Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP) im Land-Gespräch über seine energiepolitischen Prioritäten

„Klotzen statt kleckern“

d'Lëtzebuerger Land du 10.03.2011

d’Land: Herr Minister, in Deutschland kommt das Bioethanol-Benzin E10 nicht raus aus der Diskussion. Steht uns das auch bevor?

Jeannot Krecké: Das könnte langfristig der Fall sein, wenn wir uns für eine produktspezifische Beimischung entscheiden sollten. Aber im Unterschied zum Ausland gilt für Luxemburg im Jahr 2011 eine allgemeine Beimischpflicht von zwei Prozent Biosprit zu fossilen Kraftstoffen. Die Beimischung findet aber größtenteils nicht bei uns statt. Wir sind abhängig von Importen und haben keine direkte Handhabe auf die Zusammensetzung der bio-sprithaltigen Benzine und Diesel.

Kürzlich hat die Regierung eine Verordnung über Nachhaltigkeitskriterien für Biosprit erlassen. Er soll ja beispielsweise nicht aus Energiepflanzen stammen, die auf abgeholzten Regenwaldflächen angebaut wurden. Die Kriterien lesen sich aber ziemlich weit interpretierbar. Lässt sich damit wirksam kontrollieren?

Wir haben uns an Kriterien orientiert, die in der EU-Richtlinie über erneuerbare Energien stehen und die andere EU-Staaten definiert haben. Wir bekommen das fertige Produkt und sind auf die Prüfung der Nachhaltigkeitskriterien im Ausland angewiesen. Ich war immer skeptisch gegenüber Biosprit. Wir sind aber laut EU-Richtlinie nun mal verpflichtet, ihn einzusetzen.

Dem nationalen Aktionsplan für erneuerbare Energien nach soll nicht nur knapp die Hälfte des erneuerbaren Anteils am Endverbrauch durch Biosprit eingespielt werden. Die Masse des eingesetzten Biosprits soll sich zwischen 2011 und 2020 ungefähr verzehnfachen.

Wir müssen zehn Prozent erneuerbaren Anteil im Verkehr erreichen. Allein mit Elektroantrieben ist das bis 2020 nicht drin. Auch bei sehr starker Entwicklung der Elektromobilität wird der Anteil an der Zielerreichung sehr gering bleiben.

Wenn die Biospritmasse absolut wachsen soll, heißt das aber, dass der Kraftstoffverbrauch insgesamt steigen wird. Wollen wir nicht eigentlich unabhängiger vom Öl werden?

Natürlich, aber bis 2020 geschehen keine Wunder: Unser Energieverbrauch basiert zurzeit zu 98 bis 99 Prozent auf fossilen Quellen. Bis 2020 kommen wir vielleicht auf an die 90 Prozent.

Sind die Ölpreise, die derzeit wieder beinah so hoch sind wie Mitte 2008, ein strukturelles Problem?

Das sind sie anderswo auch. Hinzu kommen bei uns die Auswirkungen auf den Index-Warenkorb. Ich weise aber darauf hin, dass wir das einzige Land sind, in dem für Ölprodukte Maximalpreise gelten – und zwar nach einem ganz transparenten Schema. Es ist auf jeden Fall nicht so, dass bei uns die Ölfirmen vor Ostern die Spritpreise erhöhen, weil sie wissen, dass bald darauf viele Leute im Auto unterwegs sind.

Wenn bis 2020 der Kraftstoffverbrauch wächst, bleiben die Staatsfinanzen stark abhängig vom Tankstellengeschäft. Doch die Einnahmen könnten prekär werden bei hohen Preisen.

Kurzfristig gibt es da aber keine Lösung, gerade wegen der Auswirkungen auf unseren Staatshaushalt. Das schafft man nur mit der Zeit.

Was könnte man denn tun – mit der Zeit?

Man könnte steuerpolitische Anpassungen vornehmen. Dann würde je-doch mehr im Ausland getankt und nichts wäre für den internationalen Klimaschutz gewonnen.

Gehen Sie davon aus, dass sich die Frage nach und nach erledigt, je mehr Elektro-Autos kommen?

Da der Luxemburger Fuhrpark sehr groß ist, wird sich das wohl nicht so schnell auswirken. Es könnte aber ohne weiteres so sein, dass Luxemburger Elektro-Autobesitzer eines Tages in Frankreich Strom tanken fahren, weil der dort wegen des hohen Nuklearanteils billiger ist als hier.

