Zypernkrise

Dumm wie ein Europäer

d'Lëtzebuerger Land vom 22.03.2013

„Jedes Szenario ist denkbar, ja“, heißt es auf Nachfrage bei der Europäischen Zentralbank, „aber zitieren dürfen Sie mich nicht.“ Der Fall Zypern (man beachte den doppelten Wortsinn) scheint den Tropfen zu bieten, der das Fass zum Überlaufen bringt. Wer in diesen Tagen noch uneingeschränkt vom Fortbestand des Euro überzeugt ist, muss so stark im Glauben sein wie ein katholischer Papst. Selten sind die Konstruktionsmängel der europäischen Währung in der Krise so offen, so dramatisch zutage getreten. Weil es keinen Zentralstaat gibt, der den Zyprern (wie zuvor den Griechen, Spaniern, Portugiesen, Iren) die Zügel aus der Hand nehmen, die notwendigen Garantien aussprechen und die Banken abwickeln kann, nimmt die europäische Schuldenkrise kein Ende. Zumindest, so scheint es diese Woche, kein gutes.

Im Fall Zypern betreibt die Europäische Zentralbank schon seit längerem Insolvenzverschleppung. Zypern hatte bereits im Juni 2012 bei der EU um Hilfe nachgesucht. Die beiden größten Banken des Landes sind pleite und werden nur noch durch Notkredite am Leben gehalten. Die Bank of Cyprus und die Cyprus Popular Bank haben sich an griechischen Staatsanleihen, überhöhten Zinsen für ihre Kunden und Einlagen, die die Wirtschaftskraft des Landes viel zu weit überschreiten, so lange überfressen, bis sie das große Kotzen bekommen haben. Am Mittwochabend hieß es, dass sie nächste Woche wahrscheinlich ihre Schalter nicht mehr öffnen werden.

Beim Bemühen, den Schlamassel wieder aufzuwischen, mussten Troika und Euroländer zuletzt wochenlang auf die Neuwahl des griechischen Präsidenten warten, da mit dem alten, Dimitris Christofias, keinerlei Reformen durchzusetzen waren. Dieser letzte regierende Kommunist Europas hatte sein Land schon 2011 nur durch einen Notkredit Russlands vor der Pleite retten können. Neben den überschuldeten Banken ist, wieder einmal, ein aufgeblähter Staatsapparat Ursache für die Nothilfe.

Der mediale Hype um die Beteiligung der „Sparer“ bei der Sanierung Zyperns erstaunt dann doch. In breitester Öffentlichkeit wurde spätestens seit Anfang Februar darüber diskutiert, dass die Anleger in Zypern ihren Beitrag zu leisten hätten, u.a. deshalb, weil sonst keine tragfähige Verschuldung des Landes mehr gegeben wäre. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen europäischen Ländern war und ist die Bevölkerung nicht bereit, die zyprische Steueroase und das Geld zahlreicher Millionäre und Milliardäre mit Steuergeldern zu retten. Die Anleger müssen auch deshalb beteiligt werden, weil es bei den Bankeigentümern fast nichts mehr zu holen gibt. Ein Desaster allerdings war und ist die Tatsache, dass der Rat der Eurozone Zypern nicht gezwungen hat, Einlagen bis 100 000 Euro unangetastet zu lassen.

Es ist dem überholten System der europäi-schen Ratsentscheidungen geschuldet, dass es so weit kommen konnte. Wieder einmal hat sich gezeigt, dass Geheimdiplomatie hinter verschlossenen Türen ohne Übernahme öffentlicher Verantwortung keine geeignete Methode mehr ist, um Probleme zu lösen. Versagt haben nicht nur alle Beteiligten, versagt hat vor allem die antiquierte Arbeitsweise. Insofern ist der süffisante Hinweis von Jean-Claude Juncker, die getroffene Übereinkunft weise Mängel auf, weil er nicht daran beteiligt gewesen sei, weniger als die halbe Wahrheit. Alle europäischen Räte müssen endlich öffentlich tagen. Alles andere ist mittlerweile Verrat an der europäischen Demokratie.

Seit vergangenen Samstag fragt sich die Welt, wie denn nun die Entscheidung zur Beteiligung von Einlagen unter 100 000 Euro zustande gekommen ist. Man ist auf Gerüchte angewiesen, wer was gesagt hat. Welche Rolle spielte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble? Was hat EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen gesagt und was der zyprische Präsident Nikos Anastasiadis? Im Laufe der Woche ist klar geworden, dass es vor allem die zyprische Regierung selbst ist, die eine Beteiligung von mehr als zehn Prozent der wirklich Reichen mit aller Macht vermeiden wollte.

Die Zyprer, die mit ihrem Widerstand eine Zustimmung des Parlaments verhindert haben, taten dies nicht nur wegen des Zugriffs auf ihre Konten, sondern weil sie dem überaus harten wirtschaftlichen Abstieg der Griechen direkt vor der Haustüre zusehen konnten. Das wollen sie verständlicherweise nicht erleben. Nun soll ein Solidaritätsfonds einspringen, in dem staatliche Vermögenswerte gebündelt werden, darunter Gelder aus der Kirche und der Rentenkasse. Mit Hilfe von Not-Staatsanleihen und den Goldreserven der Zentralbank sollen insgesamt 4,8 Milliarden Euro zusammenkommen.

Vielleicht muss sich nicht nur Zypern gesund schrumpfen. Vielleicht muss das auch die Eurozone oder gar die Europäische Union. Der überkommene europäische Weg ist zur Sackgasse geworden. Ein Zeichen dafür ist auch, dass die deutsche Bundeskanzlerin, die im Kern nichts anderes verlangt als die Einhaltung der Verträge, zum Hassobjekt für Millionen Europäer geworden ist. Ein Europa, eine Eurozone, die nur von ihren Bürgern getragen werden, wenn es etwas zu holen gibt, ist zum Scheitern verurteilt.

Christoph Nick
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