Der Geistesblitzwitz, der aufleuchtet

Smalltalken

d'Lëtzebuerger Land vom 27.05.2016

Smalltalken ist groß, ganz groß. Es hat keine Lobby oder Fan-Gemeinde, vielleicht sollte ich eine gründen, kaum einer bekennt sich zum Smalltalken. Aber ist es nicht das Allergrößte? Wenn man schon übers Talken talkt.

Wie ich in meiner Jugend den Smalltalk verachtete! Er hatte mit Bourgeoisie zu tun, mit Salzstangen knabbernden, an Cocktails nippenden Herrschaften. In seiner schlichtesten Variante mit Nachbarinnen, die bei Regenwetter sagten, dass es regne.

Ich wollte über den Vietnamkrieg reden, über Trakl oder Makrobiotik. Oder über Antipsychiatrie. Mindestens. Wie konnten Menschen mitein-ander an einem Tisch sitzen und Nichtigkeiten austauschen, Bedeutungsloses? Verwandte, die sich austauschten über die Kilometerzahl, die zurückgelegt wurde von da bis dort, über Farah Dibas Frisur. Statt über Orgasmus! Ihren! Beziehungsweise ihren Nicht-Orgasmus. Warum sagten sie nicht, was sie wirklich fühlten oder dachten? Das konnte doch nicht alles sein. Und wenn es mehr gab, warum sagten sie es nicht? Warum urschrien sie sich nicht an? Und analysierten es anschließend, das hätte sie weiter gebracht, und die Gesellschaft, und die Menschheit. Nicht diese dekorativen Gesprächshäppchen, die zu dekorativen Häppchen serviert wurden.

Es ging schließlich ums Ganze, ums Große, um den gesellschaftlichen Entwurf.

Oder Liebe: War sie nicht eine Erfindung der dekadenten Bourgeoisie? Während einer das Herz plötzlich überall klopfte, weil ein Jüngling die Szene betrat, er war eigentlich eher wortkarg, aber sein Schweiß roch gut, er hatte starke Venen auf den Unterarmen. Und es einer irgendwann dämmerte, dass die Analyse mit einem Genossen auf der Couch bis ins Morgengrauen – die Arbeiterklasse buk schon längst die Brötchen, die wir uns am Abend holen würden – ein aufreibendes Abwehrmanöver war, der Schweißgeruch war nicht der richtige.

Der Smalltalk hatte einen schlechten Ruf. Alle kleinen Unstimmigkeiten und großen Probleme zwischen Menschen würden zugeschüttet mit ein paar Floskeln, mit unverfänglichen Scherzen. Es gäbe kein Risiko, Smalltalk galt als konterrevolutionär, als pure Anpassung. Als nichtssagend sowieso.

Welch ein Irrtum! Je mehr Jahresringe ich erwerbe, desto mehr verehre ich den kleinen Talk, gibt es ein so charmantes und treffendes Wort in der deutschen Sprache? Plauderei, Geplänkel? Vielleicht sinkt ja auch meine Lust an revolutio-nären Umstürzen mit der Zahl der Jahresringe und der Zahl der revolutionären Umstürze, die sich andeuten.

Egal, Smalltalk ist wunderbar, vor allem an der Bar. Triefsinnig ins Glas schauen, okee, aber bitte nicht Palästina-Israel. Oder böse Amerikaner. Oder das Kuchenrezept mit allen Details. Kann man nicht einfach rumstehen und die Welt nicht verstehen, und sich dabei verstehen?

Smalltalk verhindert Kriege. Niemand muss niemand mit Pointen löchern, er erfordert keine Siege. Man plappert und plauscht vor sich hin, aber nicht endlos. Auf jeden Fall ziellos. Nichts muss bewiesen oder belegt werden. Eine beiläufige Konversation ohne Tiefgang, sagt Wikipedia. Genau, was gibt es Besseres, um sich zu erholen von dem ganzen Stress rundherum? Aber im Idealfall auch amüsant und elegant. Smalltalk soll zu nichts führen. Er ist zenbuddhistisch und gratis, der Geistesblitzwitz, der aufleuchtet.

Natürlich ist das nicht so einfach, wahrscheinlich eine Kunst, eine Begabung wohl auch. Vielleicht könnte man es lernen, in der Schule, geistreich und zugleich beiläufig zu konversieren? Versiert, schwebend, schwerelos. In der Karriere-bibel wird Smalltalkkompetenz als unabdingbar empfohlen, der Plauderprofi-Autor schreibt von einem „mythischen Sexualisierungsfanal“. Puh! Ein Zeitmanager und Stressforscher gibt Smalltalktipps für die Fahrt in Aufzügen und für Dinners mit dem Chef. Zugleich belegen ernsthafte Studien, jetzt wird es ernst, dass Smalltalker_innen unglücklicher sind als Bigtalker_innen.

Es ist also wohl überflüssig, einen Verein zu gründen, um diskriminierte Kulturtechniken zu rehabilitieren. Sicher gibt es längst entsprechende Studienzweige, man kann einen Master in Smalltalk machen und promoviert an Bushaltestellen kleine Gespräche führen, die nirgendwohin führen, nur zum mit dem Bus fahren.

Grübelgrübel, ein ernstes Thema, muss ich demnächst am Stammtisch ansprechen.

Michèle Thoma
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