Die BCEE zieht im Arbedsgebai ein. Dass die Regierung die Sparkasse dazu „ermutigt” hat, ist das Beste, was dem Gebäude passieren konnte

Den Daach ass gefléckt

d'Lëtzebuerger Land du 08.07.2016

Sanfte Klaviertöne aus dem Computer erklangen am Dienstagabend in Erwartung des Erbgroßherzogs und seiner Frau im ehemaligen Sitz der Arbed in der Avenue de la Liberté. Dass die Sparkasse, seit eineinhalb Jahren Eigentümerin des Gebäudes, ein streng hierarchisch organisierter Betrieb ist, in dem die Obrigkeit gewürdigt wird, zeigte sich schon daran, dass vor dem Rednerpult nur Stühle für das Dutzend Ehrengäste aufgestellt waren. Die anderen, die sehen wollten, was die BCEE im vergangenen Jahr an Instandsetzungsmaßnahmen hat durchführen lassen, mussten stehen.

In der Vergangenheit hatten die Beteiligten der Verkaufstransaktion zwischen BCEE und Arcelor-Mittal, wenn sie sich überhaupt äußerten, abgestritten, dass die Regierung die BCEE aufgefordert hatte, das Gebäude zu kaufen – wenn es ginge, ein bisschen plötzlich – und betont, die BCEE habe aus eigenem Antrieb gehandelt. Doch durch die gutgelaunte Erzählung der Anekdoten erklärte sich am Dienstag doch, warum die BCEE erst so spät ein Angebot für das Gebäude machte, für das der Stahlkonzern Arcelor-Mittal schon seit langem einen Käufer suchte und es den Verantwortlichen der BCEE wie Schuppen von den Augen fiel, dass die Bank die Immobilie brauche, die sich ihnen täglich beim Blick aus dem Bürofenster offenbart.

An einem trüben Freitagnachmittag im November 2014, erzählte Verwaltungsratspräsident Vic Rod, habe er gegen 17 Uhr einen Anruf des damaligen Direktors, Jean-Claude Finck, erhalten, der ihn gebeten habe, für den darauffolgenden Montag eine außergewöhnliche Sitzung des Aufsichtsgremiums einzuberufen, mit nur einem Punkt auf der Tagesordnung: eine Immobilientransaktion. Was daran so außergewöhnlich und dringend sei, konnte er damals nicht verstehen, erzählte Rod seinem Publikum. Doch dann habe ihm Finck gesagt: „Das Arbedsgebai steht wieder zum Verkauf, und wir müssen schnell entscheiden, wenn wir den Zuschlag wollen.“ Sicher, so Rod, „gewisse Informationen“, dass Arcelor-Mittal verkaufen wolle, hatte man erhalten. Aber nun reagierte man prompt, wozu sich am Dienstag alle gegenseitig beglückwünschten. Dass auch Staatsminister Xavier Bettel (DP) von „Gerüchten“ um die Verkaufsabsichten des Stahlkonzerns berichtete, kann ein wenig überraschen. Schließlich war und ist die Regierung durch den ehemaligen Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP) im Verwaltungsrat von Arcelor-Mittal vertreten und muss sich nicht auf das Kolportieren von Gerüchten verlassen. Nachdem man in der Regierung darüber diskutiert hatte, dass dieses Wahrzeichen der Luxemburger Wirtschaft weiterhin ein solches bleiben sollte, so Bettel, habe es Gespräche mit Jean-Claude Finck gegeben. Er habe bei Finck „sofort ein offenes Ohr gefunden“.

Beim Rundgang durch das Gebäude erklärte BCEE-Direktorin Françoise Thoma, dass man anfangs, als das Gebäude zum Verkauf gestanden habe, dafür überhaupt keinen Bedarf gesehen habe. Doch während sich die Projekte der potenziellen Investoren in der Avenue de la Liberté nicht materialisiert hätten, wäre die BCEE zur systemischen Bank innerhalb der europäischen Bankenunion aufgestiegen und habe plötzlich viel mehr Mitarbeiter und Räumlichkeiten gebraucht. Spätestens da wurde Vic Rods Feststellung, dass die Bank durch den Kauf und die Sanierung des Gebäudes ihrem gesetzlichen Auftrag nachkomme, die Luxemburger Wirtschaft zu unterstützen, zum nicht mehr ganz so niedlichen Euphemismus. Aber davon, dass der seit Jahren mit seiner erdrückenden Schuldenlast kämpfende Konzern Arcelor-Mittal, den denkmalgeschützten Prunkbau an der Avenue de la Liberté händeringend in Bargeld verwandeln wollte, mit dem er in den vergangenen Jahren ohnehin schon Schindluder getrieben hatte, durch das Herausreißen von Wänden, der Geringschätzung des Kunstbestandes, der Veranstaltung von Yoga-Kursen für die Mitarbeiter im Sinne der sozialen Verantwortung, wollte diese Woche niemand etwas wissen. Sagen, wie hoch der Scheck war, den die BCEE, die größte öffentliche Bank im Land, die damit der Öffentlichkeit vielleicht ein wenig Rechenschaft schuldig wäre, Arcelor-Mittal ausgestellt hat, und wie hoch die Sanierungskosten sind, auch nicht.

