Leitartikel

Auslaufmodell

d'Lëtzebuerger Land vom 12.04.2013

Es herrsche keine Staatskrise, aber es krisele im Staat, musste Premier Jean-Claude Juncker am Mittwoch in seiner Erklärung zur Lage der Nation zugeben. Wobei er den Geheimdienst und den Terroristenprozess meinte, nicht aber die Amtsmüdigkeit in seiner Regierung. In Zeiten einer schier endlosen Krise scheint das Regieren keinen Spaß mehr zu machen, und was Jean-Claude Juncker und Nicolas Schmit einstweilen misslang, beschloss nun François Biltgen: Nach dem Fraktionssprecher der CSV, Jean-Louis Schiltz, und Wirtschaftsminister Jeannot Krecké ist François Biltgen der dritte Held des Rückzugs, der innerhalb dieser Legislaturperiode auf sein Schüsselamt in der Regierungskoalition verzichtet.

Der seit 14 Jahren amtierende CSV-Minister ist immerhin das Regierungsmitglied, das für die größte Zahl von Ressorts zuständig ist: Justiz, öffentlicher Dienst, Hochschule, Kommunikation und Kultus. Bis zuletzt wurde er nicht müde, den Eindruck zu vermitteln, dass er diese Ressorts besonders dynamisch und reformfreudig leite, so dass sein Parteikollege und Regierungschef Jean-Claude Juncker noch vergangenen Monat spöttelte, Minister Biltgen unternehme nichts, ohne dafür zu sorgen, dass es hinreichend bekannt werde.

Da Biltgen keinen Hehl aus seinen gesundheitlichen Problemen machte, wird seit Jahren über seinen Rücktritt spekuliert. Meist überraschte er aber stattdessen durch verdoppelten Aktivismus und die Übernahme zusätzlicher Verantwortungen in der Regierung oder der Partei. Der vorzeitige Rücktritt von Jean-Jacques Kasel als Richter am Europäischen Gerichtshof bietet nun dem gerade an der Reform des Beamtenstatuts und einer neuen Bezuschussung der Kirchen arbeitenden Minister eine seltene Gelegenheit für eine neue Beschäftigung samt angemessenem Prestige und Einkommen. Gleichzeitig bietet sie seinem Nachfolger eine gebührende Frist, um sich noch bis zu den Wahlen bekannt zu machen. Als Jurist, Abgeordneter und Justizminister wird sich Biltgen wohl weniger Sorgen als sein mit dem großherzoglichen Hof zerstrittener Vorgänger machen müssen, dass seine Qualifikation für das Richteramt angezweifelt wird.

Mit François Biltgen verlässt ein lange Jahre für die CSV unentbehrlicher Minister die Regierung. Denn auch wenn er immer das Gegenteil behauptet, ist er der Parteisoldat, der mit allen Mitteln die Macht im CSV-Staat gegen die anderen Parteien verteidigt. Und er ist gleichzeitig eine, vielleicht weniger charismatische, politische Kopie von CSV-Star Jean-Claude Juncker. Denn wie der vier Jahre ältere Juncker ist Biltgen Rechtsanwalt, er war Junckers Nachfolger als Fraktionssekretär der CSV, beide waren CSV-Präsidenten, LCGB-Mitglieder und Arbeitsminister. Beide kandidierten regelmäßig im für die Konkurrenz mit der LSAP wichtigen industriellen und linken Südbezirk, wo Biltgen mit respektablem Abstand zu Juncker als Zweiter bei der CSV gewählt wurde.

So galt Biltgen sogar vorübergehend als einer der potenziellen Thronfolger des amtierenden Staatsministers. Aber anders als die rechtsliberalen Aufsteiger erscheinen Juncker, Biltgen und andere Anhänger der katholischen Sozialenzyklika in der CSV zunehmend als Auslaufmodelle. Nicht nur Globalisierung, Neoliberalismus und der Rückgang der LSAP, auch die LCGB-Spitze hat nach Kräften dazu beigetragen, dass die christliche Gewerkschaft von der CSV eher als notwendiges Übel zur Beschaffung von Wählerstimmen denn als Stolz der Partei angesehen wird. Deshalb ändert sich mit François Biltgens Abgang notgedrungen auch ein wenig das politische Kräfteverhältnis innerhalb der Regierung. So dass demnächst wohl ein anderer Parteiflügel gestärkt am Kabinettstisch im Finanzministerium sitzen könnte.

Romain Hilgert
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