ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Guillaume V

d'Lëtzebuerger Land vom 26.09.2025

Nächste Woche tritt ein neues Staatsoberhaupt sein Amt an. Nicht als Ergebnis allgemeiner, freier, geheimer Wahlen. Sondern als Erbe. Arbeiterinnen, Angestellte, Beamtinnen, Schulkinder hatten einen arbeitsfreien Tag erwartet. Die Regierung schenkte ihn den Unternehmern.

Die Unternehmer begrüßen den „transfert d’entreprise“. Ihnen behagt die Monarchie. Solange sie nicht herrschen will. In der unveränderlichen Folge der Monarchen soll sich die Unveränderlichkeit der herrschenden Verhältnisse spiegeln: des Privatbesitzes an Fabriken, Banken, Läden, der Lohnarbeit, des stellvertretenden Parlamentarismus. Ein Prinz ist Verkaufsargument jeder Prospektionsreise.

Im 19. Jahrhundert kämpften Monarchie und Bürgertum um die Herrschaft. Nach zwei Revolutionen, einem Putsch, Verkaufsverhandlungen einigten sie sich 1868 auf einen Kompromiss. Großherzogin Marie-Adelheid ignorierte ihn. Großherzog Henri stellte ihn infrage. Die Bourgeoisie pfiff beide zurück.

Großherzog Henri wollte zum Louis-Philippe des Neoliberalismus werden. CSV-Premier Jean-Claude Juncker versprach sich nationale Kohärenz. Beim Verlust der sozialen Kohärenz. Schrullen, Patzer, Skandale ließen den Versuch im Fiasko enden.

Die Arbeiterbewegung, das liberale Bürgertum hielten die Monarchie für bigott, militaristisch: für eine Stütze des CSV-Staats. Der liberale Premier Xavier Bettel stutzte sie zurecht. Die Verfassungsreform, der Waringo-Bericht machten aus dem Naussauischen Erbverein ein Erbbeamtentum.

Von Manderscheid, Greisch bis Superjhemp steht der Beamte für den nationalen Kleinbürger. Statt aristokratisches Charisma strahlen Erbbeamter Guillaume, Gemahlin Stéphanie Biederkeit aus. In der Freizeitkluft des Kleinbürgertums schieben sie den Kinderwagen durch die Menschenmenge. Stets etwas unwohl in ihrer Haut. Stets links und rechts die Leibwächter.

Eheschließungen im Hochadel werden als Märchenhochzeiten inszeniert. Guillaume, Stéphanie machen keine Anstrengungen, als Traumpaar zu erscheinen. Die kleinbürgerliche Ehe ist eine unromantische Zweckgemeinschaft. „DIE FRAU: Ist es wahr, daß ihr alle Möbel selber gemacht habt, auch den Schrank? DIE BRAUT: Alles. Mein Mann hat es entworfen, gezeichnet, die Bretter gekauft, gehobelt, alles, und dann geleimt, also alles, und es sieht doch ganz gut aus“ (Bertolt Brecht, Die Kleinbürgerhochzeit, GBFA, Bd. 1, S. 245).

Guillaume I., II., III., IV., Adolphe, Charlotte, Jean, Henri hatten vier, fünf, sechs Kinder. Um die Thronfolge abzusichern. Kinderreich sind heute arme oder reiche Familien. Die Kleinbürgerfamilie zählt zwei Kinder. Guillaume, Stéphanie haben zwei Kinder.

Guillaume V. will nicht in einem Schloss wohnen und arbeiten. Er will morgens wie alle Beamten das Haus verlassen, zur Arbeit gehen. Guillaume, Stéphanie planen, „eng Dependance um Terrain vum Schlass zu Colmar-Bierg ze bauen. Dës Dependance wäert eisem Familljeliewe virbehale sinn a gëtt mat eisen eegene Mëttel finanzéiert“ (Pressemitteilung, 17.7.24). Sie erfüllen sich den Traum jeder Kleinbürgerfamilie: den Traum vom Eigenheim.

Das Kleinbürgertum dominiert kulturell. Deshalb zählt sich jeder zum Kleinbürgertum, nennt sich „Mittelschicht“. „[L]es gouvernements passent, les sociétés périssent ou s’étiolent, mais nous, nous dominons tout cela et la police est éternelle“ (Honoré de Balzac, Les petits bourgeois, Brüssel, 1855, Bd. 5, S. 196).

Seine Eltern stifteten Chaos. Nun muss Guillaume für Eintracht sorgen. Freudig zeigt er dem Kleinbürgervolk: Ich bin so spießig wie ihr! Ich glaube an Eigentum, Ordnung, Sicherheit. Ich gehe nicht zur Jagd. Ich trenne meinen Müll. Ich schaue abends „De Journal vun RTL“.

Mit der List der Mimikry soll Guillaume V. das Kleinbürgervolk mit der Monarchie versöhnen. Er opfert sein Alleinstellungsmerkmal: die aristokratische Würde. Friedlich verschwindet die Monarchie in ihrer Verkleinbürgerlichung. Dann fühlen sich alle Kleinbürger imstande, Großherzog, Staatsoberhaupt zu werden.

Romain Hilgert
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