Die Europäische Bankenaufsicht (Eba) muss Brexit-bedingt umziehen. Bei der Standortauswahl geht es zu wie bei der Eurovision, schmalzige Videos glücklicher Leute inklusive

Luxembourg, douze points?

d'Lëtzebuerger Land vom 04.08.2017

Erbtante Damit die bisherige Einheitsfront der 27 verbleibenden EU-Mitglieder gegenüber Großbritannien nicht allzu geräuschvoll zusammenkrachen sollte, hatten sich die Staats- und Regierungschefs im Juni einige Spielregeln zur Auswahl neuer Standorte für die Europäische Arzneimittelagentur (Ema) und die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (Eba) gegeben. Denn in der Vergangenheit hat es oft viel Streit um EU-Agenturen gegeben, das wollte man diesmal vermeiden. Zumal Großbritannien einen möglichen Verbleib der beiden Agenturen zum Verhandlungsgegenstand machen wollte, während die „EU-27“ von den Briten fordern, die Umzugskosten zu bezahlen. Dennoch ist es ein bisschen so, als ob Möbel und Porzellan verteilt würden, noch bevor die Erbtante ihren letzten Atemzug ausgehaucht hat. Um den Eba-Sitz haben sich bis zum Stichtag Anfang dieser Woche Brüssel, Dublin, Frankfurt, Luxemburg, Paris, Prag, Warschau und Wien beworben.

Bonsoir, Good evening Die EU-Kommission wird bis Ende September prüfen, ob sie die sechs im Juni bestimmten Kriterien einhalten: ein bezugsfertiges Quartier, eine gute Erreichbarkeit, schulische Infrastrukturen für die Kinder des Eba-Personals, ein Arbeitsmarkt, der Jobs für die Männer und Frauen der Eba-Mitarbeiter hergibt, sowie deren Krankenversicherung, die Aufrechterhaltung des Eba-Betriebs ohne Unterbrechung, sowie die geografische Verteilung der EU-Agenturen. Im November wird abgestimmt; in der ersten Runde hat jedes Land sechs Stimmen zu vergeben, drei an seinen Favoriten, zwei an den zweitliebsten und eine an den drittliebsten Standort. Bekommt ein Land in der ersten Runde vierzehnmal drei Stimmen, hat es gesiegt, wenn nicht, wird unter den ersten drei weiter abgestimmt.

Nicht nur wegen dieses Abstimmungsmechanismus erinnert der Wettbewerb an die Eurovision. Sondern auch, weil einige Bewerberländer die beim Song-Contest obligatorischen schmalzigen Videos gedreht haben, in denen Bilder mittelalterlicher Burgen denen von Glaspalästen folgen, um Kultur und Innovationsfähigkeit anzudeuten, und in denen auch die Untertanen von Diktatoren glücklich lächelnd durch einen Wald spazieren, um ihre unterdrückte Seele an einem Wasserfall zu erfrischen. Im Bewerbungsvideo für Warschau erzählt eine Französin, wie gastfreundlich die Polen gegenüber Fremden sind, und ein Italiener erklärt, Polens bestgehütetes Geheimnis sei das gute Essen; Warschau sei eine „fully-fledged“ europäische Hauptstadt. Dass das bald nur noch Wunschdenken sein könnte, wenn Polens Regierung die Justiz so gängelt, bis dem Land, das keine Flüchtlinge aufnehmen will, in Brüssel die Stimmrechte aberkannt werden, davon erklärt der italienische Geschäftsmann mit der Vorliebe für Kohlspeisen nichts.

Fein, aber nicht zu schade Obwohl Finanzminister Pierre Gramegna (DP) noch vor ein paar Wochen während der Brexit-Debatte im Parlament beteuert hatte, sich zu fein für eine Beteiligung an der unappetitlichen Leichenfledderei um die Juwelen der Londoner City zu sein und mit maximal „ein paar hundert“ neuen Mitarbeitern in Luxemburg zu rechnen sei, deren Stellen nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU nach Kirchberg verlegt werden, ist sich die Regierung nicht zu schade, um für die Eba mitzubieten, die allein rund 200 Mitarbeiter beschäftigt.