Die EU-Kommission hat dieser Tage eine Roadmap für eine Energiewirtschaft bis 2050 vorgestellt. Hat die Regierung eine Energiestrategie, die hinausreicht über die aktuelle Legislaturperiode und für die sie Akzeptanz in der Öffentlichkeit suchen wird?

Ich finde es erstaunlich, dass man so tut, als wüsste man, was in 40 Jahren sein wird. Man soll sich Strategien geben, aber nicht den Leuten sagen, was sein wird. Man darf die Leute auch nicht für dumm verkaufen. Zwei Beispiele: Nach dem Wintereinbruch vom Dezember waren unsere Diesel- und Heizölreserven quasi erschöpft. Fast wäre das Streusalzproblem in den Hintergrund getreten, da kein Auto mehr gefahren wäre! Damit Versorgungssicherheit gewährleistet werden kann, müssen wir auch in Luxemburg selbst Ölprodukte lagern und nicht nur im Ausland. Zweites Beispiel: Die Regierung hatte mit der Tripartite entschieden, die Anbindung Luxemburgs an die Stromnetze der drei Nachbarländer zu verbessern. Um die Leitung nach Frankreich aber gibt es jetzt wegen ein paar hundert Metern prozedurale Auseinandersetzungen, die müßig sind. Fest steht jedoch, dass Arcelor Mittal seine Elektrostahlöfen irgendwann ersetzen muss. Wenn wir die nötigen Anbindungen nicht hinkriegen, weiß ich nicht, ob die Entscheidung dann lauten wird, dass eine Stahlindustrie in Luxemburg bleibt. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht mit unserem Glück spielen. Das sind Entwicklungen, die wir beeinflussen können. Deshalb sage ich manchmal Wahrheiten, die wehtun.

Da reden wir aber vorerst nur über Infrastruktur.

Die Thematik ist damit selbstverständlich nicht erschöpft. Man soll auch bei uns vor allem an der Energieeffizienz arbeiten. Wenn wir einsparen, ist das, als griffen wir auf eine Ressource zurück. Die erneuerbaren Energien sind beim heutigen Stand der Technik ausbaubar, aber nur in begrenztem Umfang. In der Energieeffizienz liegt mehr Spielraum. Aber der wirkt längerfristig. Vor allem in der energetischen Gebäudesanierung steckt ein Riesenpotenzial. Man spart Energie und schafft Arbeitsplätze, die bei uns und in der nahen Großregion verbleiben. Das Ministerium bereitet eine Reihe neuer Maßnahmen vor – über den Energiepass hinaus, der viel kritisiert wurde, aber Transparenz schafft. Demnächst werden wir dem Finanzminister vorschlagen, den Geltungsbereich für den reduzierten Mehrwertsteuersatz für Umbauten älterer Häuser zu erweitern: Derzeit gilt er für Häuser, die wenigstens 20 Jahre alt sind. Wir meinen, die Schwelle sollte auf zehn Jahre gesenkt werden. In solchen Ansätzen sehen wir Chancen; mehr noch als im Ausbau der heimischen Stromproduktion. Der nationale Aktionsplan für Energieeffizienz enthält gegenwärtig 30 Maßnahmen. Bis Mitte dieses Jahres wird er überarbeitet werden.

Unser Strombedarf wird derzeit nur zur Hälfte aus heimischer Produktion gedeckt. Sollte man sie nicht erhöhen?

Doch. Im Bereich erneuerbare Energien treiben wir die Biomasse-Nutzung voran: in ihr liegen die größten Potenziale. Uns liegen momentan einige konkrete Biomasse-Projekte vor. Sollten sie wie angedacht realisiert werden, reicht das Biomasse-Aufkommen in einigen Bereichen im Lande für weitere Großprojekte wahrscheinlich nicht mehr aus.

Was geschieht denn im Bioenergiebereich?

