Geschäfte mit Café-Zimmern

Zimmer ohne Ausblick

d'Lëtzebuerger Land du 25.02.2010

Kaum eine Minute, in der das Telefon still steht. Wer sich mit der Escher Sozialschöffin Vera Spautz zum Gespräch verabredet (LSAP), muss damit rechnen, öfters einmal von einem dringenden Klingeln unterbrochen zu werden. An der anderen Seite der Leitung sind nicht selten verzweifelte Einwohner, die sich keinen anderen Rat mehr wissen, als bei der Stadt anzurufen, weil ihre Miete plötzlich angehoben wurde, sie horrende Heizungsrechnungen nicht mehr bezahlen können und der Vermieter droht, sie hinauszuwerfen.

Die Sozialschöffin ist Unterbrechun­gen der Art gewöhnt: Fast zehn Prozent der Escher Bevölkerung bezieht das Mindesteinkommen RMG, fast jeder dritte RMG-Bezieher wohnt in Esch. Mit der Wirtschaftskrise, so zeichnet sich ab, verschlimmert sich die Situation: Kurzarbeiter-Familien machen anhaltende Lohneinbußen zu schaffen, Hauskredite können nicht mehr bezahlt werden – aber eine billigere Mietwohnung zu finden, geht auch nicht. „Die Lage auf dem Mietwohnungsmarkt spitzt sich enorm zu“, berichtet Spautz.

Schon jetzt stehen auf der Warteliste für preiswertere Gemeindewohnun­gen 45 Personen, 2009 waren es 50 am Ende des Jahres. Trotz offensichtlich übertriebener Mietforderungen wenden sich viele Betroffene dennoch nicht an die Mietkommission der Gemeinde, aus Angst bei einem offenen Konflikt ihr Dach überm Kopf ganz zu verlieren.

Dabei gibt es auch Erfolge im Kampf gegen Wohnungsnot und Mietwucher. Die Aktion „menschenwürdiges Wohnen“ läuft seit fast drei Jahren. Damals hatte die Stadt, aufgeschreckt durch Meldungen über unhaltbare Zustände insbesondere in Gastarbeiterunterkünften, sich mit allen Akteuren aus dem Bereich an einen Tisch gesetzt, um zu beraten, wie man der Misere begegnen könnte. In einer konzertierten Aktion von Fremdenpolizei, Ausländerkommission und Gemeinde wurde dubiosen Betreibern so genannter Café-Zimmer der Kampf angesagt.

Dort, wo insbesondere portugiesische männliche Arbeitnehmer notdürftig Unterschlupf finden, oft zu horren­den Mietpreisen von 400 Euro monatlich und mehr, wollte man zuerst einschreiten. Nicht selten geschieht die Vermietung unter Vortäuschen falscher Tatsachen oder Ausnutzung einer Notlage: Statt des versproche­nen Einzelzimmers finden sich die ahnungslosen Einwanderer in einem Kellergeschoss mit vier, fünf weiteren Schicksalsgenossen und ohne war­mes Wasser wieder. Weil sie keinen kennen, wissen sie auch nicht, wie sie sich wehren können.

Also wurde zunächst eine Informa-tionsbroschüre entwickelt. In drei Sprachen klärt sie über die Vorschrif­ten in punkto Gästezimmer und gebotene Mindest-Hygiene- und Wohnstandards auf. Rund 500 der Broschüren wurden verteilt, schätzt die Escher Polizei. In einem nächsten Schritt versuchten Polizei und Stadt, sich einen verlässlichen Überblick über den Bestand zu verschaffen: Wie viele Café-Zimmer gibt es in der Stadt, wo befinden sie sich und wie ist ihr Zustand? Etwas mehr als 50 Cafés mit insgesamt rund 400 angeglieder­ten Zimmern zählten die Beamten damals. „Heute dürften es nicht viel weniger sein“, sagt Patrick Majerus, „auch wenn die Bewohner oft wechseln“. Der freundliche Polizeibeamte leitet die Aktion „menschenwürdiges Wohnen“, für die sein Kommissariat 2008 den zweiten Preis für die „Meilleure initiative de proximité“ erhielt. Eigentlich ist vorgeschrieben, dass Café-Besitzer, ihre Wohnangebote bei der Stadt anmelden und sich genehmigen lassen: „Aber das geschieht so gut wie nie“, so Majerus. Nicht nur das: Auch die vorgeschriebenen zwölf Quadratzimmer Wohnfläche pro Einzelzimmer und neun Quadratmeter Wohnfläche für jede weitere Person würden oft nicht eingehalten. An einen krassen Fall, der allerdings schon einige Jahre zurückliegt, kann sich Majerus noch gut erinnern: In einem Hinterhaus wohn­ten Gastarbeiter ohne Fenster unter erbärmlichen Bedingungen.