Außenseiterchance Als Favorit für die Neuansiedlung der Eba gilt Frankfurt – wenn Paris dem zustimmt. Die Luxleaks-Enthüllungen haben zu tiefe Spuren hinterlassen, als dass Luxemburg noch auf sein in den EU-Verträgen verbrieftes Recht pochen könnte, die Finanzbehörden der Union müssten nach Luxemburg ziehen. Um für den Fall, dass sich Deutschland und Frankreich nicht einigen, überhaupt eine Chance zu haben, die Eba nach Luxemburg zu holen, ist die Regierung bereit, eine Stange Geld auf den Tisch zu legen. Sie stellt sozusagen einen Blankoscheck aus, um die Miete der Eba auf unbestimmte Zeit zu übernehmen. Dazu hat sie dem Bauunternehmen Giorgetti eine Garantie gegeben, die Hälfte des Moonlight-Gebäudes an der Route d’Arlon neben der CSSF zu belegen. Falls es mit der Eba nicht klappt, wird eine andere Verwaltungsstelle dort untergebracht. Auch andere Bewerberländer bieten finanzielle Anreize. Wien „offeriert“ ein Bürogebäude an der Linken Wienzeile, das ebenfalls im Bau ist. Irland bietet 13,5 Millionen Euro, um während zehn Jahren die Miete der Eba zu zahlen, und eine Million obendrauf, um den Mitarbeitern beim Umzug zur Seite zu stehen. In Warschau soll die Eba in den „Kaskada“-Glaspalast einziehen, dafür würde die Regierung während zehn Jahren die Hälfte der Mietkosten übernehmen. In Prag wäre die neue Adresse das Mayhouse, und die Regierung bietet einen Zwölfjahresvertrag mit neun mietfreien Monaten, sowie die Übernahme der Miete während weiteren fünf Jahren. Andere haben entweder kein Geld oder es nicht nötig, finanzielle Anreize zu bieten. Brüssel, Frankfurt und Paris beschränken sich darauf, verschiedene Immobilien, beziehungsweise Stadtviertel vorzuschlagen, in denen die Eba einziehen könnte.

Return on invest Die Ansiedlung der Eba verspricht nicht nur Prestige, sondern auch direkte positive Effekte auf die Wirtschaft. Beispielsweise für das Gaststättengewerbe, denn sie hat 2016 laut Merkblatt Eba 340 Veranstaltungen organisiert, „Sitzungen, Workshops, Seminare, öffentliche Anhörungen“, Tendenz steigend. Daran nahmen vergangenes Jahr 9 215 Gäste teil, und wie es vielversprechend im Merkblatt heißt: „Im Durchschnitt fällt für diese Besucher eine Übernachtung in einem Hotel an; daher müssen insgesamt knapp 9 000 Hotelübernachtungen pro Jahr gebucht werden.“ Diese Konferenzteilnehmer könnten erstens die unerfüllten Träume der Staatssekretärin Francine Closener (LSAP), über die Entwicklung des „Mice“ getauften Sektors des Kongress- und Tagungstourismus Wirklichkeit werden lassen. Zweitens könnten sie der Transportbranche Zuwachsraten bescheren, denn die Kongressteilnehmer müssten nach Luxemburg gebracht werden, sowie die Eba-Mitarbeiter zu ihren 700 Dienstreisen jährlich geflogen werden.

Familienzusammenführung Über die Mitarbeiter der Eba erfährt man so einiges im Merkblatt, zum Beispiel woher sie kommen (23 Italiener, 19 Deutsche, 16 Spanier, 15 Franzosen, zwölf Briten, ...), dass die Hälfte von ihnen verheiratet ist, und dass sie zusammen 130 Kinder haben, davon 39 im Vorschulalter, 77, die im Primär- oder im Sekundarschulalter sind, und 14, die eine Hochschule besuchen. Da die Eba eine EU-Behörde ist, hätten die jüngeren von ihnen automatisch Zugang zu den Einrichtungen der Europaschule, verspricht die Luxemburger Regierung in ihrem Angebot. Sie verweist darin auch, auf die privaten internationalen Schulen sowie die internationalen Angebote der öffentlichen Schulen, ohne zu erwähnen, dass es für Zuwanderer und Expats im Privatsektor schwierig ist, ihrer Kinder in einer Schule unterzubringen. Mit diesem Schulangebot steht Luxemburg aber vergleichsweise gut da und wegen der Sprachenvielfalt in der Luxemburger Gesellschaft braucht es nicht wie andere Länder eine komplette Liste aller dem Englischen mächtigen Ärzte und Krankenhäuser beizufügen.

Allerdings müssen 200 neue EU-Beamte auch irgendwo wohnen und haben das Potenzial, die Immobilienpreise anzuheizen, wenn sie auf einen Schlag kommen. Von der Wohnungsknappheit redet die Luxemburger Regierung in ihrer Bewerbung lieber nicht, sondern verweist auf die Webseite justarrived.lu auf der es in der Rubrik „Housing“ heißt: „For a family or a single person, Limpertsberg, Merl or Belair and Hollerich (top part) are nice, quiet and have a very good bus service. They are also practical when it comes to choosing a Luxembourgish or foreign school. Gasperich and Bonnevoie are also nice areas, a little less central, but have plenty of corner shops.”

