters bei der Sozialversicherung. Vorausgehen muss der Anstellung die Meldung einer freien Stelle beim Arbeitsamt, und erst wenn dieses attestiert, keine geeigneten Kandidaten zu haben, kann der Bauer einen Polen rufen. Was eine Formsache bleiben dürfte: Zurzeit sind bei der Adem rund 30 Arbeitslose eingeschrieben, die für sich eine Tätigkeit in der Landwirtschaft nicht ausschließen, aber nicht "als erste Wahl", sagt der zuständige Vermittler. Auf einem Bauernhof zu arbeiten, sei nicht populär; es sei denn, ein Student der Ackerbauschule breche mal seine Ausbildung ab.

Es fällt allerdings auf, dass Bauernbetriebe bisher wenig freie Plätze melden. Dass andererseits aber die Chefs von über 100 Betrieben unlängst eine Informationsversammlung der Landwirtschaftskammer besuchten, um sich über die neuen Regeln zu informieren. Den Bedarf an polnischen Knechten schätzt Robert Ley sogar noch höher, "da auf mehreren Höfen ja schon Polen arbeiten".

Woraus sich ein Kontrollbedarf über den rechten Gang der Dinge ergibt. Dass so mancher Ost-Knecht zumindest bisher nicht zu den Mindestbedingungen beschäftigt wurde, kann man erahnen, wenn etwa laut dem jährlichen Recensement agricole des Statec der größte Teil der statistisch erfassten "salariés agricoles" in den kleineren Betrieben tätig ist, deren Ertragslage schwieriger sein dürfte. Auch der Service d'économie rurale im Landwirtschaftsministerium will nicht ausschließen, "dass da was nicht stimmt".

Für den Arbeitsminister "liegt auf der Hand, dass die Arbeitsinspektion in den betreffenden Bauernbetrieben künftig verstärkt kontrollieren wird".  Vorerst sind Arbeits- und Justizministerium den Bauern weit entgegen gekommen: Dass die Schwarzarbeit auch einen Verstoß gegen die Aufenthaltsbestim-mungen im Schengen-Raum darstellt, beantwortete Justizminister Frieden nicht mit Razzien auf Bauernhöfen. Sein Ministerium gestattet nun sogar, dass Polen lediglich mit einem Touristenvisum versehen bei Luxemburger Bauern wegen Arbeit vorsprechen. Damit es nicht so aussieht, als würden künftig massenhaft polnische Touristen als Knechte angeheuert und ein Bauer nicht alle sechs Monate einen neuen Arbeiter anlernen muss, sollen die schon als Knechte beschäftigten Polen bei der Rekrutierung helfen und interessierte Bekannte da-heim an-sprechen: "Dann kommt der Herr A für ein halbes Jahr, dann der Herr B, dann wieder A und so fort", sagt Robert Ley. Damit könnten ihre Arbeitgeber wohl leben. Was aber, wenn ein Pole am Ende hier bleiben und sein Arbeitgeber ihn dauerhaft einstellen will? - Bezieht sich die "Übergangsphase" aus dem EU-Erweiterungsvertrag doch in erster Linie auf den Aufenthalt in Schengen-Europa, bleibt die Vergabe von Arbeitsgenehmigungen nationale Sache. François Biltgen schließt "zumindest im Moment" eine Anstellung der Polen über sechs Monate minus einen Tag aus. Den Premier versteht er so, dass Luxemburg nur keine zusätzliche Übergangsphase wolle, und die Bauern sprächen davon, allein "Saisonkräfte" zu benötigen. "Ich gehe davon aus, dass ich einen Arbeitskräftemangel beheben helfe, werde aber keinesfalls unser Sozialsystem gefährden."

Peter Feist
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