Resultate im Ostbezirk

Sonnenstrom ersetzt Familienwerte

d'Lëtzebuerger Land vom 17.06.2004

Als Jean-Claude Juncker im Ostbezirk „on tour“ war und in Remich fast 400, in Grevenmacher sogar an die 600 Zuschauer anlockte, vergaß er nie, der potenziellen Wählerschaft eine CSV-Kandidatin ganz besonders zu empfehlen: Octavie Modert, die Generalsekretärin des Regierungsrats. Letzten Sonntag wurde die 37-jährige Juristin hinter Fernand Boden Zweitgewählte im Bezirk und auf der CSV-Liste Ost; vor dem Chamber-Abgeordneten und Remicher Schöffen Lucien Clement sowie der Abgeordneten und Betzdorfer Bürgermeisterin Marie-Josée Frank. Zwar steht der Name „Modert“ für eine bekannte Winzerfamilie an der Mosel. Dass der energisch auftreten-de shooting star der Ost-CSV mit einem Winzer verheiratet ist, dürfte ebenfalls dazu beigetragen haben, dass Octavie Modert zu ihren 4 512 Listenstimmen mit 4 501 fast genauso viele persönliche gewinnen konn-te. Die ausdrückliche Empfehlung der Kandidatin aus dem Munde des Premiers aber wohl auch: Bereits 1994 stand Frau Modert schon einmal im Osten auf einer CSV-Liste, doch ohne nennenswerten Erfolg. Diesmal aber wurde auf die Kandidatin, die jeder Regierungsratssitzung beiwohnt, gleichsam Regierungskompetenz übertragen: „Wenn einer den Überblick hat über das, was politisch im Lande so läuft, dann ist es Octavie Modert“, teilte die CSV auf ihrer Homepage zu den Wahlen mit. „Die Juristin ist Generalsekretärin der Regierung und Erste Regierungsrätin. Sie kennt demnach sämtliche wesentliche Dossiers. Ihre politischen Schwerpunkte sind dem-entsprechend breitgefächert: Octavie Modert ist eine politische Allroundfrau.“ Jung, allround kompetent, er-folg-reich und noch dazu weiblich – das kann die CSV im Ostbezirk brauchen. Wenngleich sie sich am Sonntag von 32,5 Prozent 1999 auf 38,6 Prozent verbesserte und so gut ab-schnitt, wie seit 20 Jahren nicht mehr, steht sie vor einem Zukunftsproblem: die Nachfolgeschaft Fernand Bodens zu sichern. Noch einmal trug der dienstälteste Minister, dessen Hauptverdienst darin be-steht, Erstgewählter der CSV im Osten gewesen zu sein, maßgeblich zum Sieg seiner Partei bei, und er erwies sich mit 9 089 persönlichen gegenüber den 4 512 Listenstim-men auch als populär wie nie. Nur: Wenn der Landwirtschafts- und Weinbauminister für sich in An-spruch nehmen kann, stets ein eifriger Beihilfensammler „für den Be-ruf“ bei der Brüsseler Agrarbürokratie gewesen zu sein, und wenn ihm sein verwandtschaftliches Verhältnis mit der Familie des früheren Bauernzentralen-Präsidenten René Wester weitere Stimmen aus Bauern- und Winzerkreisen sichern hilft – dann steht dem entgegen, dass der Ostbezirk längst nicht mehr nur agrarisch geprägt ist. Sicher: Allein die Weinbau-Kantone Grevenmacher und Remich vereinigen auf sich ein Viertel sämtlicher Agrarbetriebe des Landes. Und katholische Familienwerte gelten anscheinend   zumindest an der Mo-sel noch so viel, dass, wie dort derzeit kolportiert wird, die CSV-Kandidatin Marie-Josée Frank ihre gesunkene Popularität bei Panaschierern fern vom heimischen Betzdorf ih-rer vor kurzem vollzogenen Ehescheidung verdanken soll. Andernorts aber dürfte es längst einen Wertewandel geben. Immerhin steht die Ausstat-tung mit Industrie-, Handwerks- und Dienstleistungsunternehmen in den Kantonen Echternach und Grevenmacher dem Zentrums-Kanton Mersch beispielsweise kaum nach. Und wenn verschiedene Ost-Gemeinden, wie Beaufort, Waldbil-lig oder Berdorf, in den letzten zehn Jahren zum Teil über 50 Prozent in ihrer Bevölkerungszahl zulegten, reihen sie sich ein in den landesweiten Trend der Binnenmigration – und das heißt nicht zuletzt: Zuzug von Angestellten- und Beamtenfamilien. Diese Überformung der Wahlklientel fordert sämtliche Parteien im Osten heraus. Zum Beispiel die LSAP, die 1984 ihren Stimmenanteil von 16,1 auf 26,4 Prozent hatte steigern können, sich aber nach dem Weggang des populären Ministers Marcel Schlechter 1994 ins Europaparlament bemühen muss, den Echternacher Bürgermeister Jos. Scheuer zugleich als Repräsentanten für stabile sozialdemokratische Werte wie auch als Modernisierer anzubieten. Am Sonntag schnitten in stärker industriell geprägten Gemeinden die Sozialisten verhältnismäßig bes-ser ab als die CSV. In Grevenmacher etwa errang die LSAP mit insgesamt 20,2 Prozent mehr Stimmen als bezirksweit (16,5), die CSV mit 33,5 Prozent weniger als insgesamt (38,6). Wo die Sozialisten den Bürgermeister stel-len – in Echternach, Mertert, Rosport und Dalheim – half die Po-pularität der lokalen Kandidaten