Vielmehr bemühte sich Xavier Bettel, eine Kontinuität herzustellen zwischen der „starken und innovativen Stahlindustrie“, die dort früher ihren Sitz hatte, und der „starken und innovativen Finanzindustrie“, die dort nun einziehen werde. Finanzminister Pierre Gramegna (DP) sah im Arbedsgebai glatt ein „Zeichen der Einheit unseres Landes“ und „ein flottes Beispiel dafür, wie man in diesem Land zusammenarbeiten kann“. Ob Gramegna eigentlich darauf hinweisen wollte, was in diesem Land möglich ist, wenn der Staat und seine Institutionen zahlen? Am gleichen Tag gab das Statec bekannt, Arcelor-Mittal sei nicht länger der größte private Arbeitgeber im Land und rief mittels Mitarbeiterstatistik in Erinnerung, dass fast ein Dutzend der 20 größten „Privatunternehmen“ entweder ganz oder teilweise der öffentlichen Hand gehören oder weitestgehend von ihren Zuschüssen abhängt. Zeitgleich empfahl der Generalanwalt des europäischen Gerichtshofs, der Konzern müsse dem Luxemburger Staat die Verschmutzungszertifikate für die geschlossenen Werke in Rodingen und Schifflingen zurückerstatten (siehe Seite 9). Dass es vor nicht allzu Langem noch in der Avenue de la Liberté noch zu kriegsähnlichen Zuständen gekommen war, als Stahlarbeiter gegen die Schließung ihrer Werke protestierten, die Polizei mit Gummigeschossen auf Demonstranten und Journalisten schoss, Wirtschafsminister Etienne Schneider (LSAP) gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen Lakshmi Mittal mit der Nationalisierung des Produktionsapparates drohte, war vergessen.

Nicht weil die Stahlindustrie „stark und innovativ“ ist, sondern in derart erbärmlichem Zustand, dass ehemalige Mitarbeiter von Arcelor-Mittal – Jahresverlust 2015: 7,9 Milliarden Dollar – nur halb scherzend berichteten, die Sparmaßnahmen seien so weit gegangen, dass sie ihr eigenes Klopapier mitbringen mussten, ist der Verkauf an die BCEE mit hoher Wahrscheinlichkeit das Beste, was dem Gebäude passieren konnte.

Die BCEE – Nettogewinn 2015: 230 Millionen Euro – verfügt über das nötige Kleingeld und war gewillt, wie viele ihrer vermögenden, aber risikoscheuen Kunden es ebenfalls tun, in einen Zweitwohnsitz zu investieren. In einer Rekordzeit von knapp eineinhalb Jahren hat das Atelier d’Architecture et de Design Jim Clemes die notwendigen Erkundungsarbeiten durchführen lassen, ein Konzept und die notwendigen Pläne erarbeitet und die Arbeiten beaufsichtigt. Das Ergebnis ist beeindruckend, zeigt sich aber vor allem an dem, was nicht zu sehen ist. Innerhalb von nur einem Jahr wurde der 1922 nach Plänen des französischen Architekten René Thiry fertiggestellte Bau in ein modernes Bürogebäude verwandelt, den geltenden Sicherheits- und Feuerschutznormen sowie den Verschwiegenheitsauflagen einer Bank angepasst, und das ohne Spuren zu hinterlassen.