Neben den drei großen Biogasanlagen zur Gasgewinnung in Kehlen, Itzig und Schifflingen gibt es mehrere kleine, die Strom produzieren. Wollen wir bis 2020 unsere Ziele laut Aktionsplan erreichen, müssen wir klotzen statt kleckern und größere Projekte nach vorne bringen. Dem entsprechend haben wir 2008 eine neue Förderverordnung erlassen. Auf diese hin beginnen potenzielle Betreiber nun, Projekte auszulegen. Die Projekte, die uns vorliegen, würden über 200 Gigawattstunden bringen. Das entspricht rund zehn Prozent dessen, was wir auf nationalem Territorium erreichen möchten. Aber wir kommen – in verschiedenen Holzsegmenten zum Beispiel – an die Grenzen dessen, was machbar ist. Solche Barrieren bei den Potenzialen spüren wir nun zum ersten Mal.

Anscheinend wird viel Altholz aus Privatwäldern ins Ausland exportiert. Lässt sich davon nichts für Biomasse-Anlagen abzweigen?

Wenn man entsprechende Projekte hat, ja. Dann könnte auch Restholz, das für die Papierindustrie exportiert wird, in Luxemburg genutzt werden. Das wird sich über den Biomasse-Markt ergeben: Wir können in Förderverordnungen den garantierten Einspeisepreis für Strom und Gas festlegen, den ein Biogasanlagenbetreiber erhält. Wir hoffen, dass der bestehende Rahmen so gut ist, dass für Waldbesitzer ein Anreiz besteht, Anlagenbetreibern mittelfristige Verträge zu geben. Ein oder zwei Großprojekte könnten viel dazu beitragen, das Holzpotenzial zu mobilisieren.

Welche Rolle sollen die Gemeinden bei Verbesserung der Versorgungssicherheit spielen? Sollen Landgemeinden energetisch autark zu werden versuchen, wie etwa Beckerich das will?

Wieso nicht? Ich kann nur alles unterstützen, was Gemeinden unternehmen, damit unsere Abhängigkeit von Energie-Importen sinkt und wir effizienter werden. Die Berater von myenergy versuchen derzeit, mit Gemeindesyndikaten neue Wege in der Sensibilisierung und der Beratung der Bürger zu gehen. Wir kommen dabei gut voran.

Andererseits haben mittlerweile viele kleine Gemeinden ihre eigene Holzhackschnitzelanlage. Wenn Sie nun gerne groß denken, ist das doch eine Verzettelung von Ressourcen.

Wir brauchen die Gemeinden – für den Ausbau der erneuerbaren Energien, für Effizienzmaßnahmen, fürs Verkehrsmanagement und so weiter. Dazu sollte man ihnen Freiraum geben. Welche neuen Rollen sie künftig im Energiebereich spielen sollen, wird zurzeit im Rahmen des Klimapakts diskutiert. Ein problematischer Punkt ist die Infrastruktur. Ich will vermeiden, dass insbesondere der Bau von Wärmenetzen überdreht wird. Das gab es in der Vergangenheit schon in anderen Bereichen – es wurden Netze gelegt, die an den Gemeindegrenzen enden, und einer konnte dem anderen nicht aushelfen. Auch, weil Wärmenetze mit Lebensdauern von 40 bis 50 Jahren zur teuersten Energie-Infrastruktur gehören, wäre wichtig, dass man nicht nur lokal denkt, sondern mindestens regional und in einigen Fällen sogar national. Ich prüfe gegenwärtig zusammen mit dem Nachhaltigkeitsminister die Schaffung entsprechend angepasster Förderinstrumente.

Wieso erhöhen wir die heimische Stromerzeugung nicht im großen Stil?

Dazu könnten Kraft-Wärme-gekoppelte Anlagen viel beitragen. Wir haben diese Technologie in letzter Zeit aber nicht mehr so stark vorangetrieben wie in der Vergangenheit, denn die CO2-Emissionen aus dem Gasverbrauch der Anlagen belasten unsere Kioto-Bilanz. Ab 2013 aber fallen Anlagen ab einer gewissen Größe ins Emissionshandelssystem und werden dann nicht mehr national, sondern auf EU-Niveau verbucht. Da wird es interessant, große KWK-Anlagen zu bauen. Wir sind dabei, hierfür eine Förderstrategie zu entwickeln.

Könnte man auch ein zweites Gas-und-Dampfturbinenkraftwerk wie in Esch/Alzette bauen?