Jos. Scheuer, Gust Stefanetti, Luc Bonblet und Francine Ernster zu-sätzlich nach. Doch wenn die LSAP erwartungsgemäß in den Winzergemeinden be-sonders schlecht ab-schnitt (z.B. mit 9,8 Prozent in Wel-lenstein, zehn Prozent in Stadtbredimus oder 8,8 Prozent in Re-mich), dann gab es im „Hinterland“ der Mosel kaum be-deutende Stim-menzuwächse; eher standen die Zeichen auf Stabilität. Oder Stagnation. Während es der CSV gelang, mit Octavie Modert im Schnellverfahren eine junge Kandidatin zu küren, mit dem Kompetenzbonus zu versehen und über den „séchere Wee“ zu lancieren, begegnen die Grünen dem sozialen Wandel im Bezirk mit Ausdauer: Ihr Spitzenkandidat Henri Kox, der als erster Ost-Grüner der neuen Chamber angehören wird, erwies sich in Winzergemeinden als nur mäßig beliebt. Obwohl er einer alteingesessenen Remicher Winzerfamilie entstammt und Sohn der populären Gegnerin des AKW Remerschen, Elisabeth Kox-Risch, ist: Vor den Wahlen waren noch E-Mails in der Region kursiert, die warnten, wer Kox, den Bio-Winzer, wähle, wähle ein Verbot der Pestizidausbringung per Hubschrauber und überhaupt das Ende des konventionellen Weinbaus. Allerdings nahm er laut ILReS auch dem ADR-Kandidaten Robert Mehlen Stim-men ab. Und zwar von denjenigen, die in Mehlen bislang einen Agrarreformer sahen und nun meinen, Kox sei der bessere. Wenn die Grünen aber vor allem in Gemeinden wie Waldbillig, Dalheim oder Biwer, die in den letzten Jahren stark ge-wachsen sind, besonders gut ab-schnitten, dann wohl wegen des konsequenten Werbens des hauptberuflichen In-genieurs Kox für mehr öffentlichen Transport und mehr erneuerbare Energien: Zugezogene Mittelschichtler interessiert so etwas. Konnten das ADR und Mehlen ihre Stimmen so gut wie stabil halten – laut den Listenergebnissen wählte am Sonntag im Osten offenbar ADR, wer das immer tat –, dann dürfte der Einbruch der DP von 24,6 auf 19 Prozent in ihrer Rolle als Wech-selwäh-lerpartei zu suchen sein: Legten die Grünen im gesamten Bezirk wie die CSV flächenmäßig zu, baute die DP flächenmäßig ab. Carlo Wagners Erfolg war in seiner Heimatgemeinde Wormeldingen am größten – ansonsten wählten die Winzer doch lieber CSV. Maggy Nagel, Bürgermeisterin von Mondorf, dürfte das daheim höchst umstrittene Brill-Projekt wertvolle persönliche Stim-men ge-kostet haben, und in Remich fuhr DP-Bürgermeister Jeannot Bel-ling gegenüber 1999 um zehn Prozent weniger persönliche Stimmen ein, während sein grüner Lokalkontrahent Kox seinen Anteil um rund 80 Prozent steigern konnte. Nach der Wahl stellt sich für CSV und Grüne, aber auch für die LSAP die Aufgabe, ihre Ost-Spitzen zu pflegen. Interessant wird auf CSV-Seite zu beobachten sein, ob Octavie Modert als potenzielle Nachfolgerin Fernand Bodens eine wichtigere Rolle erhält, als allein in die Chamber einzuziehen. Wie es dieser Tage hieß, soll Boden Minister bleiben wollen; lange ist es noch nicht her, da wurde er als Nachfolger von Jean Spautz im Chamber-Vorsitz gehandelt. Zwar wäre es angesichts der bevorstehenden Luxemburger EU-Präsidentschaft verständlich, den erfahrenen Landwirtschaftsminister Boden mit dem schwierigen Agrardossier zu betrauen. Solange aber niemand in seiner Nachfolgerschaft konsequent aufgebaut wird, ist nicht die CSV, sondern sind vielmehr die Grünen besser ge-rüstet für einen Osten, der sich modernisiert. Für sie, zumal ihrer „Altlast“ Jup Weber ledig, ist Henri Kox im Bezirk der coming man auch un-abhängig davon, ob es womöglich demnächst gar zu einer schwarz-grünen Regierung käme oder nicht. Dagegen ist die Koalitionsfrage perspektivisch von größerer Bedeutung für die Sozialisten und die DP: Kommt es zu Schwarz-Rot, wird sich die LSAP vor der Frage wiederfinden, die sich ihr 1994 schon einmal stellte: Soll ihr im Osten Erstgewählter ein Regierungsamt erhalten? Vor zehn Jahren wurde sie zuungunsten Jos. Scheuers beantwortet, woraus der LSAP ein Popularitätsverlust entstand, an dem sie noch immer laboriert. Jetzt könnte sie ihn zu beheben versuchen. Schwarz-Rot verhieße freilich den Liberalen im Osten nichts Gutes: Sie büßten am Sonntag 35 Prozent ihrer Listenstimmen ein, während die CSV genauso viele hinzugewann, die Grünen sogar um 50 Prozent zulegten. Ein moderner Liberaler für einen Bezirk im Wandel ist allerdings derzeit nicht in Sicht, und bliebe der DP, die am Sonntag ihren zweiten Ost-Sitz im Parlament verlor, lediglich ein Chamber-Abgeordneter Carlo Wagner, stünde ihr voraus-sichtlich ein Gang durch ein langes Jammertal bevor.

Peter Feist
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