Was sich Arcelor-Mittal nicht leisten konnte oder wollte, hat die BCEE gemacht. 350 Kilometer Kabel wurden im Gebäude verlegt, um das Arbedsgebai ans digitale Zeitalter anzuschließen, ohne dafür bestehende Fußböden, Holzverkleidungen oder Steinkolonnen und -bögen zu zerstören. Das ohnehin dringend reparaturbedürftige Dach wurde thermisch isoliert, um ein Viertel des Wärmeverlusts einzusparen. 650 Originaltüren wurden einerseits technisch nachgerüstet, damit sie den Sicherheitsstandards entsprechen, sich mit Schlüsselkarten, statt mit Schlüsseln öffnen lassen und andererseits akustisch abgedichtet. An ihrem äußerlichen Aspekt geändert hat das nichts. Die neuen Feuertüren bemerkt man kaum. Sie sind aus Glas, mit minimalen Metallrahmen so in die Bögen der Gänge eingeführt, dass sie den Blick nicht stören. Die Raumaufteilung ist quasi unverändert. Mit dem neuen Eigentümer, sagt Clemes, würden Inhalte und Behälter wieder gut zusammenpassen. Die BCEE wird das Gebäude für repräsentative Zwecke nutzen, die Buroräume als solche gebrauchen. „Das ist eine sinnvolle Nutzung, die es ermöglicht hat, alles im Gebäude zu erhalten.“ Wäre 19 Liberté in ein Hotel umgebaut worden, wäre das kaum denkbar gewesen.

Überhaupt sind die Interventionen von Jim Clemes diskret und zurückhaltend. Nachdem in früheren Jahrzehnten, zuletzt zur Einrichtung der Arcelor-Mittal University im ersten Stock (Architekt Stefano Moreno) bereits Umbauarbeiten durchgeführt wurden, wollte Clemes keine „Rekonstruktion“ des Ursprünglichen, sondern sieht seine Arbeit in der Kontinuität dessen, was vorher war. Die verschiedenen Etappen der Umbauarbeiten und die Formsprachen, die frühere Architekten dafür entwickelt haben, bleiben sichtbar, beziehungsweise wurden erneut eingesetzt.

Morenos Arcelor-Mittal-orangefarbener Kitsch in der University und im Eingangsbereich ist trotzdem Vergangenheit. „Die BCEE hat andere Firmenfarben“, sagt Clemes dazu nur. Die im neuen ruhigen, farblich neutralen Dekor allerdings nicht vorkommen. Im zweiten Stock dauern die Arbeiten im großen Saal, der Öffentlichkeit durch die Bilder der Pressekonferenzen nach der Übernahme von Arcelor durch Mittal bekannt, noch an. Falsche Decken und Verkleidungen, Schiebetüren vor den Dachluken, die alles Tageslicht aussperrten, sind schon entfernt. Vom ursprünglichen Dekor ist das meiste zerstört. Clemes und seine Mitarbeiter, von denen ein Dutzend ständig auf der Baustelle war, haben den Raum wieder geöffnet. Auf dem Dachboden wurden die Gipsvorlagen entdeckt, nach denen die Steinmetzen Anfang des letzten Jahrhunderts die Skulpturen fertigten, die das Dach dekorieren. Die Vorlagen sollen nun im großen Vorraum der Salons im Obergeschoss als Hinweis auf die Vergangenheit an die Wände kommen.

Die Denkmalschutzbehörde hat der BCEE einen neuen Aufzug im Vorderbereich des Gebäudes genehmigt, über den Besucher in den großen Saal und zu den Salons gelangen können, ohne dass die Verschwiegensheitsregeln, die für den Bürobereich der Bank gelten, verletzt werden. Etwa 250 Mitarbeiter aus den Abteilungen Private Banking und Kreditvergabe werden ab diesem Wochenende in die Avenue de la Liberté umziehen. Die Abteilungen, erklärt Françoise Thoma, die viel direkten Kontakt zu Kunden haben und diese fortan in den mit italienischem Design-Mobiliar ausgestatteten Salons empfangen können, um über die Verwaltung ihrer Vermögen zu beraten oder über Investitionskredite. Mit rund 100 Besuchern täglich rechnet man bei der BCEE, die dort auch beköstigt werden, denn im Obergeschoss steht eine völlig neu ausgestattete professionelle Küche bereit.

Das sichtbarste Zeichen der Intervention von Jim Clemes sind die von seinem Büro entworfenen runden Leuchten in den Gängen, die, in Berlin hergestellt, am Dienstag die Firmenleitung der BCEE in Verzückung versetzten. Die ganze, gut versteckte Technik, die es erlaubt, das Gebäude überhaupt weiter zu nutzen, das unsichtbarste Zeichen. Kein einziges hässliches Kabel ist zu sehen...

Michèle Sinner
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