Den ertappten Eigentümern wird in der Regel eine Schonfrist eingeräumt: Wer innerhalb einer gewissen Zeit seine Wohnung auf Vordermann bringt, kann sich diese genehmigen lassen. Bestehen weiterhin gravierende Mängel wird es nichts mit dem Geschäft mit der Zimmervermietung. Nicht alle kamen der Aufforderung in den vergangenen Jahren nach, bei einigen musste die Polizei auch Bewohner abmelden.

Auf die Mieten allerdings haben die Polizeibeamten keinen Einfluss, auch wenn die Vermieter angehalten sind, jedes Mietverhältnis inklusive der Hö­he der Mietzinses genau aufzuschreiben. „Aber auch das macht nicht jeder“, sagt Majerus achselzuckend. Dass jemand alle Vorschriften einhalte, geschehe in dem Gewerbe ohnehin „so gut wie nie“. Unklare und undurchsichtige Besitz- und Pachtverhältnisse erschwerten zudem ein effektives Eingreifen. „Oft ist der Vermieter der Wohnungen nicht direkt anzutreffen oder es gibt irgendwelche Untermietverhältnisse, die wir auf Anhieb nicht nachvollziehen können.“ Nicht immer übernimmt der Pächter eines Cafés auch die Zimmer, manchmal wird das Geschäft an andere Dritte ausgelagert.

Nicht nur die Polizei kontrolliert, auch die kommunale Bautenpolizei machten regelmäßig ihre Kontrollgänge. Jede Woche kommt eine andere Adresse dran, wo geprüft wird, ob die Bauvorschriften und Schutzbestimmungen eingehalten werden, bei Gemeindehäusern ebenso wie bei den so genannten Café-Zimmern. „Wir achten ganz besonders auf die Sicherheits- und Brandschutzbestimmungen“, sagt Luc Everling, Architekt der Escher Gemeinde und mit der baupolizeilichen Kontrolle befasst. Neben einem für alle zugänglichen Feuerlöscher auf jedem Stockwerk der Haupttreppe muss jedes vermietete Zimmer beispielsweise einen Zugang zu einem zweiten Fluchtweg haben. Viele haben das nicht: Weil die Zimmer nach hinten ausgehen oder weil er beim Bau einfach vergessen wurde, käme die Feuerwehr im Brandfall nicht an die eingeschlossenen Menschen heran. „Wir klären die Besitzer auf und geben ihnen Tipps, wie sie die Wohnungen und Zimmer artgerecht umbauen können“, erklärt Everling weiter. Manchmal reichen kleinere Änderungen und mit einem Durchbruch zu den vorne liegenden Zimmern ist auch der Weg zu einer Feuerwehrleiter wieder frei. Oft klappt die Zusammenarbeit, aber nicht immer: „Es gibt auch notorische Sünder“, weiß Luc Everling. Wer sich dauerhaft weigert, die Regeln einzuhalten, der muss mit dem Entzug der Genehmigung rechnen. Auch damit, ihr Geschäft anzumelden, tun sich die Café-Zimmer-Vermieter schwer: „Keiner, wirklich keiner hat die Zimmer von sich aus deklariert“, erinnert sich Everling.

Durch ein enges Zusammenspiel zwischen Einwohnermeldeamt und Bautenpolizei gehen mitunter andere Sünder ins Netz: „Wenn sich jemand auf einer Privatadresse anmelden will, an der keine Mietwohnung deklariert ist oder schon zu viele wohnen, können wir dem nachgehen.“ Damit die Beamten in der Meldebehörde solche Unregelmäßigkeiten erkennen, finden in regelmäßigen Abständen Schulungen statt.

„Wir haben die Café-Zimmer inzwischen einigermaßen im Griff, unsere Sorgenkinder sind immer mehr die Privatzimmer“, sagt Vera Spautz nachdenklich: Vor wenigen Wochen fanden Beamten der Bautenpolizei und der Polizei 22 Bewohner, die in dem Kellergeschoss eines Einfami-lienhauses ohne Fenster und eng zusammengepfercht wohnten. Die illegale Belegung war einem aufmerksamen Nachbarn aufgefallen und der hatte sie der Polizei gemeldet. Die ausländischen Bewohner mussten das Haus verlassen, die Stadt kümmerte sich um eine Notunterkunft, bis etwas anderes gefunden wurde. „Es trifft natürlich meistens die, die sowieso nicht sehr viel haben“, sagt Spautz.

Weil die Aktion erfolgreich läuft und die Zeitungen darüber berichteten, haben andere Gemeinden Wind davon bekommen. Der Sozialschöffe der Hauptstadt soll Interesse angemeldet haben und am 2. März soll die Problematik der „chambres à cafés“ in der parlamentarischen Wohnungskommission erörtert werden. Vielleicht gibt es dazu irgendwann einmal eine koordinierte nationale Aktion?

Ines Kurschat
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