Guy Schons’ musikalische Brücke zwischen Luxemburgisch und Jiddisch

Bay mir bisdu sheyn

Guy Schons
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 26.09.2025

Wenn Guy Schons auf der Bühne steht und die ersten Töne von Tumbalalaike anstimmt, füllt sich der Raum mit einer ganz besonderen Wärme. Seine kratzig-vertraute Stimme, getragen von Gitarrenarrangements, verleiht den jiddischen Liedern jene Mischung aus Melancholie und Würde, die ihre wechselvolle Geschichte so eindringlich erzählt.

Der 75-jährige Musiker hat die Lieder eigens arrangiert und in der von ihm für ihre Akustik gelobten Kapelle in Schweich aufgenommen. Daraus entstand die neue CD mit dem Titel Bay mir bisdu sheyn. „Ech hunn dat Lidd scho kannt wéi ech jonk war“, erinnert er sich. Zum ersten Mal gehört habe er es in den 1960er Jahren bei Joan Baez. Natürlich ohne zu ahnen, dass sich hinter dem Song Donna Donna ein Lied mit jiddischen Wurzeln verbirgt.

Als der Komponist Viktor Fenigstein (†2022) das erste Mal in Luxemburg eintraf, soll die Landessprache bei ihm sofort eine angenehme Vertrautheit hervorgerufen haben. Als Schweizer Nachkomme einer aus Breslau vertriebenen, jüdischen Familie erinnerte ihn das Luxemburgische an Jiddisch. Tatsächlich sind beide Sprachen durch ihren gemeinsamen Ursprung im westmitteldeutschen Dialektraum sprachgeschichtlich enge „Cousins“.

Während Jahrhunderten war Jiddisch in unseren Landen heimisch, bis die Sprache sich im Zuge der Pestpogrome und Judenvertreibungen mit ihren Sprechern nach Osteuropa und Russland verlagerte, um erst wieder von dort mit Aufkommen des Nationalsozialismus in Gestalt ostjüdischer Schutzsuchender nach Westeuropa, darunter Luxemburg, zurückzukehren. Dann verließ es Europa bis auf wenige Ausnahmen wie Antwerpen und festigte sich in Amerika oder Israel, wo es vor allem in ultraorthodoxen Kreisen überlebt hat. Im fernöstlichen Birobidschan ist Jiddisch immerhin Amtssprache.

Im Luxemburgischen zeugen bis heute Worte wie schlofen/ shlofn (ןפֿאׁלָש), Dokes/ Tukhes (סעכוט) oder Schmier/ shmir (רימש) von den gemeinsamen Wurzeln. Auch wenn vor Guy Schons das so noch niemand zum Anlass genommen hat, um über die wechselvolle Geschichte der Sprache eine Brücke zu schlagen zwischen Jiddisch und Luxemburgisch. „Ech wëll mat dësem Projet mäin perséinleche Bäitrag zu engem friddleche Miteenaner leeschten“, sagt Schons.

Am 16. September feierte die Musiker-Legende im Escher Ariston mit einem „concert-conférence“ Premiere. Der Saal war ausverkauft, ebenso bei den folgenden Auftritten in Mondorf und Hosingen. 

In Esch erzählte er von jüdischen Niederlassungen an der Mosel, von der Vertreibung aus Spanien und der „Reconquista“ – bis hin zum limpieza de sangre, dem Konzept der „Blutreinheit“.

Sein Programm reicht von traditionellen Stücken wie Tumbalalaike bis zu ibero-hebräischen Liedern wie Duerme mi alma. Dieses berührende Wiegenlied über eine nicht-erwiderte Liebe erinnert an die Musik der Troubadours.

Auch Humor kommt nicht zu kurz: Wenn er Der Rebbe Elimelech singt, jenes galizische Lied, in dem der Rabbi „eng am Been“ hat und zum Spott seiner Gemeinde wird. „Soll ech nach e Schloflidd sangen?“, fragt Schons am Ende trocken ins Publikum.

„Mutig“, befand eine ältere Dame nach dem Konzert, auch wenn es dem Abend an „Lehaim“ – dem lebensbejahenden Schwung – gemangelt habe. Tatsächlich geriet der Abend mehr zur melancholischen Geschichtsstunde über Antisemitismus, getragen von den Recherchen der Historiker Renée Wagener und Daniel Thilman.

Schons führte durch Jahrhunderte: von den Pogromen im Mittelalter über die Debatten um die Emanzipation im 19. Jahrhundert, dokumentiert im Luxemburger Wort, bis zu den Flüchtlingswellen nach 1933, als jüdische Familien im Großherzogtum nur „transitoire“ geduldet wurden. 

Er erinnerte an das Schicksal von Mordechai Gebirtig, 1942 im Krakauer Ghetto erschossen, und ließ sein Arbetlose Marsh erklingen.

Auch lokale Episoden finden Platz: die antisemitischen Leserbriefe im Wort, eine zweifelhafte Tradition aus Vianden, die Brandreden gegen „frëschen Import aus de Ghettos vu Galizien“.

Ursprünglich sollte die Konzertreihe in Antwerpen beginnen, doch das Konzert wurde abgesagt.Andere Auftritte liegen aufgrund der politischen Aktualität auf Eis. Dafür freut sich Schons auf Einladungen nach Argentinien und Uruguay. Dass die jüdische Welt gerade eine der größten Herausforderungen seit der Shoah erlebt, schreckt ihn nicht.

Vielleicht ist Bay mir bisdu sheyn weniger ein Versuch, sich fremdes Leid anzueignen, sondern vielmehr ein Selbstporträt. In der musikalischen Erkundung einer Sprache, die Schons seit seiner Kindheit begleitet, liegt die eigentliche Schönheit dieses Werks.

Seine warme Stimme trägt die Geschichten. Die Gitarrenarrangements öffnen Räume, die bis auf die iberische Halbinsel führen. Zwischen Melancholie, kauzigem Humor und historischen Erzählungen entsteht ein Abend, der gleichermaßen Nachdenklichkeit wie Nähe stiftet.

Am Ende bleibt ein leiser Eindruck, dass die jiddische Musik, ähnlich wie der Jazz, nicht nur vom Leid erzählt, sondern auch von der Befreiung. „Ech hu mech laang net getraut, well een hei zu Lëtzebuerg net gewinnt ass jiddesch Lidder ze héieren. Mee d’Leit fannen et intressant, a virun allem am Ausland gëtt et vill Intressi“, sagt Schons.

So schließt sich der Kreis: von Luxemburg an die Mosel, über Israel bis nach Südamerika. Und immer wieder zurück zu jenem Lied, das wie kein anderes Brücken schlägt: „Bay mir bisdu sheyn“.

Die CD, inklusive 18-seitigem Booklet kann für 19,90 € in der Buchhandlung oder per Überweisung bei Guy Schons direkt bestellt werden

Frédéric Braun
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