Museen und die Digitalisierung

Die Aura der Exponate

d'Lëtzebuerger Land vom 15.05.2015

„Entdecken Sie Ausstellungen und Sammlungen von Museen und Archiven aus der ganzen Welt für sich. Erkunden Sie Kunstschätze bis ins kleinste Detail – von kaum bekannten Kostbarkeiten bis zu großen Meisterwerken.“ Derart vollmundig wirbt das Google Cultural Institute für seine Dienste als das größte, schönste, anthroposophischste Museum von Welt. Doch es ist ein Schmücken mit fremden Federn, oder ein Internetportal, das als lose Linksammlung zu virtuellen Museumsbesuchen und Kunstbegutachtungen in aller Welt einlädt. Das Portal kommt ein wenig unstrukturiert des Weges, wie ein Kaugummiautomat, aus dem Verheißungen zu Kunst und Kultur, Wissenschaft und Historie kullern. Wenn man denn zehn Cent einwirft und den richtigen Link erwischt. Das Cultural Institute von Google verschmilzt Schauen und Ausstellungen zu Kunst, Geschichte, Wissenschaft in einem beliebigen Potpourri. Es scheint, als würde sich der Internetkonzern das zunutze machen, was derzeit ein Muss in der internationalen Museumsszene ist: die Digitalisierung – und damit die Zurschaustellung im weltweiten Netz.

Das Saarland ist bei Google vertreten mit einer Multimedia-Anwendung zu seiner Geschichte, daneben finden sich viele bunte Bilder zu den Auslandsreisen des US-amerikanischen Präsidentenpaars Roosevelt in den Jahren 1942 und 1943; irgendwo muss auch das Deutsche Museum aus München sein. Es ist in der Rubrik „Historische Momente“ eingeordnet und zeigt 315 seiner 28 000 Objekte digital und umsonst – in Münchner Museumsbau muss der Besucher elf Euro zahlen. Google stelle nur den virtuellen Raum zur Verfügung, fasst Wolfgang Heckl, Generaldirektor des Museums, in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Kooperation zusammen: „Das Google Cultural Institute ist lediglich der Provider, also selbst eine Art Ausstellungsraum. Das Material produzieren wir selbst. Die Texte schreiben wir, die Fotos werden auch vom Museum gemacht. Und die Rechte an Texten und Bildern verbleiben beim Deutschen Museum.“ Doch genau hier liegt die große Fußnote des Google Cultural Institutes. Auf einen einfachen Mausklick lassen sich Fotos und Texte in den sozialen Netzwerken teilen und die Frage der Rechte ist dann nur noch eine rhetorische, denn teilt man beispielsweise eine Abbildung eines Kunstwerks bei Facebook, räumt sich dieses die Rechte an dem Bild selbst ein. Per eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Was allerdings Kunstmuseen nicht davon abhält, sich rege an dem Kulturportal von Google zu beteiligen.

„Die deutschen Google-Vertreter sind auf uns zugekommen und haben gefragt, ob wir nicht Interesse an einer Kooperation hätten“, beschreibt Heckl den Beginn der Zusammenarbeit. Das mag für große, renommierte Ausstellungshäuser der Weg sein, für kleine und mittelgroße Unternehmen eher die Ausnahme. Sie gehen in der unübersichtlichen, verworrenen Darstellung des Internetkulturinstituts unter, wenn sie es nicht auf die Startseite dessen schaffen.

Das Stadtgeschichtliche Museum in Leipzig ist ein solches mittelgroßes, regionales Museum. Es gilt als ein Leuchtturmprojekt für Digitalisierung in der deutschen Museumslandschaft. Martina Krug, Sprecherin der Fachgruppe „Digitalisierung“ im Deutschen Museumsbund und Leiterin des Städtischen Museums Hannmünden, erläutert gegenüber d’Land: „Die Leipziger haben eine beinah einzigartige Objektdatenbank mit etwa 300 000 publizierten Einträgen, die im Internet öffentlich und frei zugänglich ist.“ Das sind Fotos, genaue Beschreibungen und Fakten zu den Objekten. Nicht so schick wie bei Google, aber inhaltsvoller.

Die Museumsleiterin sieht die Vorteile der Digitalisierung nicht nur bei den virtuellen Besucherinnen und Besuchern, sondern vor allem bei Forschern und Wissenschaftlern. „Es geht um die Verknüpfung von Wissen“, sagt Krug. Manch ein Exponat, das im Depot eines Museums verharre, könne das fehlende Mosaikstein für einen Wissenschaftler mit einem Spezialthema sein. „Die Verknüpfung mit Einträgen einer Online-Enzyklopädie, die Verlinkung zu ergänzenden Exponaten in anderen Museen, alles das sind der Sinn und Zweck der Digitalisierung“, führt Krug aus. Schließlich sei es Museen in der Regel nur möglich, nur rund fünf Prozent ihres Bestandes öffentlich zu präsentieren, der Rest schlummere im Depot. Diesen Schatz gelte es zu heben und zu präsentieren, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das sei auch Sinn und Zweck der Digitalisierung.

Doch diese ist vor allen Dingen eine Kostenfrage: Pro Objekt kalkuliert die Museumsleiterin einen Zeitbedarf von durchschnittlich einer halben Stunde. Denn es gehe nicht darum, das Objekt mal eben zu fotografieren und die vorhandenen Daten in elektronische Eingabemasken zu kopieren, sondern in erster Linie sei die Digitalisierung auch ein gegebener Anlass die vorliegenden Daten zu überprüfen und zu validieren. Hier genau liege die Krux der Digitalisierung: Alle wollen sie, große Projekte werden angestoßen, aber die Kosten der digitalen Archivierung verbleiben bei den chronisch finanzknappen Museen – auch in Zeiten ständig versiegender öffentlicher Geldquellen.

Die Gretchenfrage aber ist und bleibt: Macht die Digitalisierung einen Museumsbesuch überflüssig? „Nein, überhaupt nicht“, sagt Heckl. Die Erfahrungen etwa mit dem eigenen Online-Auftritt zeigten vielmehr, dass Besucher sich dadurch viel eher eingeladen fühlten, das Museum zu besuchen. „Je virtueller die Welt wird, in der wir leben“, antwortet Martina Krug, „desto größer ist das Interesse an haptischen Objekten mit ihrer eigenen Aura.“ Und diese gebe es nun einmal ausschließlich vor Ort im Museum. Und nicht bei Google.

Martin Theobald
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