Die Ursachen für den Pflegeheimstreik vor anderthalb Jahren sind noch immer nicht aus der Welt. Diesen Monat soll ein Durchbruch erzielt werden – wird gehofft, damit kein politisches Problem droht

Ehe die Heimpreise steigen

d'Lëtzebuerger Land du 03.01.2020

Mitte Juni 2018 glückte der Regierung ein Husarenstück: Vier Wochen vor Sommerferienbeginn und vier Monate vor dem nächsten Kammerwahl-Termin schmiedete sie einen Deal, der nicht nur den ersten unbefristeten Pflegeheimstreik in der Geschichte des Landes beenden half. Die Lösung, die damals gefunden wurde, sah auch elegant aus und so simpel, dass für ihre Durchsetzung keine Gesetzesänderung nötig schien. Stattdessen sollte einfach mehr Geld aus der Pflegekasse fließen können. Hatte LSAP-Sozialminister Romain Schneider nicht schon Ende 2017 gesagt, „das Geld ist da“? Er hatte.

Doch anderthalb Jahre später steht die elegante Lösung nach wie vor bloß auf dem Papier des Abkommens, das die Regierung mit Premier Xavier Bettel (DP) an der Spitze am Samstagmorgen des 16. Juni 2018 mit dem Verband der Pflegebetriebe (Copas) abgeschlossen hatte. Das ist auch deshalb unerfreulich, weil die betroffenen Pflegeheime, falls nicht bald etwas geschieht, ihre Preise anheben könnten. So etwas sorgt immer für Unmut im Land. Diesmal aber wäre es das Resultat von Politikversagen der Regierung und könnte auf sie zurückschlagen. Weshalb gehofft wird, dass die Copas und die CNS, die die Pflegekasse verwaltet, diesen Monat zu einem Durchbruch gelangen. Sicher ist das allerdings nicht.

Bei dem Streik war es um Geld gegangen, um ein schon zwanzig Jahre altes Problem und um eine Imagefrage für den OGBL. 700 der 7 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Alten- und Pflegeheimen wurden dort nicht nach den Bedingungen des für den Sektor allgemeingültigen Kollektivvertrags für das Sozial- und Pflegewesen (SAS) eingestellt, sondern nach denen des Krankenhaus-Kollektivvertrags. In Pflegeheimen ist das so, denn die zählten bis zur Einführung der Pflegeversicherung 1999 zu den Gesundheitseinrichtungen und waren Mitglied im Krankenhausverband. Wie der Krankenhaus-Kollektivvertrag ist auch der SAS-Vertrag parastaatlich angelegt und vollzieht Gehälterabschlüsse nach, die für den öffentlichen Dienst getroffen werden. Doch der Krankenhaus-Vertrag war immer besser als sein SAS-Pendant. Er schreibt die 38-Stunden- anstelle der 40-Stunden-Woche fest, bot schon vor Jahren 15 Prozent mehr Gehalt, mehr Urlaubsgeld und mehr bezahlte Pausen.

Solange Kollektivvertrags-Verhandlungen lediglich Gehälterabschlüsse nachholten, die Regierung und CGFP für den öffentlichen Dienst ausgehandelt hatten, und nur manchmal etwas weiter gingen, fielen die Unterschiede zwischen Krankenhaus- und SAS-Personal nicht übermäßig ins Gewicht. 2015 aber traten umfangreiche Änderungen am Staatsbeamtenstatut in Kraft, die noch die letzte CSV-LSAP-Koa-
lition vorbereitet hatte. Inklusive waren Laufbahnaufbesserungen für Sozial- und Pflegeberufler, die Mitte 2017 in einen neuen Krankenhaus- und einen neuen SAS-Kollektivvertrag übernommen wurden. Doch schon im Spätherbst 2017 erklärten die fünf Pflegeheimbetreiber mit Krankenhaus-Personal, die Laufbahnaufbesserungen unter den Krankenhaus-Bedingungen seien nicht zu bezahlen, es sei denn, man erhöhte die Heimpreise. Zwei von ihnen – Servior und die Stater Zivilhospize – lenkten schließlich ein. Servior, weil es ihm als Großbetrieb leichter fällt, höhere Personalkosten zu tragen. Die Zivilhospize einigten sich mit dem Schöffenrat der Hauptstadt, dass notfalls die Gemeindekasse Defizite trage.

