Kraftstoff

Über den Unmut, sich mit Autofahrern anzulegen

d'Lëtzebuerger Land du 10.02.2012

Stickstoffdioxid ist ein giftiges und stechend chlorähnlich riechen-des Gas. Empfindliche Nasen orten es vor allem im Straßenverkehr. Es wirkt sich negativ auf die Lunge aus und erhöht die Empfindlichkeit gegenüber Atemwegsinfektionen. Der Europäischen Umweltagentur nach zu urteilen, sinken NO2-Belastungen seit 1990 in Europa, stagnieren jedoch seit 2002 oder nehmen nur wenig ab. Im urbanen Straßenraum und dort, wo viele Dieselfahrzeuge unterwegs sind, sind die Belastungen gar gestiegen.

So auch in Luxemburg. Hierzulande sind auch Dieselfahrzeuge äußerst beliebt. Um die 70 Prozent des PKW-Fuhrparks wird inzwischen von Diesel angetrieben. 1990 lag dieser Quotient bei 20 Prozent. Leider emittieren Dieselfahrzeuge um die zehnmal mehr Stickoxide als Benziner. Neueste Fahrzeuge stoßen gar noch mehr NOx aus da der sich kontinuierlich regenerierende Partikelfilter mit NO2-Überschuss arbeitet.

Kürzlich las man in der Presse, dass die Stickoxid-Belastungen in der Hauptstadt gesenkt werden müssen, ansonsten „deutsche“ Maßnahmen ergriffen werden müssten, wo Umweltplaketten den Zugang zur Innenstadt gewähren. In der Tat, seit 2003 werden regelmäßig und mit steigender Tendenz die Stickoxid-Grenzwerte am Boulevard Royal überschritten. Noch höher lagen 2010 die Werte im Bahnhofsviertel und an der Eicher Place Dargent (Luftqualitätsplan für den Großraum Stadt Luxemburg, Umweltministe[-]rium, 2011). Studien belegen, dass bereits eine Erhöhung von zehn Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft mehr Menschen sterben lässt. Dabei übertrifft der durchschnittliche Jahreswert im Stadtzentrum inzwischen um 20 Mikrogramm den Grenzwert von 40 μg/m3.

Der Dieselboom der letzten 20 Jahre lässt grüßen. Zu sehr hat man in Europa und ganz besonders in Luxemburg die Mobilität des Dieselautos staatlicherseits mit niedrigeren Kraftstoffakzisen gefördert. Es galt ein vermeintliches Win-win-Prinzip: Dieselkraftstoff ist billiger, Dieselfahrzeuge verbrauchen weniger (allerdings nur im Volumen, da Diesel schwerer ist als Benzin) und als Sahnehäubchen dazu lassen sich auch noch Treibhausgase einsparen, da Dieselfahrzeuge anscheinend weniger CO2 emittieren.

Leider ein Trugschluss. Zwar stößt tatsächlich unter idealen Bedingungen ein Dieselmotor leicht weniger Kohlendioxid aus als ein Ottomotor. Dieser Vorteil wird jedoch teuer erkauft durch weit höhere Stickoxidemis[-]sionen und trotz Partikelfilter nicht zu vernachlässigende Feinstaubbelastungen. Dabei wird dieser in der Praxis meist aufgezehrt durch das größere Gewicht des Dieselmotors und das Phänomen des „Rebound effect“: Preiswerter Sprit verleitet Autofahrer zu größeren Fahrzeugen und stärkeren Motorisierungen sowie höherer Kilometerleistung. So stoßen heute Dieselfahrzeuge im Schnitt europaweit mehr klimaschädliche Gase aus als andere Fahrzeuge.

Europa war und ist weltweiter Marktführer bei dieselbetriebenen Fahrzeugen. Es gibt jedoch Stimmen, die für ein Umdenken plädieren. Hat die europäische Automobilindustrie sich zu sehr auf den Dieselantrieb fokussiert und deshalb die Entwicklung hin zu Hybrid- und Elektrofahrzeugen verschlafen? Was Zukunftstechnologien angeht, so ist sie der Konkurrenz aus Fernost unterlegen. Zusätzlich hat die überaus starke Expansion des Dieselfahrzeugmarktes trotz Schrumpfung des Heizölabsatzes den Markt in Euro[-]pa für Mitteldestillat leergefegt bei gleichzeitigem Überangebot an Benzin. In dem Sinne ist auch der EU-Kommissionsvorstoß von Kommissar Semeta zu verstehen, welcher hier einen Ausgleich anstrebt und Diesel im Vergleich zu Benzin wieder „korrekt“ besteuern will.