Schönheitswettbewerb Jedes Bewerberland hat irgendeinen Index gefunden, in dem es am besten abschneidet. Die Tschechen werben mit der niedrigen Arbeitslosigkeit, die Iren mit den hohen Wirtschaftswachstumsraten, bei irgendeinem Expat-Index hat kürzlich „AAA“-Luxemburg gut abgeschnitten, bei einem anderen hatte Wien die Nase vorn. Die österreichische Hauptstadt wirbt damit, die einzige Hauptstadt mit Weinanbaugebiet zu sein, Frankfurt mit seinem guten Feierabendbier und hat für den sicheren Heimweg vorsichtshalber der Bewerbung den S-Bahn-Plan beigelegt. Prag bietet den Mitarbeitern übergangsmäßig die Unterbringung in Militäreinrichtungen an, sowie kostenlosen Zutritt in eine lange Liste von Sehenswürdigkeiten, darunter die Sport­einrichtungen der tschechischen Olympioniken, das Museum für Roma Kultur und der Prager Zoo. Dublin wirbt damit, dass die Iren Englisch sprechen und damit die Umstellung für die Eba-Mitarbeiter nach einem Umzug von London am kleinsten ist. Paris erkennt an, dass der Wechsel aus einem anglo- in ein frankophones Land Schwierigkeiten bereiten könnte, und bietet unter Eingeständnis der eigenen beschränkten Fremdsprachenkompetenzen kostenlosen Französischunterricht an. Sicherheitshalber hat man die Vorwörter von Präsident Emmanuel Macron, Außenminister Jean-Yves Le Drian, Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire, der Präsidentin der Region Île-de-France Valérie Pécresse, der Bürgermeisterin von Paris Anne Hidalgo, dem Präsidenten der Departmentsrats Hauts-de-Seine Patrick Devedjian, dem Vorsitzenden von Europlace Gérard Mestrallet und sogar dem Ehren-Gouverneur der Banque de France und Spezialemissär für die Ansiedlung der Eba in Paris Christian Noyer, die die Hälfte des Pariser Bewerbungsschreiben in Anspruch nehmen, auf Englisch übersetzen lassen, damit klar ist, dass Frankreich ein Land der kurzen Wege und der kleinen Bürokratie ist.

Safety first Angesichts der rezenten Terroranschläge in London, Paris und Brüssel versuchen andere Bewerberstädte mit der Sicherheitslage zu punkten. Niemand ist dabei so unverschämt wie Warschau, US-Verbündeter im Irakkrieg, das in seiner Bewerbung anführt: „Poland has no indigenous terrorism and no known terrorist organizations have been identified to operate in Poland, according to the United States Department of State statement about Poland and Warsaw.“ Da es unterschiedliche Meinungen darüber gibt, was eingeborener Terrorismus ist, begnügen sich die anderen Bewerber damit, wiederum irgendwelche Fantasie-Indexes anzuführen, in denen sie einen hohen Rang belegen.

Politische Entscheidung Am Ende aber spielt das Wohlbefinden der Eba-Mitarbeiter bei der Entscheidung überhaupt keine Rolle, denn sie haben kein Mitspracherecht. Die deutsche Bewerbung preist Frankfurt als „natürliche Wahl“ an, weil die EZB dort ist, die Banken überwacht und die Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen (Eiopa), die der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble gerne mit der Eba fusionieren würde, um Synergien zu bündeln, also Geld zu sparen. Paris sieht sich in der gleichen Position, weil Frankfurt schon die EZB und die Eiopa hat und nicht alles dorthin soll, in der französischen Hauptstadt aber der Sitz der Europäischen Aufsichtsbehörde für die Finanzmärkte ist. Brüssel sieht sich ohnehin als europäische Hauptstadt, Dublin wirbt mit seinem großen Finanzzentrum. Das tut auch Luxemburg, das außerdem darauf verweist, dass es hier schon die EIB und den europäischen Rettungsschirm gibt. Alle „alten“ Mitgliedstaaten, die sich im Juni engagierten, die sechs Kriterien zu respektieren, ist die geografische Verteilung der EU-Agenturen dabei egal; sie argumentieren, man müsse „das Beste“ für die Eba entscheiden, die ja außerdem keine neugeschaffene Agentur sei, sondern ein alte, die umziehe, weshalb die Vortrittsklausel für die „neuen“ Mitgliedstaaten nicht gelte. Das „neue“ Mitglied Polen pfeift ebenso auf Konventionen. Warschau verweist darauf, dass die Ansiedlung der Eba in einem Nicht-Euroland Signalwirkung haben könnte: „This is particularly vital in order to ensure effective effective and consistent prudential regulation and supervision across the whole European banking sector. It would also send a clear message that in the area of financial services, the EU is aiming at integration not only within the euro area but within European Union as a whole.” Wobei die klare Botschaft dabei eigentlich die ist, dass sich die neuen Mitgliedstaaten von ihrem Versprechen, dem Euro beizutreten, verabschiedet haben...

Michèle Sinner
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