Kompetent und aus Esch

d'Lëtzebuerger Land vom 29.04.2022

Innerhalb von zehn Tagen etwa rechne er damit, dass die Grünen einen Vorschlag für die Nachfolge Carole Dieschbourgs machen, sagte Premier Xavier Bettel (DP) vergangenes Wochenende. Wenn ein Sonderparteitag der Grünen morgen Samstag die Nominierung von Joëlle Welfring bestätigt – wovon auszugehen ist –, dann wird die Partei diese Frage noch schneller geklärt haben.

Dabei hatte es darum gleich nach Carole Dieschbourgs Rücktritt eine Menge Spekulationen gegeben und die Entscheidung erschien nicht einfach. Regierungspragmatisch betrachtet, braucht das Umweltministerium an seiner Spitze eine sachkompetente Person, welche die noch abzuarbeitenden Projekte durchzieht. Zum Beispiel die Reform der Wald-Gesetzgebung und die Umsetzung der jüngsten EU-Trinkwasserrichtlinie. Oder die Fortschreibung des Energie- und Klimaplans, wenn bis zu den Sommerferien der vom Premier eingesetzte Klima-Biergerrot sich darüber ausgesprochen haben wird, was Luxemburg über sein CO2-Reduktionsziel für 2030 hinaus noch tun könnte und darüber im Herbst groß im Parlament debattiert werden soll. Auf EU-Ebene wiederum ist das Klima- und Energiepaket Fit for 55 ein Thema, das alle nationalen Politiken beeinflussen wird und in Luxemburg insbesondere den Konflikt zwischen dem Klimaschutz und den Staatseinnahmen aus der Tankgeschäftnische.

So gesehen, konnte der Zentrumsabgeordnete und Vorsitzende der parlamentarischen Umweltkommission, François Benoy, als ein logischer Kandidat erscheinen, neuer Umweltminister zu werden. Dann jedoch wäre Paul Polfer als 2018 auf der Zentrumsliste hinter den aktuellen Regierungsmitgliedern und Abgeordneten Nächstgewählter ins Parlament nachgerückt. Polfer aber, administrativer Koordinator des Klimabündnis, ist nicht mehr Mitglied der Grünen. Als unabhängiger Abgeordneter hätte er die Regierungskoalition ihre Mehrheit von einem Mandat gekostet. Auch im Südbezirk stellte die Situation sich delikat dar: Jede Nominierung von dort hätte Félix Braz in die Kammer bringen müssen. Ob der frühere Vizepremier und Justizminister dazu aus gesundheitlichen Gründen bereit gewesen wäre, ist schwer zu sagen; der Krach mit der Führung seiner Partei um sein Ausscheiden aus der Regierung 2019 nach seinem Herzinfarkt aber wäre vielleicht erneut aufgeflammt.

Und so wurde spekuliert, ob die Nord-Abgeordnete Stéphanie Empain in die Regierung käme. Sei es als Umweltministerin (Mitglied im Umweltausschuss der Kammer ist sie), oder in einem anderen Amt nach einer Ressortumbildung. Im Ostbezirk schließlich war Chantal Gary 2018 nach Carole Dieschbourg und Henri Kox Drittgewählte. Sie zur Ministerin zu machen, in welchem Ressort auch immer, aber hätte bedeutet, eine mit Minister Henri Kox Verwandte in die Regierung zu holen. Ein weiteres, vor allem in den Medien ventiliertes Szenario ging davon aus, die Europaabgeordnete Tilly Metz könnte Ministerin und ihr Sitz im Europaparlament neu vergeben werden.

Dass der Vorstand der Grünen am Ende einer Quereinsteigerin den Vorzug gab, die noch nicht Mitglied der Partei war, ähnlich wie im Dezember die DP Yuriko Backes als Nachfolgerin von Pierre Gramegna im Finanzministerium herbeizauberte, war daher ein Ausweg aus mancherlei Zwängen. Joëlle Welfring zu fragen, war offenbar Carole Dieschbourgs Idee. Als Direktorin der Umweltverwaltung bringt Welfring natürlich Kenntnis der technischen Dossiers mit und kennt den Verwaltungsapparat, dem sie künftig politisch vorstünde. Als studierte Biochemikerin und Umweltwissenschaftlerin, später Forscherin an der britischen Umweltagentur und ab 1999 am Centre der recherche public Henri Tudor (heute Teil des Luxembourg Institute of Science and Technology), dessen Umweltforschung sie ab 2005 leitete, verfügt sie außerdem über wissenschaftliche Expertise.

Eine Frau designieren zu können, ist den um Parität bemühten Grünen ebenfalls dienlich, und als Escherin wird Joëlle Welfring bei den Wahlen nächstes Jahr die grüne Südliste verstärken. Das kann die Partei dringend gebrauchen: 2018 war im Süden Félix Braz mit Abstand am besten gewählt worden, vor Gartenhaus-Renovierer Roberto Traversini. Die große Frage, sowohl im wahlstrategischen Zusammenhang wie auch für die Regierungsarbeit, wird die sein, wie es Joëlle Welfring gelingt, im Politzirkus zu bestehen. Wenn ihr eigentlich nur noch bis Ende des Jahres Zeit bleibt, als Umweltministerin Akzente zu setzen, ehe Anfang 2023 schon der Wahlkampf einsetzt. Und der Plan lautet, die CO2-Steuer ein weiteres Mal zu erhöhen.

Peter Feist
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