Der OGBL nahm das als Bestätigung, dass seine Drohung, „coûte que coûte“ für die verbesserten Laufbahnen zu kämpfen, wirkte. Drei Jahrzehnte lang hatte er sich für die Karrierenaufwertung eingesetzt. Sein Syndikat Gesundheits- und Sozialwesen ist nicht nur besonders kampferprobt, sondern Ziehkind von André Roeltgen, bis vor vier Wochen OGBL-Präsident. Im Gesundheits- und Pflegesektor schneidet der OGBL bei Sozialwahlen besonders gut ab. So dass die Gewerkschaft schwerlich anders konnte, als Urabstimmungen zum Streik einzuleiten, nachdem sich im Frühjahr 2018 die drei Heimbetreiber Sodexo, Zithasenior und die Bartringer Stiftung Parcs du troisième âge weiter weigerten, die Laufbahnen nach Krankenhaus-Bedingungen zu gewähren. Als nach elf Tagen Streik am 16. Juni 2018 alle drei Betriebe zusagten, Personal mit Krankenhaus-Statut komme bis zur Pensionierung in den Genuss des besseren Kollektivvertrags, mit allen Vergünstigungen, sah das so aus, als habe Streikführerin Nora Back bekommen, was sie wollte. Backs sehr gutes persönliches Abschneiden bei den Sozialwahlen im März 2019 und ihr spektakulärer Aufstieg zur Präsidentin der Arbeitnehmerkammer und zur Nachfolgerin
Roeltgens an der OGBL-Spitze erklärt sich nicht zuletzt aus dem Pflegeheimstreik und wie er ausging.

Die Frage, woher das Geld kommen soll, um den rund 700 Pflegeheim-Mitarbeitern ihr besseres Statut zu bezahlen, ist allerdings weiterhin offen. Der 2017 neu verhandelte Krankenhaus-Kollektivvertrag ist nicht nur noch ein Stück besser geworden als der SAS-Vertrag – die Gehaltsunterschiede nahmen von 15 Prozent auf 17 Prozent zu. Verschieden in beiden Verträgen ist auch der Weg, die Laufbahnaufwertungen zu gewähren. Nora Back, die für beide Verträge die Verhandlungen führte, hatte darauf gedrängt, dass Verbesserungen sich auch für ältere und in ihren Karrieren schon weiter fortgeschrittene Mitarbeiter „gleich“ bemerkbar machen müssten. Festgehalten wurden deshalb für Krankenhaus-Personal rückwirkende Prämien, für das unter dem SAS-Vertrag dagegen vergleichsweise mehr Geld in der Zukunft. Ein Pflegeheim mit Krankenhaus-Personal müsste dieses demnach nicht nur höher bezahlen, sondern auch Prämiengelder bereitstellen.

Wie das gehen soll, nicht nur für die rund 350 Mitarbeiter in den vergangenes Jahr bestreikten Betrieben, sondern für alle 700 mit Krankenhaus-Statut, ist keine kleine Frage, denn es verträgt sich schwer mit der Pflegeversicherung. Die ist die mit einem Anteil von zwei Dritteln die wichtigste Einnahmequelle der Alten- und Pflegeheime, ein weiteres Drittel liefern die Heimpreise. Die CNS wies vor fünf Jahren in einer aufwändigen Studie nach, dass über alle Häuser betrachtet, die Heimpreise nicht kostendeckend sind, obwohl ihre Höhe immer wieder für Aufregung sorgt. Vor Defiziten rettet die Heime am Ende das Geld aus der Pflegekasse für Pflegeleistungen.

