Schuld und Unschuld

Unforced errors

d'Lëtzebuerger Land vom 29.03.2013

Jeder Tennisspieler kennt sie: Fehler, die man selbst verschuldet, Bälle, die ins Aus gehen, ohne dass dies auf besonderen Druck oder aufgrund genialer Schläge des Gegners passiert. „Unforced errors“ halten verstärkt Einzug in die Politik, nicht zuletzt seit dem Beginn der Finanz-Banken-Euro-Wirtschafts-Staatsverschuldungskrise (suchen Sie sich etwas aus!). Was in und mit Zypern passiert, ist ein gutes Beispiel dafür. Ja, Zypern ist klein. Ja, Zypern ist ein Steuerparadies, siehe die businessfreundliche Unternehmenspolitik mit einer zehnprozentigen Körperschaftssteuer, siehe auch das durch-die-Finger-schauende Bankgeheimnis. Ja, Zyperns Wirtschaft ist einseitig ausgerichtet, mit einem aufgeblähten Bankensektor und einer Gesamtbilanzsumme, die mehr als 700 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Übergewichtsprobleme dieser Art kennen allerdings noch andere Staaten: Im beschaulichen Luxemburg übersteigt die kumulierte Bilanzsumme sämtlicher ansässiger Banken die Wirtschaftskraft um über 1 700 Prozent.

Um es kurz zu machen: Ja, Zyperns Misere ist zum Teil hausgemacht. Aber nur zum Teil und schon gar nicht von allen Zyprern. Das EU-Land auf einen russischen Schwarzgeldhafen, eine Club-Med-Filiale oder einen Schmarotzerstaat zu reduzieren, ist zu einfach, zu klischeehaft und zynisch. Die Zypernkrise steht auch für die taktisch zögerlichen, wirtschaftlich zu hinterfragenden, politisch stümperhaften und moralisch fragwürdigen Rettungsversuche seitens der EU-Politik und der ihr zur Verfügung stehenden Instrumente.

Stichwort „unforced errors“. Es stechen gleich mehrere ins Auge. Die Liquiditätsprobleme Zyperns stammen ja nicht von gestern oder vorgestern. Als der griechische Schuldenschnitt anstand, waren wir alle zu sehr mit uns selbst beschäftigt, um zu bemerken, dass dieser Schritt den zyprischen Banken überdurchschnittlich stark zusetzte. Schließlich wurde bereits im Juni 2012 ein unmissverständlicher „S.O.S.“-Funkspruch nach Brüssel geschickt. Man hätte sich eindeutig früher und wohl auch intensiver mit der finanziell prekären

Lage der Mittelmeerinsel beschäftigen müssen. Als sich die Lage dann plötzlich dramatisch zuspitzte und sich die Frage einer Zwangssteuer auf sämtlichen Bankkontoguthaben stellte, hätten unsere EU-Politiker – die Zyprer inklusive – mehr Rückgrat und Prinzipientreue zeigen müssen. Der überstürzt angekündigte und dann kläglich im Parlament gescheiterte Deal „6,75 Prozent auf Sparkonten bis 100 000 Euro und 9,9 Prozent darüber hinaus“ war von Anfang an ein No-Deal.

Es wurde viel Porzellan zerschlagen, nicht nur auf Zypern. Kapital ist ein scheues Reh und Vertrauen ist ein hohes Gut. Wir erinnern uns an den Merkelschen Grundsatz: „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind.“ Zu ihrer Verteidigung ist zu sagen (das macht die Sache allerdings nicht besser), dass sie wahrscheinlich nur an die deutschen Sparer dachte. Apropos staatlich garantierte Einlagensicherung: Sie gilt wenn, eine Bank Schiffbruch erleidet, aber springt sie auch ein, wenn ein ganzes Land Konkurs anmelden muss? Staaten retten Banken – sind Banken auch bereit, Staaten zu retten? Die Sorge um Zypern ist nach wie vor berechtigt, die Sorge um Europa als Ganzes aber auch. Bei der krisengeschüttelten Insel ging es um 5,8 Milliarden Euro Eigenbeitrag, ganze 13,5 Prozent des luxemburgischen Bruttoinlandsprodukts. Diese Summe war es nicht wert, die Glaubwürdigkeit der EU zu opfern, nationale Egoismen hin oder her.

Claude Gengler
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