Ukraine

Zeichen und Worte

d'Lëtzebuerger Land vom 18.04.2014

Die Europäische Union hat in der Ukraine-Krise auf Symbolkraft geschaltet. Es zählen Zeichen und Worte. Sie gibt sich vollmundig in der Ankündigung von Sanktionen gegen Russland, auf dass es die Aggressionen im Osten der Ukraine unterlassen solle. Dabei kehrt Brüssel die Agitationen der Vereinigten Staaten unter den Teppich – neben den eigenen. Wieder einmal zeigt sich die EU hilflos, kopflos und macht das, was sie am Besten kann: Gelder ankündigen und verteilen. Die verhängten Sanktionen jedenfalls verpuffen wirkungslos, auch wenn der Spitzenkandidat der Europäische Volkspartei, Jean-Claude Juncker, etwas anderes behauptet.

Erst vor drei Wochen hatten die EU beschlossen, Konten und Vermögenswerte von mittlerweile 33 Personen aus Russland und der Ukraine zu sperren, die für die Eskalation auf der Krim verantwortlich gemacht werden. Darunter sind Politiker auf der Krim, Abgeordnete der russischen Staatsduma sowie hochrangige Offiziere des russischen Militärs. Auf der Liste stehen der stellvertretende Regierungschef Dmitri Rogosin, die beiden Putin-Berater Wladislaw Surkow und Sergej Glasjew sowie Walentina Matwijenko, Vorsitzende des russischen Föderationsrats. Neben der Sperrung ihrer Konten dürfen die sanktionierten Personen auch nicht in die EU einreisen.

Die deutsche Bundesbank wollte genau wissen, welche Auswirkungen diese Sanktionen in Deutschland haben und fragte Banken und Sparkassen ab. Die Antwort: In Deutschland wurde kein einziges Konto gesperrt, was wohl vor allen Dingen daran liege, so das Bundeswirtschafsministerium in einer Auskunft, dass die gelisteten Menschen in Deutschland keine Konten besäßen. Doch auch in anderen EU-Staaten ist das Ergebnis eher mau. Selbst in Lettland, ein Land mit großer russischer Minderheit, wurde nur ein einziges Konto mit einem sechsstelligen Euro-Betrag eingefroren. In Brüssel weiß man sehr wohl um dieses Manko. Die bisherigen Sanktionen seien „zahnlos“, zitiert der Berliner Tagesspiegel einen EU-Diplomaten. Sie sollten aber zeigen, dass die EU das Vorgehen Moskaus nicht nur in Erklärungen verurteile, sondern auch zum Handeln bereit sei.

Vor Handlungen aber scheut man sich. Viele Mitgliedsstaaten fürchten eine weitere Eskalationsstufe in den Sanktionen, denn diese könnten durchaus Folgen für die eigene, nationale Wirtschaft haben. Die Briten haben Angst um ihren Finanzplatz London, wo zahlreiche russische Oligarchen investieren. Die exportorientierte deutsche Wirtschaft fürchtet jedwedes Handelsembargo. So muss Brüssel wieder einmal zwischen nationalen Ängsten und unionsweiter Stärke abwägen. Dabei hat die EU das Mittel gezielter Finanzsanktionen, die nicht ganze Wirtschaftszweige treffen, sondern weitere Einzelpersonen betreffen, noch gar nicht ganz ausgereizt. Denn diejenigen Mitglieder der russischen Elite, von denen bekannt ist, dass sie ihr Vermögen im Ausland deponiert haben oder deren Familienangehörigen in der EU leben, wurden bisher nicht mit Sanktionen belegt. Ganz im Gegensatz zu Washington, das auch gegen russische Oligarchen Strafen verhängte.

Doch Europa ist nicht Nordamerika. Im Gegensatz zu den USA hat die EU Außengrenzen mit Russland und auch Mitgliedstaaten mit einer großen russischen Minderheit – vor allem in den drei baltischen Ländern Estland, Lettland und Litauen. Hier schaut man mit Sorge auf den russischen Griff nach der Ukraine und dem Einknicken Kiews, Referenden über die nationale Zugehörigkeit durchzuführen. Im Baltikum ist die Sorge groß, dass die jeweilige russische Minderheit auch eine solche Abstimmung fordern könnte. Die Frage, wie mit diesem umzugehen ist, hat man bereits im Kosovo-Konflikt mit Serbien beantwortet. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker hat den Vorrang vor der nationalen Integrität von Staaten. An diesem Standpunkt muss sich die EU nun auch im Ukraine-Konflikt messen lassen. Was sie den einen verspricht, darf sie anderen nicht verwehren.

Es ist schwer, verlässliche Aussagen über die Situation im Osten der Ukraine zu bekommen. Westliche Medien bedienen zu gerne das Bild des aggressiven, militaristischen Russen, der nun die Spaltung der Ukraine vorantreibt, auf dass eine Spirale der Gewalt entstehe – mit klar verteilten Rollen. Die guten Europaliebenden vom Majdan-Platz gegen die bösen, von Moskau gelenkten Revanchisten. Russland beruft sich auf Ausschreitungen gegen Russischstämmige. Die Vereinten Nationen legten Ende vergangener Woche einen Bericht zur Situation in Charkiv und Donetzk vor. Darin heißt es, es habe im Osten des Landes zwar vereinzelt Übergriffe auf Angehörige der russischen Minderheit gegeben, aber keine systematischen Attacken. Allerdings hätten Russen dort tatsächlich Angst, dass die Regierung in Kiew ihre Interessen nicht vertrete. Die UN-Experten ermahnten die Ukraine, die Rechte der russischen Minderheit zu respektieren. Der Bericht fordert jedoch nicht von den Russen in der Ostukraine, sich an das geltende Gesetz zu halten und mit friedlichen Mitteln die Krise zu überwinden.

Eine Strategie für den Osten des Kontinents hat sich Brüssel nicht angeeignet. Es wirkt, als stünde die Union erstaunt und verdattert am Gartenzaun und schaue hinüber zum Nachbarn, wo Zeter und Mordio herrsche. Man winkt gerne mit Geld und allerlei Heilsversprechen, hat aber kaum im Auge, welche institutionellen Veränderungen und Brüche in der Ukraine notwendig sind, um das von Korruption und Misswirtschaft gebeutelte Land unabhängig und selbstständig werden zu lassen.

Martin Theobald
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