Sinnvoll wäre es! Aber sehen Sie uns noch eine GUD-Anlage bauen? Da würde uns doch sofort vorgeworfen: „Ihr baut fossil!“

Vielleicht bedarf es einer Energiestrategie, die alles umfasst und im Zusammenhang erklärt: Welche Netzausbauten man braucht, welche Lagermöglichkeiten ...

Das habe ich schon mehrfach erklärt. Wer außer Michel Wurth und mir plädiert noch für Stromnetz-Zusammenschlüsse mit den Nachbarländern? Und schon seit längerem unterstreiche ich die absolute Notwendigkeit neuer Tanklager.

Aber man hat nicht den Eindruck, dass die Regierung eine Gesamtstrategie hat, die alles zueinander in Bezug setzt: Infrastruktur, Versorgungssicherheit, erneuerbare Energien, Effizienzmaßnahmen ...

Das stimmt so nicht: Im Frühjahr 2009 hatten wir uns von einem deutschen Expertenteam ein Weißbuch für eine nationale Energiestrategie erarbeiten lassen. Wir haben es in Workshops vorgestellt, und ich hatte gehofft, anschließend gebe es größere Diskussionen um die Energie. Zumal im Wahlkampf! Aber es spielte keine Rolle. Das hat mich ein bisschen enttäuscht. Erst vor ein paar Monaten hat mich der Mouvement écologique auf das Papier angesprochen. Ich behaupte, dass wir fast alle Voraussetzungen für eine Debatte haben, sie findet nur nicht richtig statt. Es reicht ja nicht, dass ein paar Insider darüber reden.

Das Ziel, bis 2020 auf elf Prozent erneuerbaren Anteil am Energieverbrauch zu kommen, will Luxemburg zum Teil durch Kooperationsprojekte mit anderen EU-Staaten erreichen. Wo sind die Projekte dran? Im Aktionsplan ist allein für dieses Jahr ein Volumen veranschlagt, das beinah so hoch ist wie alle heimische erneuerbare Strom- und Wärme-Erzeugung zusammen.

Wir haben versucht, für 2011, aber auch für 2012 ein Volumen zu veranschlagen, das den anderen Ländern zeigt, dass wir die Kooperationsmechanismen tatsächlich nutzen wollen. Ich habe bisher Gespräche mit Schweden und Deutschland geführt, mit Griechenland habe ich sie vor kurzem aufgenommen. Mit Litauen habe ich vor einer Woche ein Memorandum of Understanding über Kooperationen unterzeichnet.

Sind die Projekte schon konkreter?

Ein Memorandum of Understanding bedeutet, erst mal zu schauen, was man machen könnte. Überdies gibt es noch ein paar europarechtliche und beihilfenrechtliche Probleme. Am einfachsten zu realisieren ist der statistische Transfer überschüssiger erneuerbarer Kapazitäten von Land zu Land. Gemeinsame Projekte sind eine zweite Option. Sie unterliegen allerdings den Ausschreibungsregeln der EU und den Staatsbeihilferegeln. Das ist nicht einfach. Wir sind dabei, mit den betreffenden Ländern Konzepte zu erarbeiten. Dafür suchen sie Projekte, an denen wir uns beteiligen und wonach sie uns garantieren könnten, dass es einen Transfer geben wird. In einer zweiten Phase wird sich auch die Frage des Preises stellen.

Luxemburg muss bis zum 30. Juni seinen überarbeiteten Energieeffizienz-Aktionsplan an die EU-Kommission schicken. Werden die Energiesparziele erweitert?

Wir hatten uns im ersten Aktionsplan verpflichtet, bis 2016 den Primärenergieverbrauch um neun Prozent zu senken, wie es in einer Richtlinie vorgesehen ist. Es gibt nun Überlegungen, diesen Pfad bis 2020 in gleicher Weise fortzuschreiben.

Es gibt auch Berechnungen, die bezweifeln, dass mehr als die neun Prozent machbar seien, ohne dass man an den Tanktourismus rührt.

Gegenfrage: Wäre das eine Effi-zienzmaßnahme?

Der Primärenergieverbrauch ginge insgesamt zurück.

Die Zahlen würden schöner! Für den internationalen Klimaschutz, die erneuerbaren Energien und die Effi-zienz hätten wir nichts erreicht.

Also ist noch genug Sparpotenzial da?

Ich meine, ja.

Peter Feist
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