So dass der Streik vor anderthalb Jahren vielleicht auch einer gegen ein „Pflege-Patronat“ war, wie der OGBL behauptete, auf jeden Fall aber einer gegen die Regierung – wenngleich André Roeltgen das damals bestritt. Es ging um öffentliche Gelder. Für die Regierung war es eine hübsche Lösung, kurz vor den Wahlen nicht etwa zu erklären, dass an Heimpreiserhöhungen wohl kein Weg vorbeiführe, sondern mehr Geld aus der Pflegeversicherung in Aussicht zu stellen. Mit der Besonderheit, dass die Regierung sich dabei nicht einmischen wollte. Premier Bettel hatte noch einen Tag vor der Unterzeichnung des Abkommens mit der Copas im Anschluss an die Regierungsratssitzung erklärt, eine Gesetzesänderung sei nötig. Am Tag danach war davon keine Rede mehr, vielmehr sollten Copas und CNS nun unter sich einen Weg finden, der Betrieben mit höheren Personalkosten diese aus der Pflegekasse kompensiert.

Doch das ist leichter gesagt, als getan. Denn eines der fundamentalen Prinzipien der Pflegeversicherung lautet, dass die Pflege sich allein über Preise finanzieren soll, die pro Pflegeakt jeweils dieselben sind. Jahresbudgets, wie Krankenhäuser sie mit der CNS aushandeln, gibt es für Alten- und Pflegeheime nicht. Kommt ein Pflegebetrieb mit den Einnahmen aus den Preisen nicht aus, muss er Konsequenzen ziehen, so lautet die durchaus marktwirtschaftliche Logik. Wer sie ändern wollte, müsste etwas grundsätzlich an der Pflegeversicherung ändern. Das erfuhr LSAP-Sozialminister Mars Di Bartolomeo seinerzeit: Weil die Probleme mit den Statuten ja nicht neu sind, wollte er drei Kategorien Pflegetarife für die Heime einführen: eine für Heime nur mit SAS-Personal, eine für Häuser mit SAS- und Krankenhaus-Personal und eine dritte für Servior, weil dort auch Staatsbeamte Dienst tun. Di Bartolomeos Juristen rieten davon ab: Damit entstünden Ungleichheiten vor dem Gesetz.

An diesen Punkt gerieten CNS und Copas im vergangenen Jahr in den Diskussionen um einen Finanzausgleich erneut. Nun liegt die Idee auf dem Tisch, dass die CNS vielleicht im Nachhinein extra Zuwendungen aus der Pflegekasse an Pflegeheime mit Krankenhaus-Personal zahlen könnte. Fragt sich nur, auf welcher Grundlage. Die Juristen der CNS sind dem Vernehmen nach der Meinung, das gehe nicht; die Kasse würde damit selber zum Dienstleister, das ginge konträr zur Sozialversicherung.

Sicher ist es daher nicht, dass in den nächsten Wochen ein Durchbruch gelingt. Klappt das nicht, wären Heimpreissteigerungen nicht nur absehbar, sondern programmiert. Nur zwei Jahre, so steht es im Abkommen vom Juni 2018, sollen die betreffenden Betriebe auf Preiserhöhungen verzichten – in Erwartung einer Lösung, die es noch nicht gibt. Copas-Präsident Marc Fischbach hatte im März 2019 gewarnt, liege bis September keine vor, drohten Betrieben mit Krankenhaus-Personal finanzielle Probleme. Vier Monate nach dem September will keiner der vom Land kontaktierten Betriebe von Problemen sprechen; zu delikat ist die Lage im Moment. Feststehen aber zwei Dinge: Die Regierung hätte die Konflikte kommen sehen und 2017 bei den Kollektivvertrags-Verhandlungen – Tarifautonomie hin oder her – darauf hinweisen können, die Unterschiede zwischen beiden Verträgen nicht noch größer zu machen und sie am besten abzubauen. Dass das unterblieb, ist ein Versagen des Sozialministers. Und als feierlich das Samstags-Abkommen unterzeichnet wurde, war der Regierung sehr wahrscheinlich klar, dass CNS und Copas überfordert wären, eine Lösung zu finden – wo Mars Di Bartolomeo und seinen Beamten doch 2012 schon keine einfiel. Vier Monate vor Wahlen aber schiebt man Probleme halt gerne anderen zu.

Peter Feist
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