Wahlalter

Das Alter der Vernunft

d'Lëtzebuerger Land vom 03.02.2012

Drei Viertel der Abgeordneten verwarfen diese Woche wieder einmal einen Antrag zur Verfassungsrevision und einen Gesetzesvorschlag, mit denen das Wahlalter gesenkt werden sollte. Der DP-Abgeordnete Eugène Berger wollte das aktive Wahlalter der Wahlberechtigten von 18 auf 16 Jahre herabsetzen, weil die Jugendlichen heute mehr Freiraum genössen, sich mehr Gehör zu verschaffen wüssten, früher reif seien und mehr von Umweltschutz, Facebook und Schule verstünden als viele Alten, die Rentenanpassungen auf Kosten der kommenden Generationen durchsetzten. Vor 17 Jahren hatte Berger schon einmal einen Revisions- und einen Gesetzesvorschlag eingebracht, um das passive Wahlrecht der Kandidaten von 21 auf 18 Jahre zu senken; drei Monate später hatten die LSAP-Abgeordneten Marc Zanussi und René Kollwelter dann vorgeschlagen, das aktive Wahlalter von 18 auf 17 Jahre zu senken.

Das Wahlalter ist, neben der Aufteilung der Wahlbezirke, ein legales Mittel, die Wahlergebnisse zu beeinflussen: Das rechte Wahlalter ist nicht das linke Wahlalter. Aus diesem Grund hatte die CSV wenige Monate vor den Kammerwahlen 2004 die Altersgrenze für den Wahlzwang auf 75 Jahre erhöht. Weil alle Meinungsumfragen zeigen, dass ältere Wähler überdurchschnittlich CSV wählen. Eine Senkung des Wahlalters würde derzeit vor allem den Grünen nützen, nachrangig einer Piratenpartei. Deshalb ist nicht sicher, ob alle Verfechter einer Senkung des Wahlalters dies tatsächlich wünschen oder lieber so lange auf jung machen, wie sie sicher sind, dass eine Mehrheit ihre Forderung ablehnt. Wie auch die Gegner der Senkung nicht öffentlich behaupten wollen, dass Sechzehnjährige zu unreif seien, um Jean-Claude Juncker zwei Kreuzchen zu malen, sondern lieber rechtliche Bedenken vorschieben – und, wie seit 15 Jahren, vorschlagen, erst einmal zu diskutieren, am besten weitere 15 Jahre.

Regierungsmehrheit und Staatsrat wenden vor allem ein, dass Minderjährige, die nur eingeschränkt rechts- und geschäftsfähig sowie strafrechtlich verantwortlich seien, nicht wie Volljährige politisch mitentscheiden könnten. Doch Beispiele dafür, dass in dieser Form gar kein Zusammenhang zwischen bürgerlichen und politischen Rechten besteht, gibt es genug: Die Frauen, die am Ende des Ersten Weltkriegs das Wahlrecht erhielten, blieben bis in die Siebzigerjahre nur eingeschränkt geschäftsfähig; die Ausländer haben zwar kein Wahlrecht, sind aber voll geschäftsfähig und strafrechtlich haftbar.

Der Staatsrat befürchtet zudem, dass sich die Parteien aus niederen Beweggründen „überbieten“ und bald die Senkung des Wahlalters bis auf das klassische „Alter der Vernunft“, sechs oder sieben Jahre verlangen könnten. Aber der Gesetzgeber muss immer willkürlich entscheiden, wenn er bei der Bestimmung der Schulpflicht oder beim Verbot der Kinderarbeit die Trennlinie zwischen Kindheit und Erwachsensein festlegen soll. Zudem gibt es keinen zwingenden Grund, Jugendliche vom Wahlgeschäft auszuschließen. Denn selbst wenn sie, ähnlich wie Arbeitslose und Rentner, über keine eigenen Einkommen verfügen, sind sie doch Steuerzahler, die beispielsweise mehrwertsteuerpflichtig sind. Und dass sie sich bei Wahlen unvernünftiger als Erwachsene verhalten würden, widerlegen die 17 277 180 erwachsenen Deutschen, die am 5. März 1933 Hitler gewählt hatten, Zudem mag der Einwand überraschen, wenn er ausgerechnet aus dem Mund von Mehrheitspolitikern kommt, die mit einer Reform gerade Ausbildung auf Kosten von Bildung organisieren wollen.

Zum Glück lässt sich die Frage ganz einfach pragmatisch beantworten: Ein Land, das Zwölfjährige ins Gefängnis sperrt, kann Zwölfjährigen auch das Wahlrecht zuerkennen.

Romain Hilgert
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