Ausstellung Architektur in Luxemburg

Von Brücken, Banken und Utopien

d'Lëtzebuerger Land vom 15.03.2001

Nun, Lena, siehst du jetzt, wie wir die  Taschen voll haben, voll Puppen und Spielzeug? Was wollen wir damit anfangen?... Wollen wir ein Theater bauen? Aber ich weiß besser, was du  willst: wir lassen alle Uhren zerschlagen, alle Kalender verbieten und zählen Stunden und Monden nur nach der Blumenuhr, nur nach Blüte und Frucht. Und dann umstellen wir  das Ländchen mit Brennspiegeln, dass es keinen Winter mehr gibt...Georg Büchner, Leonce und Lena

 

Vielleicht würde sich Büchners poetisches Liebespärchen Leonce und Lena - wären sie Architekten - gerne im Ländchen nieder lassen. Denn für Nicht-Luxemburger hat es schon etwas von einem Märchen, dieses pittoreske Ensemble von stillen Wäldern und sanften Hügeln, von malerischen Tälern und mächtiger Stadt, von trutzigen Burgen und triumphalen Ban... - ja, auch Banken, verheißen diese doch stets volle Taschen und damit jene Freiheit, die Stunden tatsächlich nur nach Blüte und Frucht zu zählen. 

Natürlich sind das Klischees, die den Blick von außen auf das Land bestimmen. Aber manchmal kommt dieser Außenblick der objektiven Wirklichkeit in manchen Dingen erstaunlich näher als die durch Gewohnheit verstellte Innensicht. Der Blick von außen ist es deshalb, den Michel Petit, Marianne Brausch und Adolphe Stiller auffangen in der Ausstellung Architektur in Luxemburg. Ein Jahrhundert Städtebau und Baukunst, die das Wiener Ausstellungszentrum im Ringturm zur Zeit präsentiert.

Schließlich liegen jene äußeren Bedingungen, die das Klischeebild von Luxemburg bestimmen, auch der heimischen Architektur zu Grunde. Da ist die Geschichte als "Gibraltar des Nordens", die in der Festungsanlage ebenso ihre Spuren hinterlassen hat wie in den Freiräumen, die durch das Schleifen entstanden sind. Da ist die spezielle Topografie der Hauptstadt mit den tief eingeschnittenen Tälern und den Plateaus, da ist die Kleinheit des Landes mit einem Ballungsraum und dem ländlichen Umfeld. Die vielfachen Wechselbeziehungen zwischen diesen topografischen Bedingungen und der Geschichte des jungen Nationalstaats, die den Städtebau entscheidend bestimmen, strukturieren auch die Ausstellung.

In ihrer fast einjährigen Vorbereitungszeit für die Wiener Schau haben Michel Petit (Vorsitzender der Fondation de l'architecture et de l'ingénierie) und die Architekturkritikerin und Land-Mitarbeiterin Marianne Brausch manches zu Tage gefördert, was die Einheimischen selbst überraschen könnte. Das Interesse in Wien jedenfalls war bei der Eröffnung höchst rege, nicht nur in der einschlägigen Szene, die ohnehin stark mit der im Land verknüpft ist. Die Luxemburg-Schau ist dabei das siebte Projekt der Reihe Architektur im Ringturm, in der bereits unter anderen die Situation in Österreich selbst und in Finnland beleuchtet wurde. 

Bezeichnenderweise ist das Wiener Projekt der erste Versuch überhaupt, die Architektur im Großherzogtum umfassend zu beleuchten, die großen Linien zu analysieren und zu interpretieren. Die Kuratoren von Architektur in Luxemburg haben somit Grundsatzforschung geleistet und eine nachvollziehbare, vielfach erhellende und umfassende Systematik entwickelt. Herausgekommen ist dabei mehr als eine bloße Bestandsaufnahme über das Baugeschehen im 20. Jahrhundert - eine Sozial-, Wirtschafts- und politische Geschichte des Landes in Modellen, Plänen und Fotos.

