Ästhetisch eindrucksvoll entführt Black Air im Casino einen in kosmische Welten. In der immersiven Ausstellung folgen Künstler/innen auf unterschiedliche Weise den Spuren schwarzer Luft

Schwarze Löcher, kosmische Welten

d'Lëtzebuerger Land du 22.11.2024

Schon der Titel der Ausstellung, Black Air, löst eine Fülle an Assoziationen aus. Klar, Luft ist unsichtbar. Sie hat keine Form, ist reine Energie ... Aber was ist schwarze Luft?

Die Kuratorin der Ausstellung, Amelia LiCavoli, legt einen breiten Interpretationsspielraum zu Grunde. Für sie ist die „schwarze Luft“ ein Raum, in dem alles möglich ist. Denn die Luft ist frei. Sie bewegt sich in alle Richtungen, fließt unmerklich, interagiert mit Licht und Schwerkraft und setzt sich über Grenzen hinweg. Sie ist das Geheimnis, aus dem die gesamte Schöpfung hervorgeht. Flexibel und porös zirkuliert sie überall und gleichzeitig. „Dass wir etwas nicht sehen, heißt nicht, dass es nicht da ist“, so LiCavoli, die den Entwürfen der schwarzen Luft Raum geben wollte, um sich zu entfalten.

Titelgebend für Black Air ist die gleichnamige elektromediale Installation von Aldo Tambellini und Otto Piene aus dem Jahr 1968, in der Videoelemente, Lichtprojektionen und Pneumatik zum Einsatz kommen und die zu diesem Anlass im Museum nachgebaut wurde. Daneben geben Werke von Ibrahim R. Ineke, Semiconductor, Ayako Kato, Max Kuiper, Lisa Slodki und Hans de Wit der schwarzen Luft im Casino ihre eigenen Formen.

Eine Installation mit Zeichnungen von Hans de Wit und einem Gemälde von Ibrahim R. Ineke bilden den Auftakt. Letzterer entwirft eine symbolische Kosmologie (nicht-)menschlicher Interaktionen mit schwarzer Luft. Hans de Wits Radiation, gemalt mit verschiedenen Farbpigmenten und schwarzem Toner, zeigt einen Ausbruch elektromagnetischer Wellen, der gleich einem kosmischen Stern gleißende Lichtkegel ins Weltall aussendet.

Direkt gegenüber hängt das Gemälde Static Agent des niederländischen Comic-Zeichners Ineke, das eine in einen Mantel gehüllte Figur vor einem leuchtend ockerfarbenen Hintergrund entwirft, eine Landschaft am Fuße eines Berges. Offen für das Universum zeigt sich die Figur entschlossen, mit dem Energiepotenzial der schwarzen Luft zu interagieren.

Drei weitere Landschaftsdarstellungen aus de Wits Serie Conjunction gleichen einer Abfolge von Verwandlungen: getrocknete Erdklumpen in den Niederungen, eine dunkle Wolke am Horizont, wogende Luftmassen, Wasserstoff- und Sauerstoffmoleküle verbinden sich und werden schwerer, bis sie zu Wasser werden. Seine Landschaften geben Strahlungsausbrüche und Luftverwirbelungen wieder und erwecken die Vorstellung, die Erdoberfläche gleiche eher einer atmenden Lunge denn einer abweisend festen Oberfläche.

Von dort aus gelangen die Besucher/innen im ersten Stock in einen großen offenen verdunkelten (Haupt-)Raum, in dem drei Lichtinstallationen zu sehen sind. Ein Herzstück der Ausstellung ist die Videoinstallation In the Ether von Lisa Slodki. Sie zeigt eine Reihe dynamischer Vignetten und besteht aus fünf frei hängenden Röhrenmonitoren und einer Reihe von Videorekordern, die mit zahlreichen schwarzen Kabeln verbunden sind.

Slodki, seit Langem als Noise Crush in der experimentellen Noise-Community Chicagos aktiv, verwendet archivarisches Filmmaterial von Videokassetten, verfremdet es mit digitalen und analogen Techniken, und überspielt es anschließend wieder auf dasselbe Magnetbandmedium. Auf jedem der fünf Monitore ist ein fortlaufender Video-Loop zu sehen. Die mehrdeutigen Dimensionen der abstrahierten Gesten erinnern an Himmelsphänomene wie Sonneneruptionen, kosmische Strahlung und Blitze in den oberen Schichten der Atmosphäre.

Aldo Tambellinis Beitrag zu Black Air umfasst eine skulpturale Videoinstallation und Projektionen von handbemalten Dias und Filmen. Die Videoinstallation besteht aus vier CRT-Monitoren und elektronischen Vintage-Geräten. Auf einem der CRT-Monitore läuft Black Video 1. Die Aufnahmen zeigen eine improvisierte Choreografie von Elsa Tambellini, in der sich ihr Körper mit Taschenlampen durch schwarze Luft bewegt.

