Museen im Netz

Nur die Wärter fehlen

d'Lëtzebuerger Land vom 15.05.2015

Das Meer rauscht, ab und zu ist ein Vogelschrei zu hören. Wer einen kurzen Abstecher in das Muva, das größte Museum Uruguays machen möchte, muss nicht auf sinnliches Naturerlebnis verzichten. In reinster Idylle erwartet den Besucher ein schicker grauer Rundbau am Meer, auf der anderen Seite ist hinter Bäumen die Skyline von Montevideo erkennbar, Menschen flanieren, streben auf den Kunsttempel zu.

Aber sie kommen nicht weiter. Die junge Frau in Ballerinas und rotem Top, der Anzugträger, die Dame in weißer Bluse – sie verharren in der Bewegung. Über der Eingangstür kreist ein Pfeil, zum Eintritt genügt ein Klick, das Museum ist ein rein Virtuelles: der Bau, der Informationsstand in der Eingangshalle, die Präsentationen, die Besucher – alles nur digital. Allein die Kunst ist echt. Aufwühlend farbig-mythische Gemälde von Lacy Duarte, archaisch und spartanisch wirkende Skulpturen von Francisco Matto, flächige Landschaften von Petrona Viera.

Arbeiten wichtiger Künstler Uruguays, die unbeachtet im Irgendwo lagerten, hätte sich Alicia Haber nicht in den Kopf gesetzt, sie allen bürokratischen Widerständen zum Trotz für jedermann sichtbar zu machen. Die in Montevideo geborene Kunsthistorikerin, Kritikerin und Kuratorin, die auch an der Hochschule lehrt, wollte sich nicht damit abfinden, dass es in dem südamerikanischen Staat aufgrund finanzieller Probleme und zu geringem Interesse der staatlichen Institutionen nicht möglich sein sollte, die vielfältige und lebendige visuelle Kulturszene adäquat zu präsentieren.

„Viele Beschränkungen lösen sich im Cyberspace auf“: In dieser Überzeugung schuf die Netz-Pionierin mit ihrem Team 1996 das Muva als erstes Museum weltweit, das ausschließlich virtuell existiert und keine physische Entsprechung hat. „Die Idee war, das Netz als Ausstellungsmedium zu nutzen, das ein tatsächliches Museumserlebnis schafft und so weit wie möglich das Gefühl imitiert, sich in einem wirklichen Gebäude zu bewegen“, beschreibt Haber ihre Intention. Daher waren an der Gestaltung nicht nur IT-Spezialisten, Grafiker und Kuratoren beteiligt, sondern auch reale Architekten.

Die Besucher können sich am „Infostand“ über die Ausstellung informieren, von Raum zu Raum schlendern, Bilder oder Objekte vergrößern und ihre eigene Galerie der Lieblingsstücke zusammenstellen. Dazu gibt es per Mausklick Informationen über die Künstler. Dazwischen öffnen sich immer wieder Blicke aufs Meer oder die Stadt, und irgendwo im Foyer, in den Räumen oder auf den Treppen begegnet man dann den virtuellen Besucher vom Vorplatz wieder. Nur Wärter sind weit und breit nicht zu sehen. Aber einen Buchladen gibt es, allerdings wirkt die Buchhändlerin ziemlich mit sich selbst beschäftigt, und Bücher anschauen oder auch nur Titel zu erkennen, ist wohl eine Herausforderung für eine spätere Version.

Das Ziel war für Cyber-Museumsgründerin Haber ein doppeltes: einerseits der Kunstszene ihres Landes größere Präsenz zu geben und einen zentralen Ort zu schaffen, wo die Arbeiten permanent und für jeden zugänglich sichtbar sein sollten. Andererseits aber die Kunst zu „dezentralisieren“ und die heimische Szene an die internationale Kunstwelt anzudocken. Der südamerikanische Vorreiter in Sachen virtueller Museumswelt wurde unter anderem von der Avicom, dem für Audiovisuelles und Neue Technologien zuständigen Komitee des International Council of Museums ausgezeichnet.

Den Anspruch, das weltweit erste virtuelle Museum zu sein, erhebt auch das „Musée virtuel des Arts et Traditions du Gabon“, das allerdings erst 2006 online ging. Für den Rundgang muss man sich Zeit nehmen, nach einem malerischen Intro durch den Regenwald wird der Besucher von einer freundlichen Fremdenführerin durch die Abteilungen Alltagsleben, Ahnenkult, Riten und Archäologie geführt. Besucher sollten dabei des Französischen mächtig sein und sich nicht verschaukelt fühlen, wenn sie sich zunehmend fühlen wie in einem Video der staatlichen Tourismusagentur.

Einen wissenschaftlich differenzierteren Ansatz verfolgt das Museum islamischer Kunst: Auch diese Sammlung existiert rein virtuell, speist sich aber aus Objekten realer Museen. Die Kunsthistorikerin Ebba Koch, Professorin für asiatische und islamische Kunst am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien, hat 2005 die virtuelle Sammlung als langfristiges Projekt mit Studenten gestartet. Ziel ist, aus den Sammlungen renommierter Häusern wie dem Wien Museum, dem Kunsthistorischen Museum oder dem Diözesanmuseum jene Objekte ausfindig zu machen, die aus dem islamischen Kulturraum stammen, und unter neuem Blickwinkel zusammenzuführen: Wenn es schon kein eigenes Haus für islamische Spuren in Österreichs Geschichte gibt, dann will man diese Verbindungen wenigstens im virtuellen Raum erkunden und würdigen.

So finden sich in der Österreichischen Nationalbibliothek bedeutende Werke islamischer Buchkunst: zwei kostbare, mit reichen Ornamenten ausgestaltete Koranfragmente aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im Kunsthistorischen Museum stießen die Studenten auf den Krönungsmantel König Roger II. von Sizilien (1130-1154), der in den königlichen Hofwerkstätten von Palermo von muslimischen Stickern gefertigt wurde. Die reichen Verzierungen des Kleidungsstücks mit Motiven der koptisch-arabischen Textilkunst und gestickte Kalligrafien belegen die Integration islamischer Aspekte in die christliche Hofkultur.

http://muva.elpais.com.uy http://www.gabonart.com/visites-virtuelles/musee-virtuel-des-arts-et-traditionshttp://www.museumislamischerkunst.net/
Irmgard Rieger
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