Die stete Präsenz und Macht der Geschichte ist es, die - ähnlich der Situation in der Gastgeberstadt Wien - als zentrale Herausforderung die Leitfrage stellt, wie mit der eigenen baulichen und staatsgeschichtlichen Entwicklung umgegangen werden soll, wie darauf Bezug genommen werden und wie dieser Bezug gestaltet werden soll. In dem Gegenüber von geplanter Architektur und nicht planbarer Entwicklung öffnet die Schau eine weitere, ins Philosophische reichende Perspektive. 

Es wird eine ständige Ambivalenz zwischen gestalterischem Willen und der Eigenmacht der Geschichte deutlich, die sich jenseits von ausgeklügelten Stadtplänen und willkürlichen Konzepten selbst schreibt. Die ihre Spuren hinterläßt, ob man sie nun in ihrer Bausubstanz gewordenen Gestalt konserviert, dem neuen Zeitgeschmack anpasst oder gänzlich schleift - das Gedächtnis der Stadt geht darüber, was das wahrnehmbare Alltagsbild bestimmt, weit hinaus.

Ausgehend von der Erhebung zum Nationalstaat durch den Vertrag von London 1839, wird in einem einführenden Abschnitt eine erste große Phase der Expansion der Hauptstadt bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts deutlich. Gestalterischen Willen nach einem einheitlichen Konzept machen die Kuratoren in dieser Epoche vor allem in den 1901 abgeschlossenen Planungen des Städtebauers Josef Stübben für die Stadterweiterung auf dem Bourbon-Plateau aus. Die ansonsten weitgehend ohne aktive Stadtplanung vollzogene Ausdehnung in den Norden, Westen und Süden hat ersichtlich keinen eigenen, homogenen Stil hervorgebracht.

Das Fehlen der Moderne und die Dominanz des Historismus, dem im ausgehenden 19. Jahrhundert überall in Europa gehuldigt wurde, ist denn auch als einprägsamstes Merkmal des ersten "luxemburgischen" Stils erkennbar. Dass diese die Vergangenheit idealisierende Haltung auch und vor allem im Bahnhofsviertel ihre Spuren hinterlassen hat, steht in innerem Kontrast zur Fortschrittsdynamik, die sich im Einzug der Eisenbahn niederschlägt. Auch die von Paul Séjourné in traditioneller Weise in Stein gebaute Adolphe-Brücke, mittlerweile zu einem Wahrzeichen geworden, zeugt von dieser inneren Spannung der Zeit. Brücken und Eisenbahn, breite Straßenzüge und erste Parkanlagen stehen als Symbol für Kommunikation für eine weitere prägende Entwick-lung.

Nahezu als Appell an die Denkmalpflege, den Wert der Architektur abseits des als eigenen Stil anerkannten Historismus führt die Ausstellung mit Fotos und Plänen auch zu den Highlights aus den 30er und 50er Jahren. Anklänge an Art Deco finden sich so etwa bei den Geschäftshäusern Jenny Grünstein und À la Bourse, 1932 von Fritz Nathan bzw. 1933 von Léon Leclerc geplant. Die Wohnanlage Foyer von Theodor Merrill und Jean Deitz oder die Entbindungsklinik Grand-Duchesse Charlotte, 1933 von Otto Bartnig entworfen, stehen als seltene heimische Beispiele für Tendenzen eines Neuen Bauens. 

Aus den 50er Jahren haben die Kuratoren etwa die Eingangshalle der Ciné Cité von Robert Lentz als prägnantes Epochenbeispiel gewählt. Die bescheidenen Beispiele für die Moderne entwickelten sich in dieser Zeit vorrangig im privaten Bereich. Erst in den 60er Jahren wird im Bauverhalten der öffentlichen Hand eine Wende deutlich, die einen aktiv betriebenen Imagewechsel in der zweiten großen Ausdehnungsphase einleitete.

