Die kleine Zeitzeugin

Peter Handke, ein Fall von Liebe

d'Lëtzebuerger Land du 06.12.2019

Peter Handke Nobelpreis, freu. Einer von My Generation, einer, der plötzlich so schrieb, dass ich verstand, was er meinte, kein bieder-betuliches Lehrstück und trotz karger Sprache nicht so kahlgeschlagen wie das meiste der neueren deutschsprachigen Literatur, das mich hungrig zurückließ.

In einem leeren Dorfcafé mit gelb-bräunlichen Fliesen tauche ich ein in die Angst des Tormanns beim Elfmeter. So ein Café wie die, in denen Handke auch immer gern abhing oder vielleicht noch abhängt, ob eine Jukebox dastand, erinnere ich mich nicht, ich las, aber wahrscheinlich schon. Handke fuhr auch gern Bus und ging gern, er näherte sich der Welt gern auf eine selbstverständliche Art. Der blässliche, plötzlich so genannte Popstar, der das Publikum, yeah!, so geil beschimpft hatte, am Thron der Schreibgötter so geil gerüttelt hatte, reifte, sehr, die Sprache wurde manchmal altbacken, der Ton gravitätisch, etwas Hohepriesterliches, Unduldsames umwehte ihn. Viele folgten ihm in das wunschlose Unglück, kehrten langsam mit ihm heim, in die Niemandsbucht wollten schon nicht mehr so viele.

Dann Jugoslawien. Die Reisen durch und die Reflektionen über das Land des Krieges las ich beglückt. Die Wucht der medialen Schreckensbilder hatte mich zu einer Verfechterin des Angriffs auf Serbien gemacht, plötzlich war ich für Bomben. Warum also liebte ich die Texte über das Neunte Land, über die Reisen an die Save, die Morawa, die Donau und die Drina?

Eine Woche vor Kriegsbeginn war ich zum ersten Mal in einem Land, von dem ich nichts wusste und das bald nicht mehr existieren würde. Ich war die letzte Touristin, unterwegs in eine unverständliche Düsternis, warum bloß waren alle so schlecht drauf? Es war Januar, ich fror die ganze Zeit, ich hatte gedacht, es wäre Süden.

Handke vergegenständlichte mir Jugoslawien, so präsent, so präzise poetisch. Zugleich mythisch umraunt. Seine Bilder waren Gegenbilder. Die Medienschelte, die fuchtelnde Verdammung der Fernfuchtler und sein auf die andere, von westlichen Medien seiner Auffassung nach chancenlos hingerichtete Seite gerichteter Blick erschienen mir als eines Schriftstellers würdig. Der ja ein Suchender sein soll, sich nicht mit offiziellen Befunden zufrieden gebend.

Im Wiener Burgtheater erlebte ich die oft falsch zitierten Angriffe auf jene, die sich der Autor-ität des Autors nicht devot genug näherten, die Unterwürfigkeit seines Umfelds. Im Akademietheater dann einen zart freundlichen, sich in Frage stellenden Dichter, etwas gefragt werden will er aber nicht.

Der dieswöchige „Titel, Thesen, Temperamente“-Beitrag der ARD richtet den Fokus auf die in Stockholm mahnwachenden Mütter aus Srebrenica. Der Nobelpreis wird demnach an einen Verteidiger, beinahe schon Kumpel oder Kumpan von schwersten Kriegsverbrechen, zumindest einen Relativierer, verliehen. Handke als Verfemter, Geächteter? Wäre ich eine Mutter aus Srebrenica, würde ich sicher auch dort stehen, grübele ich. Ich kaufe mir die schon mit der Nobelpreisplakette versehene Neuauflage der Jugo-Texte. Die serbischen Flüsse werden auf dem Einband nicht erwähnt. Verschämt titelt der Suhrkamp-Verlag „Winterliche Reise, Sommerlicher Nachtrag“.

Das romantisch bis reaktionäre Volksgeraune und die sich zwar in Frage stellenden, aber permanent insinuierenden Fragen und die Interpretationen von Fakten, die oft kindisch der Mainstream-Darstellung trotzen, lassen mich jetzt ratlos zurück.

Kindischer Trotz? Verstoßen aus dem Neunten Land, dem Mutterland Slowenien, das es nicht mehr gab, nicht mehr so, wie es ihm vorschwebte, als Teil des großen und ganzen geliebten Jugoslawien. Dann Zuflucht gesucht in Serbien, dem letzten Traumlandreservat. Die jugoslawische Liebesgeschichte oder Liebesobsession oder Liebeskrankheit endet tragisch. Wie so oft in Liebesgeschichten, wird das Objekt der Begierde zum Subjekt, welch eine Ent-Täuschung!

Auch eine relativierende Verharmlosung, ein Nobelpreisträger ist ja kein beziehungsweise nicht nur ein traumatisiertes Kind?

Wohl auch ein Fall von Liebe.

Michèle Thoma
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