Diese Performance wurde für die Videokamera konzipiert und auf einem Magnetband aufgezeichnet. Ein Modell des CV-2000 (ein Videorekorder und -spieler mit offener Spule, der das Video ursprünglich auf den Monitor übertrug) ist in der Nähe installiert. Auf den anderen drei Monitoren sind Kopien von Black Video 2 zu sehen, für das Aldo Tambellini die elektrischen Signale von Black Video 1 mit Hilfe eines speziell angefertigten Steuergeräts (eines Videosynthesizers) und eines Testoszillators manipuliert hat. Die Videos senden verstörende Geräusche aus.

Der Fokus auf das Werk von Otto Piene kann auch als Hommage an den Avantgarde-Künstler gedeutet werden. Der deutsche Künstler war Mitbegründer der Künstlergruppe Zero und gilt als ein Pionier der Licht- und Feuerkunst sowie so genannter Sky-Art-Aktionen.

Sein Pneumatic Garden of Eden, das im Casino zu sehen ist, besteht aus einer Reihe floraler Formen, die aus transparenten Polyethylenrohren gefertig sind. Jede der Skulpturen ist mit geräuschvollen Druckluftzylindern verbunden, die die Röhrenformen nach einem bestimmten Muster mit Luft füllen und entleeren und so wie Lungen den Atem eines Lebewesens durch eine Art mechanisches Ein- und Ausatmen simulieren.

Betrachtet Tambellini schwarze Luft als Leiter oder Medium, durch das elektronische Signale übertragen werden, ist sie für Piene ein Material, das geformt und beleuchtet werden kann.

Am stärksten dürfte vielen Besucher/innen wohl die Installation Nothing is possible von Semiconductor (Ruth Jarman und Joe Gerhardt) in Erinnerung bleiben. Zu Soundklängen werden wissenschaftliche Daten von Ausdehnungen dunkler Energie in Supergalaxiehaufen kartiert und als skulpturale Reliefs visualisiert.

Nothing is possible besteht aus lichtdurchlässigen Folien, auf denen große Karten montiert sind, die von der Decke hängen. Jede Karte ist ein Relief, das mit Mustern und Ansammlungen von hellen Lichtern übersät zu sein scheint, die aus den kleinen Löchern dringen. Jedes Loch steht für die Koordinaten einer Galaxie, die im Rahmen des Sloan Digital Sky Survey erfasst wurden. Das Projekt wird von einem Konsortium von Astrophysiker/innen geleitet, die den Kosmos anhand von beobachtbaren Veränderungen in der Emission elektromagnetischer Strahlungen kartografieren. Diese Gebiete werden als „kosmische Hohlräume“ bezeichnet, doch sind sie mit dunkler Energie gefüllt. Astrophysiker/innen schätzen, dass diese dunkle Energie mindestens 96 Prozent des Universums ausmacht.

Im Bühnenraum der Ausstellung hat zudem der US-amerikanische Sound-Künstler Jeff Kolar eine Radioantenne und einen FM-Radiosender installiert. Das Radio wird während der gesamten Ausstellungsdauer zu bestimmten Zeiten in Betrieb genommen, um analog aufgezeichnete und Live-Radioprogramme zu senden, die die Besucher/innen über Taschenradios mitverfolgen können. Die von Max Kuiper entworfene Mixed-Media-Installation umfasst Sound, Videoprojektionen und transparente Folien mit integrierten Materialien und Drucken.

Im Dezember wird sich die Improvisationskünstlerin Ayako Kato in drei Performances tänzerisch mit der „schwarzen Luft“ auseinandersetzen. Denn „in den Ausstellungsräumen koexistieren Leere und Form als Illusionen, die atmen, sich ständig verändern und transformieren“, so die begleitende Broschüre mit Rekurs auf einen buddhistischen Text.

Black Air gelingt es tatsächlich, mit dem Alltagsverständnis nicht wahrnehmbare Räume und/oder Energien erlebbar zu machen, bisweilen in überwältigender Dichte, wenn man sich denn darauf einlässt. Es ist eine sinnliche Schau, die mit den Kontrasten spielt, gleichermaßen verwunschen wie verstörend-surrend wirkt und einen rätselhaften Sog wie ein schwarzes Loch entfaltet. Bei aller (technischen) Darstellbarkeit bleibt doch der mythologische Anteil, wie schon beim Ether in allen historischen Varianten, nicht abzustreifen.

Anina Valle Thiele
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