Die fällt mit dem zweiten prägenden Klischee zusammen - mit der Vorstellung von einem geeinten Europa, für das Luxemburg zum Symbol geworden ist. Im Baugeschehen am Plateau Kirchberg wird die Aufbruchsstimmung und der visionäre Impetus dieser Etappe deutlich, denen ein zweiter großer Abschnitt in der Wiener Ausstellung gewidmet ist. Die eindrucksvolle Fotografie des Rohbaus des neuen Stadttheaters am Plateau Kirchberg von 1964 ziert auch das Plakat der Schau. Mit diesem Bau erreichte Alain Bourbonnais eine gelungene Synthese von historischen Anspielungen durch die an Festungs-Schießscharten erinnernde Fenstergestaltung mit einer innovativen Formsprache.

Breiter Raum ist Leistungsschau der internationalen Architektenszene am Plateau Kirchberg gewidmet, vom Europäischen Gerichtshof bis zu den internationalen Banken und den jüngst geplanten Kulturbauten. Mit der aktuellen Phase der neuerlichen Erweiterung und Verdichtung dieses Stadtteils öffnet sich nun die spannende Situation, dass Projekte aus der jüngeren Zeit wie eben der Gerichtshof bereits ausgebaut werden müssen und gleichzeitig in der kulturellen Offensive der öffentlichen Hand die Versäumnisse des vergangenen Jahrhunderts im kulturellen Bereich die Konfrontation der jüngsten Geschichte mit einer gegenwärtigen Architektur provoziert, die einerseits historische Anknüpfungspunkte sucht, andererseits bewusst auf Brüche setzt.

Daneben aber würdigt ein weiterer Bereich richtungsweisende Einzelleistungen wie das 1976 von Robert Krier gebaute, auf einen Kubus reduzierte Einfamilienhaus "Dickes" als wichtigen Impuls für die heimische Architekturszene. Hier fügen sich in den letzten Jahren entstandene Projekte nahtlos an, etwa das Wohnhaus von Christian Bauer die Privatschule Fieldgen des Duos Schemel[&]Wirtz. 

Diese Projekte stellt die Ausstellung gleichberechtigt neben den großen Kulturbauten und bezieht damit eine klare Position in der Frage, wie speziell "luxemburgisch" eine Stadtarchitektur sein kann, die maßgeblich von internationalen Architekten geprägt wurde. Das Fehlen einer eigenen heimischen Schule der Architektur wird hier nicht als Manko sichtbar. Im Gegenteil, der erkennbare Austausch und die Verbindung internationaler Einflüsse erscheinen als Bereicherung in einem abwechslungsreichen Erscheinungsbild und in der Vielfalt der Gestaltung.

Wie in einem Brennspiegel konzentrieren sich im Land die unterschiedlichen Tendenzen der internationalen Architektur dieses Jahrhunderts von Historismus über Art Deco und Neue Sachlichkeit bis zu Glas-Stahl-Postmoderne, der neuen spielerischen Poesie eines Portzamparc und privater Wohnutopien. Inmitten all der bunten Pläne und der Modelle, die aus dem Bautenministerium ausgeliehen und nach Wien transportiert wurden, scheint am Ende tatsächlich ein unsichtbarer kleiner Prinz Regie zu führen, der sich unbekümmert seinen Zukunftsträumen hingibt und die Dinge gestaltet nach seiner Fantasie. Was aber immer noch zu lösen wäre, ist die Sache mit dem Winter.

 

Zu sehen ist Architektur in Luxemburg bis 13. April im Ausstellungszentrum im Ringturm, Schottenring 30, 1010 Wien, Montag bis Freitag von 9 bis 18 Uhr, Information: 0043 1 531 39 1035. Ein umfangreicher Katalog, herausgegeben von Adolphe Stiller, der das Projekt in Wien koordiniert hat, enthält eine reichhaltige Bilddokumentation und weiter führende Essays; 210 Seiten, 1350 Franken oder 33 Euro; ISBN 3-7025-0431-1.

 

 

 

 

Irmgard Schmidmaier
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