Luxemburg verdankt seinen rekordverdächtigen Anteil der Dieselflotte vor allem dem Tanktourismus. Steuerliche Mindestsätze auf Diesel loten Lastwagen im Transitverkehr vor allem nach den Aires de Berchem oder Capellen. Doch auch der hiesigen Kundschaft wurde durch vergleichbar höhere Benzinakzisen die Lust auf Benzin-PKWs im Laufe der Jahre verdorben. Dies nahmen vor allem Finanzstrategen um Minister Luc Frieden in Kauf. Quasi als Nebenprodukt des Tanktourismus wurde der nationale Fuhrpark stark „verdieselt“.

Drei von vier luxemburgischen Autobesitzern fahren deshalb heute Diesel. Eine Kundschaft, vor der Politiker sich in Acht nehmen sollten. Umweltminister Lucien Lux hat die Wut der autobesitzenden Einwohnerschaft vor Jahren am eigenen Leibe erfahren, als er sich erdreistete, die Fahrzeugsteuern anzupassen. Deshalb ist trotz knappen Staatsfinanzen die Zurückhaltung nachzuvollziehen, welche Politiker sich auferlegen, wenn laut darüber nachgedacht wird, wie man auf sinkende Einnahmen aus der Fahrzeugsteuer reagieren könnte. Und dies vor allem gegenüber der stärksten Gruppe, den Dieselfahrern. Zwar wird bei der Autosteuer, welche vor Jahren reformiert wurde, der Abgasproblematik des Dieselmotors Rechnung getragen mit einem höheren Multiplikator „b“ (0,9 anstatt von 0,6), doch tat dies dem Dieselboom keinen Abbruch. Seit 2007 stabilisiert sich der Anteil von Dieselfahrzeugen auf hohem Niveau. Das Festhalten der Politik am Diesel offenbart sich aber am klarsten beim Widerwillen, den vom parlamentarischen Haushaltsberichterstatter Gilles Roth vorgeschlagenen jährlichen 50-Euro-Abschlag für Feinpartikelfilter abzuschaffen (d’Land vom 6. Januar 2012). Dieser unsinnige Abschlag prämiert eine End-of-pipe-Luftreinhaltungsmaßnahme, welche bereits seit der Einführung von Euro 5 vor mehr als zwei Jahren Standard ist. Dabei wäre er einfach zu beseitigen: Das Gesetz vom 29. Dezember 2006 über die Autosteuer sieht lediglich im Artikel 36 vor: „La taxe (…) peut être réduite, d’un montant maximal de 50 euros …“. Fast wäre man geneigt, den Benzinautobesitzern zu raten, auch eine Prämie für ihren Kat zu fordern.

Doch kritische Stimmen waren in der luxemburgischen Öffentlichkeit seit jeher rar. So werden hohe Stickoxidwerte und durch Partikelfilter nicht fassbarer Feinstaub wohl erst im nächsten Jahrzehnt durch die Elektromobilität abnehmen. Sicherlich nicht nur hierzulande. Fast könnte man meinen, dass die Thematik sich im direkten Umfeld Luxemburgs an Kulturgrenzen auszurichten scheint. Während in den Niederlanden eine erhebliche „Strafsteuer“ den Kauf von Diesel-PKW in Grenzen hält, der größte flämische Automobilclub die Regierung auffordert, aus Gesundheitsgründen die Steuerbevorteilung von Dieselsprit abzuschaffen, und in Deutschland die Überschreitung der Feinstaubwerte eine alljährlich widerkehrende Angelegenheit ist, erntet man in Luxemburg, Wallonien, und Frankreich bei Gesundheitsbedenken gegenüber den Dieselemissionen nur Achselzucken. Fiskal wird in beiden letzten Territorien lediglich das CO2 durch eine Bonus-Malus-Steuertabelle in Betracht gezogen. Eine von der Freien Universität Brüssel und dem flämischen Institut für technologische Forschung entwickelte Methodologie (Ecoscore), welche den Umwelteinfluss jedes Fahrzeugtyps während dessen ganzen Lebenszyklus bewertet und fiskal umsetzt, wäre dringend anzuraten. In Luxemburg bleibt dies jedoch bisweilen kein Thema.

Michel Cames
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